Aufarbeitungswillen und Handlungsbedarf

Ein Jahr nach Missbrauchsbericht: Was hat sich in der Erzdiözese Freiburg getan?

Stand
Autor/in
Thomas Hermanns
Anita Westrup
Anita Westrup ist Reporterin und Redakteurin im SWR Studio in Freiburg.

Vor einem Jahr sorgte der Missbrauchsbericht der Erzdiözese Freiburg für große Bestürzung. Wie sieht es heute aus? Es wird offener über Missbrauch gesprochen, aber es gibt auch noch viel Handlungsbedarf.

Der Missbrauchsbericht der Erzdiözese Freiburg legte die Dimension von sexualisierter Gewalt und deren jahrelanger Vertuschung schonungslos offen. Der Bericht sprach von mindestens 540 Missbrauchsopfern und mehr als 250 nachweislich schuldigen oder des Missbrauchs beschuldigten Priestern. Ein Ausmaß, das das Vertrauen in die katholische Kirche schwer erschütterte. Verantwortung übernehmen und Konsequenzen ziehen - das forderten die Betroffenen damals. Doch wie hat sich die Situation in der Erzdiözese Freiburg seitdem verändert? Wie geht man dort heute mit dem Thema sexualisierte Gewalt um? Die Bilanz jeweils von Christoph Neubrand, Generalvikar der Erzdiözese Freiburg, und dem Betroffenenbeirat fällt unterschiedlich aus.

Offener Umgang mit dem Thema Missbrauch

Seit der Veröffentlichung des Missbrauchsbericht habe die Erzdiözese Freiburg neue und transparente Meldewege eingeführt, sagt Christoph Neubrand. Zudem werde ein offener und direkter Umgang mit den Betroffenen gepflegt, um schnellere Bearbeitungszeiten zu gewährleisten. Es sei "ein Klima geschaffen worden, sich zu melden", so der Generalvikar. Das zeige sich auch darin, dass sich noch mehr Betroffene gemeldet hätten.

Wir sind dankbar dafür, wenn die Menschen sich melden, und das nicht in sich hineinvergraben.

Empfehlungen der Missbrauchskommission werden noch geprüft

Die Erzdiözese stehe heute schon anders da als vor einem oder vor zehn Jahren, sagt Generalvikar Neubrand zu den Empfehlungen der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Freiburg (GE-Kommission). Das Gremium veröffentlichte vor etwa einem Monat eine Liste mit konkreten Empfehlungen. Dabei geht es zum Beispiel um klare Meldewege bei Missbrauchsverdacht, eine neue Priesterausbildung, Enttabuisierung von Homosexualität und eine angemessene Entschädigungen für Missbrauchsbetroffene. Viele Punkte würden nicht mehr auf die heutige Situation passen, so der Generalvikar. Das Erzbistum prüft die Liste derzeit und will sich zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher zu den Empfehlungen äußern.

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Kaum strafrechtliche Konsequenzen für vergangene Fälle

Es gebe immer wieder Fälle, wo es rechtlich nicht möglich sei, die beschuldigte Person Täter zu nennen, weil Beweise und Geständnisse fehlen, erklärt Neubrand. Man glaube der betroffenen Person, aber Konsequenzen daraus zu ziehen sei schwierig. Die Staatsanwaltschaft hatte schon drei Monate nach der Veröffentlichung des Berichts ihre Ermittlungen eingestellt, weil die Fälle entweder verjährt, die Täter bereits verstorben oder die Beweise nicht ausreichend waren.

Das ist dann manchmal schon etwas, wo es einen selber zerreißt.

Wenn die staatliche Strafverfolgung nichts ergebe, werde natürlich im Kirchenrecht geprüft, ob ein Fehlverhalten vorliege. Dementsprechend werden disziplinarrechtliche Konsequenzen gezogen, wie beispielsweise Versetzungen, Strafzahlungen oder Verbote für bestimmte Aufgaben. Im Jahr 2023 habe es weniger als zehn Voruntersuchungen nach Kirchenrecht gegeben, schätzt Neubrand.

Eine kirchenrechtliche Anzeige gegen den noch lebenden emeritierten Erzbischof Robert Zollitsch liegt seit mehr als zwei Jahren in Rom. Bislang ohne jede Reaktion und ohne Kommentar des Vatikans. Der Betroffenenbeirat bezeichnet dies als skandalös.

Betroffenenbeirat sieht noch Verbesserungsbedarf

Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Missbrauchsberichts fällt die Bilanz des Betroffenenbeirats im Erzbistum Freiburg nüchtern aus: "Für die meisten Betroffenen hat sich in ihrer persönlichen Wahrnehmung [...] wenig zum Positiven verändert, sagte ein Mitglied des Beirats der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Verantwortlichen hätten seitdem nicht gefragt, wie es den Betroffenen mit dem Bericht ergangen sei. Erst auf Initiative des Beirats werde nun beispielsweise die Zusammenarbeit mit externen Beratungsstellen gesucht.

Viel Aufarbeitungswillen, aber zu wenig Therapieplätze

Gleichzeitig würdigt die Beiratssprecherin, dass die katholische Kirche im Südwesten bei Aufarbeitung, Prävention und Hilfen für Betroffene viel erreicht hat. Auch dass das Erzbistum Freiburg Betroffene in finanziellen Notlagen monatliche mit bis zu 800 Euro finanziert, sei bundesweit einzigartig und für viele Personen sehr hilfreich, betont die Sprecherin. Zuletzt habe der Betroffenenbeirat die Zusage der Bistumsleitung erhalten, diese Zahlungen fortzuführen.

Ich bin sicher, dass es heute keine Vertuschung mehr geben kann, wie sie Betroffene über Jahrzehnte erleiden mussten.

Auch die Kosten für Therapien würden weiter übernommen werden. Bundesweit fehle es jedoch an Traumatherapeutinnen und -therapeuten. Betroffene müssten oft lange auf einen Therapieplatz waren. Sehr positiv würdigt die Sprecherin die Bereitschaft des Erzbistums, in den kommenden Wochen im Rahmen einer "Hilfekonferenz" ein Treffen zu organisieren, bei dem es darum gehen wird, wie Betroffene von kirchlichem Missbrauch dezentral und in Zusammenarbeit mit externen Beratungsstellen Hilfen finden können. Wie akut der Hilfebedarf weiter ist, zeigt die Schilderung der Sprecherin, wonach mehrere Betroffene nach Veröffentlichung des Missbrauchsberichts vor einem Jahr erneut in einen psychischen Ausnahmezustand kamen.

Erzdiözese hat bisher mehrere Millionen Euro Entschädigung gezahlt

Das Erzbistum Freiburg hat nach eigenen Angaben etwa viereinhalb Millionen Euro an Entschädigungen an Betroffene gezahlt. Etwa 40 Personen erhalten dauerhafte Zahlungen, da sie wegen des Missbrauchs nicht fähig sind, normal arbeiten zu gehen. Die Entschädigungszahlungen sind seit diesem Jahr auch Teil des normalen Haushalts. Der Jahresabschlussbericht ist öffentlich einsehbar. Damit will die Erzdiözese transparenter werden.

Schwere Vorwürfe gegen Saier und Zollitsch

Unabhängige Experten hatten den Freiburger Missbrauchsbericht am 18. April 2023 veröffentlicht. Die Untersuchung analysierte beispielhaft 24 Fälle aus der Zeit von 1945 bis in die Gegenwart. Die vier Autoren hatten Zugang zu allen Personalakten der Priester des Erzbistums. Zusätzlich werteten sie Protokolle der diözesanen Leitungsrunde aus. Schließlich wurden 180 Zeugen befragt - darunter Betroffene und Beschuldigte. Laut dem Bericht wurden im Erzbistum mindestens 540 minderjährige Mädchen und Jungen Opfer sexualisierter Gewalt durch katholische Priester und Seelsorger. Die Dunkelziffer bei Tätern und Opfern sei um ein Vielfaches höher, so die Kommission damals.

Nach Veröffentlichung des Berichts hatten sich weitere Betroffene gemeldet. Im Bericht ging es vor allem darum, welche Strukturen Missbrauch begünstigten. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen vor allem der verstorbene Erzbischof Oskar Saier (1978-2002) und der noch lebende emeritierte Erzbischof Robert Zollitsch (2003-2013), der von 2008 bis 2014 auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war. Ihnen wird Vertuschung und Ignoranz vorgeworfen.

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