In der Heizungsdiskussion rückt seit einigen Tagen eine althergebrachte Wärmequelle in den Fokus: die Fernwärme. Auch in Baden-Württemberg könnte grüne Fernwärme eine echte Alternative zu Wärmepumpen und anderen klimafreundlicheren Heizungen werden. Landesumweltministerin Thekla Walker (Grüne) sieht das Land hier "gar nicht schlecht aufgestellt".
Demnach gab es nach Angaben des Landesumweltministeriums Ende 2020 in Baden-Württemberg 828 Wärmenetze mit einer Trassenlänge von 4.193 Kilometern. Vor allem in Städten mit dichter Bebauung seien Wärmenetze "die erste Wahl", um möglichst viele Menschen mit grüner Fernwärme zu erreichen, sagte Walker dem SWR.
Geothermiebohrung vor 15 Jahren Rissbildung nicht gestoppt: Weitere Schäden in Staufens Altstadt
15 Jahre nach der missglückten Geothermiebohrung in der Altstadt Staufens sorgt Rissbildung immer noch für Schäden an Gebäuden.
"Großes Geothermie-Potenzial" entlang des Rheingrabens
Grün - also klimafreundlich - ist die Fernwärme aber noch nicht überall. Teilweise wird sie nämlich aus fossilen Brennstoffen hergestellt. Walkers Ziel ist es, das zu ändern. Sie sieht zum Beispiel noch "große Geothermie-Potenziale entlang des gesamten Rheingrabens". Der Vorteil von Fernwärme sei, wenn "eine bestimmte Quelle nicht mehr zuträglich oder verfügbar ist, dann hat man auch andere Möglichkeiten".
Auch die Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg, Susanne Nusser, sieht großes Potenzial in Fernwärmenetzen - vor allem in dicht besiedelten Regionen. Sie befürchtet aber, falls Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und die Ampel weiter massiv auf die Wärmepumpe setzen, könnte die Fernwärme darunter leiden.
Wärmepumpe als Konkurrenz für Wärmenetze?
Aus ihrer Sicht ist es "der falsche Weg, jetzt in allen Gebäuden Wärmepumpen anzuschaffen". Wärmepumpen hätten einen relativ hohen Energieeinsatz und es werde nicht gelingen, langfristig so viel grünen Strom zu produzieren. Jede zusätzliche Wärmepumpe sorge aber dafür, dass sich der Neu- oder Ausbau eines kommunalen Wärmenetzes finanziell weniger lohne, so Nusser. "Nur wenn es genug Kundinnen und Kunden gibt, kann das Netz auch effizient betrieben werden."
Trotzdem sind vor allem Wärmepumpen (Umweltthermie und Geothermie) bei vielen Häuslesbauern in Baden-Württemberg beliebt. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Landesamts zu den neu genehmigten Wohngebäuden aus dem vergangenen Jahr. Fernwärme beziehungsweise -kälte liegt als Energiequelle für rund 1.400 neu genehmigte Wohngebäue weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz, gefolgt von Gas (rund 1.100) und Holz (rund 650).
Besonders viele Gebäude mit Fernwärmeversorgung gab es laut dem zuletzt ausgewerteten Zensus im Jahr 2011 zum Beispiel in den Städten Pforzheim, Karlsruhe und Stuttgart sowie den Landkreisen Reutlingen, Schwäbisch Hall, Böblingen, Ludwigsburg, dem Rhein-Neckar-Kreis und dem Ortenaukreis.
Mannheim als Vorreiter in Sachen Fernwärme
In Mannheim sind laut dem Vorstandsvorsitzenden des Mannheimer Energieunternehmens MVV, Georg Müller, zum Beispiel 60 Prozent der Wohnungen an Fernwärme angeschlossen. Er sieht aber das Potenzial, die Quote "noch deutlich zu erhöhen".
"Wir bekommen die Energiewende nur hin, wenn sie auch eine Wärmekomponente hat", ist Müller überzeugt. "Es ist gut, dass die Politik in Brüssel und Berlin das erkannt hat und Fernwärme eine wirkliche Bedeutung einräumt."
Volker Kienzlen, Geschäftsführer der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg erklärt im Gespräch (am 12.06.) mit SWR Aktuell-Moderator Jonathan Hadem, warum vor allem mittelgroße Städte wie Mannheim oder Karlsruhe gute Bedingungen für Fernwärme bieten:
Großes Fernwärmeprojekt im Landkreis Lörrach
Auch der Landkreis Lörrach setzt in diesen energiepolitischen Zeiten auf Fernwärme. "Unsere besten ehrenamtlichen Verkaufshelfer sitzen in Moskau und Berlin", teilte Daniel Weiß von der Betriebsführung der Stadtwerke Rheinfelden dem SWR mit. "Je mehr Chaos, je größer ist das Bedürfnis nach lokalen Akteuren, die sich des Themas annehmen."
In acht kreisangehörigen Städten und Gemeinden gibt es bereits Wärmenetze. Diese sollen in den nächsten Jahren massiv ausgebaut und weitere dicht besiedelte Gebiete des Landkreises erschlossen werden. Auch die Schweizer Gemeinde Riehen ist Teil des grenzüberschreitenden Projekts. Die Verantwortlichen setzen hier unter anderem auf industrielle Abwärme und Holzabfälle als Energiequellen.
Bis zu 450 Kilometer Leitungen müssen verlegt werden
Wenn alles gelingt, könnten laut Weiß rund drei Viertel der Bevölkerung des Landkreises ihre Wohngebäude klimaneutral heizen. Bis dahin dauert es aber wohl noch 15 Jahre. Die größte Herausforderung: "Für ein solches Projekt muss über mindestens 15 Jahre zielgerichtet investiert werden, wir müssen über viele Wahlperioden hinweg den lokalpolitischen Konsens aufrechterhalten", so Weiß. Außerdem müssten zwischen den neun Kommunen bis zu 50 Kilometer Leitungen verlegt werden, in den Kommunen dann nochmal bis zu 400 Kilometer.