Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am Dienstag in einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen der Stadt Stuttgart und dem Energieversorger EnBW entschieden, dass die Stadt nach Beendigung des zwischen den Parteien vereinbarten Vertrags weder automatisch Eigentümerin des Fernwärmenetzes geworden ist, noch von der EnBW die Übereignung des Netzes verlangen kann. Das teilte das Gericht am Dienstagmittag mit.
Umgekehrt habe aber auch die EnBW, die das Fernwärmenetz in Zukunft weiterbetreiben möchte, keinen kartellrechtlichen Anspruch auf die erneute Einräumung von Wegenutzungsrechten zum Betrieb des Fernwärmenetzes in Stuttgart. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs versuchte seit dem Sommer die Frage zu klären, ob der Stadt Stuttgart das Eigentum am Fernwärmenetz zusteht oder ob die EnBW das Fernwärmenetz auch in Zukunft weiterbetreiben und dafür die Einräumung von Wegenutzungsrechten von der Stadt Stuttgart verlangen kann.
BGH gibt weder Stadt Stuttgart noch EnBW absolut recht
Damit gab der Kartellsenat des BGH in seinem Urteil weder der Stadt noch dem Energieversorger recht. Der Senat stützte sich unter anderem darauf, dass das damals von der Stadt Stuttgart neu aufgelegte Vergabeverfahren nicht abgeschlossen ist.
1994 hatte die Stadt einen Vertrag mit dem Kommunalunternehmen TWS über die Verlegung von Leitungen und den Betrieb des Fernwärmenetzes geschlossen. Die TWS wurde zwischenzeitlich in den EnBW-Konzern eingegliedert. Dieser baute das Fernwärmenetz auf seine heutige Länge aus. Etwa 18 Prozent des Stadtgebiets werden derzeit darüber mit Fernwärme versorgt.
Neue Vergabe angestrebt - Verfahren ist immer noch ausgesetzt
Dann lief Ende 2013 der Konzessionsvertrag zwischen der EnBW und der Stadt aus. Da kam die Stadt Stuttgart auf die Idee, das Fernwärmenetz zu übernehmen, notfalls per Klageweg. Dem hatte auch der Gemeinderat zugestimmt. Die Stadt Stuttgart vertrat den Standpunkt, dass ihr die Leitungen gehören und klagte auf Überlassung. Parallel wurden die Nutzungsrechte neu ausgeschrieben, woraufhin sich acht Interessenten meldeten.
2016 wurde das Vergabeverfahren dann ausgesetzt, es ruht immer noch. Die EnBW setzte die Versorgung fort. Da die Fernwärmeleitungen zum größten Teil auf städtischen Grundstücken verlegt sind, zog die Stadt Stuttgart vor Gericht, um durchzusetzen, dass sie Eigentümerin des Netzes wird.
Rechtsstreit zwischen Stadt Stuttgart und EnBW seit 2016
Vor dem Landgericht Stuttgart hatte sie damit keinen Erfolg. Auch das Oberlandesgericht sprach der Stadt in der Berufung das Eigentum nicht zu. Es wies auch die Forderung der EnBW nach einem neuen Vertragsangebot zurück. Die Stadt dürfe aber den Abbau der Anlagen auf ihren Grundstücken verlangen, entschied das Oberlandesgericht 2020.
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Diese Entscheidung änderte der BGH nun nur leicht ab. Die Revision der Stadt wies er ab. Das Eigentum an den Versorgungsleitungen gehe nicht automatisch auf sie über, weil der Vertrag mit dem Versorger beendet sei. Die Stadt könne auch nicht verlangen, dass die EnBW ihr die Netzanlagen übereigne, erklärte der BGH. Das Vergabeverfahren für den zukünftigen Netzbetreiber sei zwar begonnen worden, aber noch nicht abgeschlossen.
BGH: Stuttgart muss keine Monopolstellung des Energieversorgers akzeptieren
Die EnBW habe sich beworben und es sei möglich, dass die EnBW auch in Zukunft weiter das Netz betreibe, aber eben auch ein anderes Unternehmen. Darum habe die Stadt kein berechtigtes Interesse daran, Eigentümerin zu werden. Auch die Revision der EnBW wurde größtenteils zurückgewiesen. Die Stadt müsse keine dauerhafte Monopolstellung des Unternehmens akzeptieren, erklärte der Kartellsenat des BGH. Stuttgart dürfe Wegenutzungsrechte zeitlich begrenzt vergeben und einen Wettbewerb um das Netz organisieren. Anders als das Oberlandesgericht entschied der BGH aber, dass die EnBW nicht verpflichtet sei, die Netzleitungen auf städtischen Grundstücken zu beseitigen.
Stadt Stuttgart und EnBW begrüßen das BGH-Urteil
Die Stadt Stuttgart begrüßte das Urteil vom Dienstag, weil es ihrer Ansicht nach den Wettbewerb um die neue Konzession für das Stuttgarter Fernwärmenetz öffne. Die Fortsetzung eines "transparenten, diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens" sei nun möglich. Es stehe insofern "allen interessierten Unternehmen, etwa den Stadtwerken oder auch der EnBW, die Bewerbung um die Konzession offen. Erhält ein neuer Bewerber den Zuschlag, muss die EnBW - nach jetzigem Verständnis des Revisionsurteils durch die Landeshauptstadt - diesem das Eigentum an dem Fernwärmenetz überlassen. Sollte die EnBW den Zuschlag erhalten, bliebe sie Eigentümerin", heißt es in einer Mitteilung. Ein Verfahren zur Neuvergabe durchzuführen, sei schon seit 2012 ein Anliegen der Stadt Stuttgart.
Auch die EnBW begrüßt das Urteil. "Die EnBW bekräftigt, dass sie unverändert zur Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart bereit ist, um die Wärmewende in der Landeshauptstadt voranzubringen", heißt es hier in einer Mitteilung. Man betreibe das Stuttgarter Fernwärmenetz seit vielen Jahren mit viel Engagement und hoher technischer Kompetenz. "Wir möchten die Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung gemeinsam mit der Stadt Stuttgart gestalten."
Urteil sollte ursprünglich schon im Juli fallen
Der Rechtsstreit zwischen der Stadt Stuttgart und der EnBW gärte schon seit 2016 und ging bis in die letzte Instanz vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Dieser wollte bereits im Juli ein Urteil sprechen. Weil es aber um ziemlich knifflige wettbewerbsrelevante Fragen gehe, hatte sich der Kartellsenat mehr Beratungszeit genommen. Der nächste Termin zur Urteilsverkündung war dann für Mitte Oktober angesetzt, musste aber aus dienstlichen Gründen auf den 5. Dezember geschoben werden.