Wohnungen statt Gleise

Städte fürchten um Bauprojekte wegen neuer Rechtslage - auch Stuttgart 21 betroffen?

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Wolfgang Lickert
Torsten Hansel-Engelhart

Häuser und Wohnungen, wo früher Gleise lagen: Eine Gesetzesänderung könnte solche Bauvorhaben wie am Stuttgarter Hauptbahnhof fast unmöglich machen, warnt der Deutsche Städtetag.

Eine neue Rechtslage macht wichtige Bauprojekte auf nicht mehr benötigten Bahnflächen aus Sicht des Deutschen Städtetags nahezu unmöglich - das könnte vor allem für die Stadt Stuttgart zu einem Problem werden. Denn die Stadt plant auf dem Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter anderem den Bau Tausender Wohnungen. Doch das soll mit der Gesetzesänderung nun deutlich schwieriger geworden sein. Darauf weist der Städtetag in einem Schreiben an seine Mitglieder hin, das dem SWR vorliegt.

Konkret geht es um eine Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Geregelt ist darin auch die sogenannte Entwidmung nicht mehr benötigter Bahnflächen, sodass diese verkauft und für andere Zwecke verwendet werden können. Seit der Gesetzesänderung von Ende vergangenen Jahres sind Bahnbetriebsflächen von "überragendem öffentlichen Interesse". Nur wenn andere Projekte dieses Interesse überwiegen, dürfen die Flächen entsprechend anders genutzt werden. Der Bund will damit verhindern, dass Flächen der Bahn, die später vielleicht doch noch gebraucht werden könnten, ohne weiteres verkauft und bebaut werden. Schließlich leiden die Bahn und ihre Fahrgäste noch heute unter dem jahrzehntelangen Rückbau des Schienennetzes.

Städtetag: Nur noch Projekte von überragender Bedeutung möglich

Doch die neuen Regeln legten die Hürden für jedes andere Vorhaben nun zu hoch, fürchtet der Städtetag. Demnach könnten auf den Flächen jetzt nur noch Vorhaben realisiert werden, "die ebenfalls kraft eines Gesetzes im 'überragenden öffentlichen Interesse sind'", schreibt der Verband unter Berufung auf das zuständige Eisenbahn-Bundesamt (EBA). Das könnten Projekte zugunsten der Landesverteidigung, Wind- oder Solarprojekte oder bestimmte Bundes-Fernstraßenvorhaben sein. "Der Bau von Wohnungen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen gehöre nicht dazu", so interpretiert der Städtetag zumindest Angaben des EBA.

Das könnte auch für Stuttgart zum Problem werden. Für das Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs hat die Stadt jedenfalls noch keinen Entwidmungsantrag gestellt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage des Grünen-Politikers Matthias Gastel hervor. Das neue Recht lasse eine Entwidmung des Gleisvorfeldes zugunsten von Gebäuden, wie von der Stadt Stuttgart vorgesehen, nicht zu, ist sich der Bundestagsabgeordnete sicher.

Stadt Stuttgart hat verfassungsrechtliche Bedenken

Das sieht die Stadt Stuttgart anders. Der Bund sei nicht zu einer reinen Vorratshaltung von Bahnflächen befugt, teilte ein Sprecher der Landeshauptstadt mit: "Soweit also keine positiven Planungen des Bundes für Flächen vorliegen, dürfen diese aus dem Planungsrechtsbereich der Städte und Gemeinden nicht entzogen werden." Eine künftige Nutzung der heutigen Bahnflächen sei vom Bund in Stuttgart nicht vorgesehen. "Der Erhalt der bloßen Möglichkeit einer künftigen Bahnnutzung durch den Bund genügt verfassungsrechtlich nicht, die Entwidmung der heutigen Gleisflächen im Zentrum der Stadt zu verweigern", teilte der Sprecher mit.

Das Projekt Stuttgart 21 und das Städtebauprojekt Stuttgart Rosenstein schaffen neue Infrastrukturen, sie ersetzen den Zweck der heutigen Bahnanlagen vollständig.

Doch der Städtetag warnt in seinem Schreiben vor Folgen auch über die Landeshauptstadt hinaus: Wie man aus einer ersten Umfrage bei den Mitgliedern des Bau- und Verkehrsausschusses des Deutschen Städtetages erfahren habe, stehe zu befürchten, dass zahlreiche Projekte vor Ort - insbesondere auch Wohnungsbauvorhaben - zum Stillstand kommen werden. Die Stadt Stuttgart kündigte an, sich nun mit anderen Betroffenen vernetzen und sich für die Gewährleistung ihrer Rechte einsetzen zu wollen.

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Auf dem derzeitigen Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs soll nach den Plänen der Stadt das Rosenstein-Quartier gebaut werden, ein neuer Stadtteil mit bis zu 5.800 Wohnungen. 10.000 bis 12.000 Menschen sollen hier künftig wohnen, Schulen, Kindergärten und Grünflächen entstehen. 85 Hektar Fläche werden frei, wenn die oberirdischen Gleise zurückgebaut sein werden. Es ist Stuttgarts größtes Stadtentwicklungsprojekt.

Grünen-Politiker für hohe Hürden bei Entwidmung von Bahnstrecken

Gastel erkennt das Problem an, befürwortet aber weiterhin hohe Hürden für die Entwidmung von Bahnflächen. "Wir werden als Grüne einer Bebauung des Gleisvorfeldes nicht generell im Wege stehen", teilte er am Sonntag mit. Zu einer neuerlichen Änderung des Eisenbahngesetzes sei seine Partei bereit. "Für Stuttgart wie auch anderswo muss es aber weiterhin hohe Hürden und harte Bedingungen für Entwidmungen geben: Freistellungen von Bahnbetriebszwecken dürfen dem von dieser und auch früheren Bundesregierungen angestrebten Wachstum auf der Schiene nicht im Wege stehen." Ziel der Bundesregierung sei die Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030. "Möglichkeiten für dieses Ziel dürfen nirgendwo verbaut werden", betont Gastel. 

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