Die Kandidaten für das "Spiel des Jahres 2024" stehen fest und sind am Dienstag bekanntgegeben worden. Die Brettspiele haben Chancen auf den Preis, der auch als "Oscar der Spiele" gilt. Auch Wolfgang Kramer gehörte fünf Mal zu den Preisträgerinnen und Preisträgern - so oft wie niemand sonst. Heute, mit über 80 Jahren, lebt er in Stuttgart und tüftelt weiter an neuen Ideen.
Ein kleines Zimmer voll großer Leidenschaft: Eine ganze Regalwand mit Karten- und Brettspielen dominiert die paar Quadratmeter, ringsum und auf den zwei Schreibtischen türmen sich Spielekartons, teils wagemutig aufgeschichtet. Der Blick aus der Fensterfront an der Stirnseite der Kammer geht weit hinaus über Stuttgart und das Umland. Dort, jenseits des Neckars in Bad Cannstatt, ist Wolfgang Kramer 1942 geboren worden. Dort saß er bereits mit der Großmutter am Küchentisch und hat "Mensch ärgere Dich nicht" gespielt.
Fünf Mal das "Spiel des Jahres", den "Brettspiel-Oscar", für Kramer
Und heute sitzt er hier, im obersten Stockwerk von einem der Wohntürme der gediegenen Seniorenresidenz Augustinum auf dem Killesberg in Stuttgart und macht, was er im Grunde zeitlebens gemacht hat: Brettspiele erfinden, Kartenspiele austüfteln. Seit den 1970er-Jahren veröffentlicht er Spiele, fünf Mal hat er bereits das "Spiel des Jahres", quasi den "Spiele-Oscar", gewonnen. Und den "Deutschen Spielepreis", sozusagen der "Spiele-Grammy", hat er unter anderem für sein Lebenswerk erhalten.
Kramer war der erste Spieleerfinder in Deutschland, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Dafür hat er in den Achtzigern einen guten Job, die Leitung eines Rechenzentrums bei Bosch in Stuttgart, aufgegeben. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat und das er nie bereute. Sein erfolgreichster Titel, das Kartenspiel "6 nimmt!", ist mittlerweile in 54 Sprachen erschienen. Die Verkaufszahlen sind siebenstellig.
Fünf neue Karten- und Brettspiele im Herbst
Solche Ansammlungen an Superlativen vermutet man kaum, wenn man die Dreizimmerwohnung betritt. Seit 13 Jahren wohnen Wolfgang Kramer und seine Frau Ursula im Augustinum. Sie sind Erstbezieher der Seniorenresidenz, die zahlungskräftigen Kundinnen und Kunden einen komfortablen Lebensabend ermöglicht. Den Umzug vom nahen Korntal bei Ludwigsburg auf den Stuttgarter Killesberg hat Kramer aber keinesfalls genutzt, um sich in den Ruhestand zu verabschieden. Er erfindet weiter Spiele - fünf neue Titel von ihm werden im Herbst erscheinen.
Doch lockt nicht längst das Altenteil? "Hat Martin Walser je aufgehört zu schreiben?", entgegnet Kramer. "Man hört niemals auf, wenn man besessen ist. Und ich bin spielebesessen!". Bei den Worten grinst er verschmitzt, wird aber gleich wieder ernst. "Die Leidenschaft für mich", sagt Kramer - und dann hält er für einen Moment inne und schaut zu seiner Frau Ursula, die im Türrahmen steht und zuhört. "Die Leidenschaft für mich sind meine Frau - und dann die Spiele."
Ursula Kramer hat an fast allen der 300 Spiele mitgearbeitet
Ursula Kramer ist in Sachen Brettspiel seine Managerin, Organisatorin und erste Kritikerin. Die 85-Jährige hat den Schreibtisch direkt neben dem ihres Mannes. Sie macht viel Korrespondenz, bastelt aber auch mit an den Prototypen der Spiele. Früher hat sie in einer Bank gearbeitet. Seit Jahrzehnten begleitet und unterstützt sie aber ihren Mann Wolfgang in seinem Tun. Und in jedem der mittlerweile über 300 veröffentlichten Spiele steckt auch viel Arbeit von ihr mit drin.
Spieleerfinder sieht sich als "Botschafter des Spiels"
Es geht hinunter ins Erdgeschoss des Augustinums. Dort, in einem Veranstaltungsraum, kommen diesen Abend gut anderthalb Dutzend Mitbewohnerinnen und Mitbewohner der Kramers zusammen zum monatlichen Spieletreff. Die jüngsten sind etwa Mitte 70, die ältesten über 90 Jahre alt. Man siezt sich aus alter Gewohnheit. Drei Runden wird gespielt, die Runden sind gelöst und heiter. Ursula und Wolfgang Kramer betreuen je einen Tisch, den dritten betreut Doris Mörike, eine weitere passionierte Spielerin aus der Seniorenresidenz.
"Ich fühle mich als Botschafter des Spiels", sagt Wolfgang Kramer. Ihm liegt viel daran, das Spielen von Brett- und Kartenspielen populär zu machen und es zu verbreiten - im Augustinum wie auch überall sonst. "Ich glaube, dass das Spiel für die Menschheit sehr, sehr wichtig ist." Schließlich verbinde das Spielen die Menschen "wie eine Brücke" über Nationen und Generationen hinweg. Brettspielende seien gute Menschen, davon ist er überzeugt.
Besondere Anforderungen für Brettspiele mit Senioren
Im Augustinum werden an diesen Abend zwei Spiele gespielt: das schon erwähnte "6 nimmt!" und ein aktuelles Spiel von Kramer aus dem Jahr 2022, das den belgischen und niederländischen Spielepreis gewonnen hat, "Die Wandelnden Türme". Es sind zwei klassische "Kramer-Spiele". "Bis zum Schluss sind alle dabei, bis zum Schluss hat jeder noch eine Chance zu gewinnen", erklärt der Autor. Er entwickelt gerne Spiele für viele Spielende: "Die größere Spielrunde, da geht mein Herz auf."
Beim Spielen mit Seniorinnen und Senioren kommen noch weitere Kriterien dazu: "Das sind alles Spielende, die weit über 70, gar über 80 und 90 sind. "Man muss alles gut sehen, also keine kleinen Zahlen oder Texte." Die Spiele müssen einfach und leicht verständlich sein, zudem dürfen sie auch nicht zu lange dauern. "Wichtig ist mir aber auch - und deshalb mache ich diese Spieleabende, dass die Leute immer etwas Neues lernen", sagt Kramer. "Das ist wichtig für unsere grauen Zellen." Es geht ihm also auch um geistige Fitness bis ins hohe Alter. "Da kann das Spiel viel zu beitragen."
Gute Resonanz zu Kramers Spielen am Spieletisch
Die Spielenden in der Seniorenresidenz sind an diesem Abend begeistert dabei. "Das macht Spaß und geht zügig, ein schönes Familienspiel - und wir sind ja eine Familie", sagt Hans-Jörg Auber. Der 83-Jährige beugt sich gerade über seine Kartenhand, er sitzt am "6 nimmt!"-Tisch. Christa Bolz ihm gegenüber ist auch zufrieden, zumal sie bislang wenig Minuspunkte eingefahren hat. Es ist ein Spiel, das ihr voll reinlaufe: "Es geht flott, man kann es nicht richtig kalkulieren - das ist nett."