Auf die Stadt Stuttgart kommen in den nächsten Jahren Ausgaben in Milliardenhöhe zu. Dafür muss die Stadt - die seit 2018 schuldenfrei ist - Kredite in Rekordhöhe aufnehmen. Die Rede ist von 3,4 Milliarden Euro. Obwohl das mehr als jeglicher Kredit zuvor ist, wird das wohl nicht reichen. Das geht aus Unterlagen der Stadt hervor, die dem SWR vorliegen. Insgesamt fehlen der Landeshauptstadt demnach allein für größere Projekte 7,4 Milliarden Euro, die durch den Kredit nicht aufgefangen werden.
- Wie kommt der Bedarf von 7,4 Milliarden Euro zustande?
- Welche Bereiche sind betroffen?
- Was heißt das für das Rosensteinquartier und Stuttgart 21?
- Inwiefern sind Staatsoper und Schulen betroffen?
- Wie geht es weiter?
- Ist Stuttgart ein Sonderfall?
Wie kommt der Bedarf von 7,4 Milliarden Euro zustande?
Hintergrund für die Zahl ist ein Dokument aus dem Referat Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen der Stadt Stuttgart. Darin wird aufgelistet, welche Projekte nach bisherigen Schätzungen wie viel Investitionskosten bis ins Jahr 2028 verursachen. Projekte, die weniger als 25 Millionen Euro kosten, sind darin noch nicht berücksichtigt. Es zeichnet sich dennoch ab: Auf die Stadt Stuttgart dürften massive finanzielle Probleme zukommen.
Welche Bereiche sind betroffen?
Die drei größten Posten machen dabei die Investitionen in Schulen, Infrastruktur und Stadtentwicklung aus. 3,518 Milliarden Euro Defizit allein in diesen Bereichen. Gefolgt vom Kulturbereich. Rechnet man den Kulturbereich mit dem Staatstheater zusammen, entsteht hier ein Defizit von 996 Millionen Euro.
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Was heißt das für das Rosensteinquartier und S21
Auch für eines der größten Investitionsprojekte fehlt also das Geld: für das Rosensteinquartier. Auf den bisherigen Gleisflächen des Kopfbahnhofs soll ein komplett neuer Stadtteil entstehen. Mit Sozialwohnungen, Gewerbeflächen, Schulen und Parks. Eine Milliarde würde nach den Schätzungen in den Unterlagen die Stadtentwicklung kosten, noch mal 650 Millionen der Bau von Schulen. Insgesamt stehen bisher lediglich 11 Millionen zur Verfügung.
Falls das Rosensteinquartier nicht zustande kommen würde, dürften die Folgen kaum vorstellbar sein. Damit würden sich wohl auch beim Großprojekt Stuttgart 21 die Karten neu mischen. Denn das Hauptargument, warum die Stadt überhaupt seinerzeit dem Großprojekt Stuttgart 21 zugestimmt hat, fällt dann weg. Aktuelle Streitigkeiten, inwiefern der Kopfbahnhof erhalten werden könnte, ob die sogenannte Gäubahn von Zürich über Singen nach Stuttgart wirklich jahrelang unterbrochen werden muss, würden in einer anderen Dimension weiter geführt werden.
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Inwiefern sind Staatsoper und Schulen betroffen?
Auch die Sanierung der Staatsoper taucht in der Auflistung auf. Denn der Kulturbereich mit Staatstheater hätte ein Finanzierungsdefizit von einer Milliarde Euro. Alleine in den sogenannten Littmann-Bau, also dem bisherigen Opernhaus, müssten in den kommenden Jahren 530 Millionen Euro von der Stadt fließen. Der Interimsstandort für die Zeit, während das Opernhaus saniert wird, schlägt mit 110 Millionen Euro zu Buche. Insgesamt rechnet man bei der Opernsanierung mit Kosten von rund einer Milliarde Euro.
Der größte Posten an Investitionen taucht bei den Schulen auf. Denn wie fast überall sind auch in Stuttgart die Schulen dringend sanierungsbedürftig. Rechnet man zum Bau neuer Schulen im Rosensteinquartier die restlichen geplanten Schulprojekte dazu, sind das 1,7 Milliarden Euro, die investiert werden müssen. Davon stehen aktuell lediglich 523 Millionen Euro zur Verfügung. Ein Defizit von 1,208 Milliarden Euro bleibt. Darunter fällt beispielsweise die Sanierung des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Stuttgart Sillenbuch. Oder die der Neubau und die Umstrukturierung mit neuem Gymnasium am Campus Feuerbach.
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Wie geht es weiter?
Die Gretchenfrage bleibt: Wie soll mit dem Haushaltsdefizit umgegangen werden? Klar sein dürfte, dass die 7,4 Milliarden nicht einfach aufgetrieben werden können. Man wird abspecken müssen, womöglich Projekte auf unbestimmte Zeit verschieben oder streichen müssen. Die Stadträte selbst wissen wohl schon seit Monaten, dass man auf finanzielle Probleme zusteuert. Aus dem Gemeinderat heißt es gegenüber dem SWR: "Der Kampf um die Projekte hat begonnen."
Das Fazit des Wirtschafts- und Finanzreferats ist deutlich: "Investitionen in diesem Umfang nicht finanzierbar!" und "Investitionsstrategie dringend erforderlich", heißt es in den Unterlagen. Das bestätigt auch Stuttgarts Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) auf SWR-Anfrage. Für 2024 und 2025 bestehe noch eine positive Ausgangssituation und ein stabiles wirtschaftliches Fundament. "Die Lage spitzt sich dann für die mittelfristige Finanzplanung ab dem Jahr 2026 zu", so Fuhrmann am Dienstag. "Noch besteht die Möglichkeit, der Entwicklung entgegenzusteuern."
Wie also damit umgehen? "Es müssen Prioritäten gebildet werden", sagt Fuhrmann. Das Investitionsvolumen sei zu hinterfragen. "Den Vorrang haben die bestehende Infrastruktur oder der Ersatz vorhandener Infrastruktur, keine zusätzlichen Projekte." Auch die Folgekosten von Investitionen müssten dabei bedacht werden. In den kommenden Monaten sollen sich Ausschüsse und Gemeinderat mit der Thematik beschäftigen.
Ist Stuttgart ein Sonderfall?
Ist Stuttgart mit dieser finanziellen Problematik ein Einzelfall? "Nein", erklärt Susanne Nusser, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin vom Städtetag Baden-Württemberg dem SWR. "Vom Verhältnis Investitionsvolumen zum Haushalt gibt es solche Situationen überall in Baden-Württemberg." Aktuell seien etwa 60 Prozent der Kommunen in Baden-Württemberg finanziell nicht ausgeglichen, bei den Landkreisen seien es sogar 80 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass diese Zahl in den kommenden ein bis zwei Jahren auf nahezu 100 Prozent ansteigen wird." Seit längerem warnt der Städtetag davor, dass die Mittel der Städte ausgehen werden. "Die Dramatik ist groß", sagt Nusser.
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Das Problem, so Susanne Nusser: "Die Kommunen haben ihre Rücklagen aufgebraucht. Die Corona-Pandemie, der Sanierungsstau, die Inflation und die Tarifsteigerungen führen dazu, dass die laufenden Einnahmen nicht mehr die Ausgaben decken können." Dazu kommt, dass eine Kommune nicht unbegrenzt Kredite aufnehmen kann. Das Regierungspräsidium darf einem Kredit nur dann zustimmen, wenn die Stadt belegen kann, dass der Kredit wieder abgebaut werden kann.
Regierungspräsidium fordert Konsequenzen
Die Stadt Stuttgart kann also nicht einfach noch weitere Schulden machen. Das bestätigt auch Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann dem SWR: "Hier attestiert das Regierungspräsidium Stuttgart eine 'bedenkliche Ertragslage'. Diese weist eine kritische Entwicklung auf, der Schuldenstand steigt rasant an." Diese Entwicklungen wären dann für das Regierungspräsidium nicht mehr genehmigungsfähig.
Das Regierungspräsidium fordert die Stadt Stuttgart daher noch im Jahr 2024 dazu auf, frühzeitig vor Aufstellung des nächsten Doppelhaushaltsplans darzulegen, wie dieser Entwicklung entgegengewirkt werden soll. Bereits vor zwei Wochen berichtete die Stuttgarter Zeitung, dass das Regierungspräsidium von der Stadt gefordert hat, bei den geplanten Investitionen zu handeln.