Kommunaler Umschwung zu mehr Erneuerbaren Energien

Stuttgart: Heizkraftwerk Münster soll grüne Fernwärme produzieren

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Kerstin Rudat
Kerstin Rudat

Das geplante Heizungsgesetz hat die Wärmeplanungen der Städte beschleunigt. Neuer Favorit im Energie-Mix: Fernwärme. Doch die ist meistens noch nicht grün. In Stuttgart baut die EnBW um.

Die Region Stuttgart hat mit rund 260 Kilometern Röhren eins der größten Fernwärme-Netze Deutschlands. Betrieben wird es von der Energie Baden-Württemberg (EnBW). Nur leider ist der Brennstoff-Mix aus Steinkohle, Abfall und Erdgas, bei dem die Fernwäme quasi als Abfallprodukt der Stromerzeugung entsteht, nicht grün. Das soll sich jetzt zumindest am Standort Stuttgart-Münster ändern.

In Münster soll das Heizkraftwerk abgelöst werden. Bis 2025 möchte die EnBW die Kohle-Kessel durch ein Gaskraftwerk ersetzen, das gerade gebaut wird. Das Gas soll dabei später, zwischen 2030 und 2035, durch umweltfreundlichen Wasserstoff ersetzt werden. Zudem installiert die EnBW in Münster eine der größten Wärmepumpen Europas. Ziel ist die Abkehr vom Kohlenstoff. Die EnBW verspricht sich davon eine CO2-Reduzierung von bis zu 60 Prozent.

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Fernwärme-Netz in Stuttgart ist eins der größten in Deutschland

Drei Heizkraftwerke betreibt die EnBW in Stuttgart: neben Münster noch je eins in Gaisburg und in Altbach/Deizisau, zudem das Spitzenheizwerk in der Marienstraße. Das Stuttgarter Fernwärme-Netz ist das größte der EnBW, es reicht über Esslingen bis nach Plochingen. Angeschlossen sind laut EnBW rund 28.500 Wohnungen, 1.400 Firmen und 380 öffentliche Gebäude. Außerdem betreibt die EnBW auch noch Fernwärme-Netze in Heilbronn, Karlsruhe, Ulm und Rostock. Der Anfang des Stuttgarter Netzes geht bereits auf das Jahr 1935 zurück. Das Wasser, das durch die Leitungen transportiert wird, ist 80 bis 130 Grad warm.

Ein Mann montiert etwas in luftiger Höhe in einem Neubau eines Gas-Werkes der EnBW.
In Stuttgart-Münster baut die EnBW ein neues Heizkraftwerk, das zuerst mit Gas, später mit Wasserstoff betrieben werden soll.

Momentan mache die Fernwärme etwa 17 Prozent der verbrauchten Wärmeenergie in Stuttgart aus. Auch die Stadt Stuttgart möchte bis 2035 eine klimaneutrale Wärmeversorgung erlangen. Ein vollständiges Konzept für die gesamte Wärmeplanung mit regenerativen Energien wird es frühestens Ende 2023 geben; zuletzt gab es aber schon einmal eine grobe Vorplanung, nachdem die Stadt Potenziale analysiert hatte. Denn es geht auch um die Chancen und den Ausbau von anderen grünen Energie-Arten wie Geothermie, Abwärme oder Photovoltaik. Zudem wurden die Stadtwerke strategisch und finanziell neu aufgestellt.

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Stuttgarts Probleme beim Fernwärme-Ausbau

Klar ist: Stuttgart will die Fernwärme ausbauen und dazu den Anteil von 17 Prozent in den kommenden Jahren verdoppeln, eigentlich aber sogar verdreifachen. "Wir haben da Nachhol- und Verbesserungsbedarf", sagt Martin Körner, Leiter des Grundsatzreferats Klimaschutz, Mobilität und Wohnen im Stuttgarter Rathaus. Körner beschäftigt sich momentan auch mit der Energieplanung der Stadt. Aber ein Problem gäbe es da natürlich: die Kessellage. "Das Netz liegt im Talkessel, und in dem Moment, wo es höher geht, kriegst du die Fernwärme nicht mehr so einfach nach oben."

Ein anderes Problem: Vermutlich lassen sich in Stuttgart nicht beliebig weitere Leitungen bauen. Aber man wolle die Haushalte gerne ans Fernwärme-Netz anschließen können, bei denen Anschlüsse quasi vor der Haustür liegen. Das sei beispielsweise am Stöckach der Fall, so Körner. "Da geben wir auch noch mal städtisches Geld dazu, wenn sich jemand an das Netz anschließen möchte."

Blick auf Häuser in Stuttgart
Ein Problem beim Ausbau der Fernwärme in Stuttgart: die Kessellage (Archivbild).

Ludwigsburg: Vorbildlich bei Wärmeplanung mit Erneuerbaren Energien

Ludwigsburg ist schon etwas weiter und gilt in der Region Stuttgart als vorbildlich in Sachen Wärmeplanung. Eine Holzhackschnitzel-Anlage gibt es bereits. Und auch das Konzept zur kommunalen Wärmeplanung sei quasi fertig. Das werde auf mehreren Techniken fußen, so Bau-Bürgermeisterin Andrea Schwarz (SPD).

"Wir brauchen einen Mix: Solaranlagen, Flusswasser-Wärme, Abwasser-Wärme, Erdwärme, größere Wärmepumpen."

"Wir werden eine Vielzahl von regenerativen Wärme-Erzeugungen prüfen und in der Stadt umsetzen müssen. Das Ziel ist, 75 Prozent der Stadt mit Fernwärme zu versorgen", sagt Schwarz. Dafür müssten aber noch 100 Kilometer Fernwärme-Leitungen gebaut werden. Das bedeutet bis 2035 jedes Jahr 15 Kilometer neue Leitungen. Also nicht nur Baustellen in der Stadt, sondern auch große Investitionen. Und wo sollen die ganzen Handwerker dafür herkommen?

Wärmeplanung: Viele Fragen sind bei den Kommunen noch offen

Diese Fragen stellen sich gerade viele Kommunen. Denn bevor mit der Umstellung auf regenerative Energien etwas erwirtschaftet werden kann, stehen erst einmal überall hohe Investitionen in vergleichsweise kurzer Zeit an. Bürgermeisterin Andrea Schwarz in Ludwigsburg sagt: "Ich erwarte mir da auch Wegweisungen von Land und Bund, wie das gewährleistet werden kann. In Schleswig-Holstein werden beispielsweise Bürgschaften ausgegeben vom Land, das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Wir müssen diejenigen, die vor Ort die Wärme-Wende umsetzen sollen, auch in die Lage versetzen, dies zu tun." Förderungen und mehr Unterstützung von Land und Bund wünscht sich auch Martin Körner in Stuttgart.

Experte: "Die Politik hat Regelungen und Umbau zu lange schleifen lassen"

Dabei weiß man eigentlich schon recht lange, auf welche Probleme und Engpässe die Kommunen bei der Energiewende zusteuern. Beispielsweise gibt es unter Beteiligung der Universität Stuttgart eine Studie, den Ariadne-Report, der sich mit dem Gelingen der Klimaneutralität bis 2035 beschäftigt. Ein Bericht zur ersten Forschungsphase wurde im Februar vorgestellt. Da ging es vor allem um Fernwärme. Denn, so die Forscher, durch Kohleausstieg und Gaskrise ist die Fernwärme seit vergangenem Herbst wieder vermehrt bei der Energie-Planung in den Fokus gerückt.

"Die Politik ist nicht auf die Transformation der Wärmeversorgung vorbereitet."

Laut Markus Blesl vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart, der an der Studie beteiligt ist, ist die Politik aber nach wie vor nicht darauf vorbereitet. "Die Transformation der Wärmeversorgung ist eine großteils planerische, strategische Aufgabe, die in der Vergangenheit von der Politik nicht angenommen wurde" - so steht es auch in der Studie. Und jetzt stehe man vor verschiedenen Problemen auf verschiedenen Ebenen, angefangen bei der fehlenden Liberalisierung der Energiewirtschaft über Effizienz und Finanzierung bis hin zu Lücken bei der Städteplanung.

Umdenken in der Städteplanung gefordert

Es gebe keine Gesamtkonzeptionen bei Städten und Gemeinden mit einer inklusiven Energieversorgung und im Sinne einer zukunftsorientierten, nachhaltigen Städteplanung. Blesl nennt das Beispiel Glasfaser: "Da reißen Sie dann mehrmals die Straße auf. Warum nicht gleichzeitig auch Leitungen für Fernwärme mit legen? Oder bei der Errichtung eines Abwasserkanalsystems?" Zudem: Bei den Kommunen selbst gebe es in der Regel kein Amt oder Stellen, die die Planungen sinnvoll verzahnen. Blesl spricht von einem "Versäumnis". Und jetzt renne die Zeit.

Großwärmepumpen: Münster Teil eines bundesweiten Pilotprojekts

Die Autorinnen und Autoren der Studie sind aber dennoch zuversichtlich: Ein Umstieg auf Erneuerbare Energien sei im Stromsektor sehr viel besser und schneller zu machen als in den Bereichen Gebäudesanierung und Verkehr. Die Expertinnen und Experten empfehlen neben Geothermie den Einsatz von Großwärmepumpen - so, wie es in Stuttgart-Münster passieren soll, als Teil des bundesweiten Pilot-Verbundforschungsprojekts "Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen".

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