Umbau zu Klimaneutralität

Fernwärme in Stuttgart: Die wichtigsten Fragen und Antworten

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Kerstin Rudat
Kerstin Rudat
Siri Warrlich
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Stuttgart will bis 2035 klimaneutral sein. Dafür muss sich auch die Art des Heizens ändern. Welche Rolle Fernwärme dabei spielt und warum die Stadt sogar gegen die EnBW vor Gericht gezogen ist.

In den nächsten Jahren müssen die Kommunen in Deutschland den Umbau hin zur Klimaneutralität schaffen. Daran hat der Gebäudesektor einen großen Anteil. Vor Ort in den Städten laufen die Planungen, so auch in Stuttgart: Die Stadtwerke Stuttgart entwickeln derzeit einen kommunalen Wärmeplan, der als Basis einer Strategie der Wärmeversorgung bis zum Jahr 2035 dienen soll. Der Wärmeplan soll bis Ende 2023 fertig sein und alle zwei Jahre fortgeschrieben werden.

Eine deutlich stärkere Rolle als bislang soll dabei künftig die Fernwärme spielen. In Stuttgart gibt es zudem einen alten Rechtsstreit, der interessante Fragen zur Wettbewerbslage bei der Fernwärme aufwirft. Ein Überblick zum Thema Fernwärme in der Landeshauptstadt:

Was ist Fernwärme überhaupt?

Fernwärme ist Wärme, die nicht im Wohnhaus erzeugt wird, sondern aus einem Kraft- oder Heizwerk in der Umgebung kommt. Meistens wird dort Wasser erhitzt, das dann durch isolierte Rohre in die Häuser geleitet wird. Etwa jede siebte Wohnung in Deutschland wird mit Fernwärme beheizt.

Warum wird gerade so viel über Fernwärme geredet?

Fernwärme spielt eine wichtige Rolle beim klimaneutralen Umbau des Heizens und Wohnens in Deutschland. Denn wer an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist, müsse sich keine Gedanken mehr über eine Wärmepumpe oder andere Alternativen machen, so Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD). "Wenn man im Fernwärmegebiet ist, muss man sich eigentlich um seine individuelle Heizung keinen Kopf machen, sondern kann sich an die Fernwärme anschließen", sagte Geywitz im Juni. Der Umstieg auf Klimaneutralität erfolgt dann nicht individuell bei den Endverbrauchern im Heizungskeller, sondern zentral in den Kraftwerken, wo die Fernwärme erzeugt wird.

Wie klimafreundlich ist Fernwärme derzeit?

Die Energie für Fernwärme stammt aktuell noch zu rund 70 Prozent aus klimaschädlichen, fossilen Energieträgern, also vor allem Kohle und Gas. Bis 2030 sollen die Wärmenetze aber bisherigen Plänen zufolge zu mindestens 50 Prozent aus Erneuerbaren Energien gespeist werden, bis 2045 müssen sie komplett treibhausgasneutral sein.

Wie hoch ist der Fernwärme-Anteil in Stuttgart?

Die dicht besiedelte Innenstadt von Stuttgart.
Noch ausbaufähig: Fernwärme in Stuttgart.

In Stuttgart wird vor allem mit Gas geheizt. Fernwärme hat bislang einen Anteil von etwa 15 Prozent (Stand: 2019). Das sei im Vergleich mit anderen Städten wenig, sagt Martin Körner (SPD), der im Stuttgarter Rathaus Leiter des Referats für Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität ist. Ein Grund dafür sei, dass es schon längere Zeit einen Streit zwischen der Stadtverwaltung und dem Energieversorger EnBW gibt, wem das Leitungsnetz in Zukunft gehören soll (s. unten). Pläne der Stadtverwaltung sehen vor, dass sich der Anteil von Fernwärme an der Wärmeversorgung in Stuttgart bis 2035 auf rund 30 Prozent erhöht.

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In Stuttgart beziehen insgesamt betrachtet nicht so viele Haushalte Fernwärme, vermutlich keine 20 Prozent. Aber es gibt einzelne Gebiete und Stadtteile, die deutlich über 60 Prozent Fernwärme-Versorgung liegen, entlang des Neckars und die Innenstadt vor allem. In den Stuttgarter Stadtteilen Freiberg, Hofen und Neugereut wird fast ausschließlich mit Fernwärme geheizt. Auch im Hallschlag und in Münster gibt es relativ viel Fernwärme. Hinzu kommen öffentliche Gebäude. Auf Stuttgarter Gemarkung sind das rund 200 Kilometer Rohrnetz. Insgesamt ist das Fernwärme-Netz in der Region Stuttgart laut EnBW eines der größten in Deutschland.

Wo gibt es Fernwärme-Anschlüsse?

Bislang kann Fernwärme vor allem im Stuttgarter Talkessel genutzt werden. Das Netz könne um einige kleinere Bereiche erweitert werden, sagt Martin Körner. Wichtiger als Erweiterungen sei aber die Nachverdichtung des bestehenden Netzes. Im Bereich Stöckach gebe es zum Beispiel bereits ein Fernwärmenetz. Aber viele Gebäude dort seien noch nicht an das Netz angeschlossen.

Wo wird die Stuttgarter Fernwärme produziert?

Die Fernwärme für Stuttgart wird von der Energie Baden-Württemberg (EnBW) zu 90 Prozent in Kraft-Wärme-Kopplung in den Kraftwerken Stuttgart-Münster, Stuttgart-Gaisburg, Altbach/Deizisau (Kreis Esslingen) und dem Spitzenheizwerk Marienstraße produziert. Als Brennstoffe werden vor allem Steinkohle, Abfall und Erdgas eingesetzt. Bei der Kraft-Wärme-Kopplung wird die parallel zur Stromerzeugung entstehende Wärme zum Heizen verwendet.

Welche Vorteile hat Fernwärme?

Fernwärme ist komfortabel: Sie kommt sozusagen gebrauchsfertig ins Haus und steht ganzjährig zur Verfügung. Es ist eine platzsparende Energie-Art, denn es muss kein Heizkessel, keine Heizung und kein Brennstoff vorgehalten werden. Die Brennstoffe werden bei der Kraft-Wärme-Kopplung optimal ausgenutzt. Es entstehen für die Bezieherinnen und Bezieher von Fernwärme keine Wartungskosten, weil die Fernwärme nicht bei ihnen direkt erzeugt wird. Und Fernwärme hat eine gute CO2-Bilanz - jedoch nur, wenn man die indirekte Herstellung betrachtet.

Gibt es auch Nachteile?

Denn: Fernwärme ist momentan alles andere als grün. Da sie beispielsweise in Stuttgart hauptsächlich als "Abfallprodukt" der Stromerzeugung in den Heizkraftwerken entsteht, ist hier die CO2-Bilanz natürlich auf den gesamten Herstellungsprozess bezogen nicht gut. Beim Transport geht Wärme verloren. Fernwärme ist nicht überall verfügbar.

Und die größten Nachteile: Verbraucherinnen und Verbraucher haben eine hohe Vertragsbindung, da es örtlich immer nur einen Anbieter gibt, sie können nicht wechseln und sich etwa wie bei anderen Energie-Arten den für sie günstigsten Anbieter heraussuchen. Die Preise liegen meistens über denen für Gas und Öl und sind nicht wirklich transparent. Auch ein Wechsel zu anderen Möglichkeiten des Heizens ist, bezieht man einmal Fernwärme, nicht mehr so einfach möglich, auf keinen Fall kurzfristig.

Wem gehört das Stuttgarter Fernwärmenetz?

Darüber streiten seit längerem die Stadt Stuttgart und der Energieversorger EnBW. Die Stadt verlangt von der EnBW, dass sie Leitungen herausgibt. Die EnBW verlangt, dass die Stadt den Konzessionsvertrag mit ihr verlängert.

Den Rechtsstreit zwischen Stadt Stuttgart und EnBW gibt es schon seit 2016. Ende 2013 ist der Konzessionsvertrag zwischen Stadt und Betreiber ausgelaufen. Statt vollständig wieder neu auszuschreiben, kam die Stadt Stuttgart auf die Idee, das Fernwärmenetz selbst zu übernehmen, notfalls per Klageweg. Dem hatte auch der Gemeinderat zugestimmt. Da die EnBW nicht verkaufen wollte, hat Stuttgart dann geklagt - über die Jahre durch alle Instanzen bis jetzt vor den Bundesgerichtshof.

Stuttgarts ehemaliger Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sah die Versorgung mit Gas, Strom, Wasser und Wärme als öffentliche Aufgabe an. Deswegen war die Idee, dass die Stadtwerke dann das Fernwärmenetz betreiben könnten. Und natürlich geht es auch um das Potenzial, das ein Ausbau bietet.

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat bei einem ersten Verhandlungstag Mitte Juli die Frage zu klären versucht, ob der Stadt Stuttgart das Eigentum am Fernwärmenetz zusteht oder ob die EnBW das Fernwärmenetz auch in Zukunft weiterbetreiben und dafür die Einräumung von Wegenutzungsrechten von der Stadt Stuttgart verlangen kann.

Urteil im Streit um das Fernwärmenetz Anfang Dezember

Ein Urteil gibt es noch nicht. Es geht um ziemlich knifflige wettbewerbsrelevante Fragen. Deswegen lässt sich der Kartellsenat Beratungszeit. Das Urteil wird demnach voraussichtlich am 5. Dezember verkündet. Der BGH betonte, man wolle mit dem Fall und dann der Entscheidung keinen Präzedenzfall schaffen. Der Fall sei individuell zu betrachten und könne nicht auf andere Kommunen übertragen werden. Andere Kommunen werden aber mit Sicherheit dennoch ganz genau dann auf das Urteil schauen.

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