Religionskritik oder "Katholen-Bashing"?

Provokante Oper "Sancta" in Stuttgart spaltet die Gemüter

Stand

Die Opernperformance "Sancta" ist ab 18 Jahren, die Staatsoper spricht Triggerwarnungen aus. Aus der katholischen Kirche ist Kritik zu hören, Kunststaatssekretär Braun sieht es anders.

Stuttgarts katholischer Stadtdekan Christian Hermes sieht die freizügige und blutige Opernperformance "Sancta" in Stuttgart kritisch. Bei ihm kämen seit der Premiere am Samstag "wirklich beunruhigende Rückmeldungen" an, sagte Hermes der Katholischen Nachrichten-Agentur - dazu gehöre, dass "religiöse Gefühle entgegen aller sonst gepflegten politischen Korrektheit obszön verletzt werden".

Stadtdekan Christian Hermes kritisiert "Katholen-Bashing"

Hermes sagte, natürlich gehe es auch um ein "Katholen-Bashing", wie ein Kritiker gejubelt habe. "Da braucht mir auch niemand erzählen, man wolle keine religiösen Gefühle verletzen", so Hermes. Nun sorgten sich viele, auch im Rat der Religionen Stuttgart, was noch in der Oper Stuttgart komme, sagte er: "Juden-Bashing"? "Muslimen-Bashing"? Zugleich äußerte der Stadtdekan "Respekt vor der künstlerischen Radikalität" von Regisseurin Florentina Holzinger. "Sie legt schonungslos den Finger in die Wunde patriarchaler und klerikal-religiöser Herrschaft." Das sei "richtig und wichtig", denn es gebe "eine schlimme Schuldgeschichte unserer Kirche".

So diskutieren die Nutzerinnen und Nutzer im Instagram-Kanal von SWR Aktuell über die Opernperformance "Sancta":

Opernhaus warnt vor heftigen Szenen in "Sancta"

Trotz einer Altersfreigabe ab 18 Jahren und fettgedruckten Warnhinweisen hinterlässt die Opernperformance in Stuttgart ihre Spuren bei einigen Besucherinnen und Besuchern. Rund um die ersten beiden Vorstellungen von Florentina Holzingers "Sancta" habe sich der Besucherservice um insgesamt 18 Menschen gekümmert, die zum Teil über Übelkeit geklagt hätten, sagte der Sprecher der Staatsoper, Sebastian Ebling. In drei Fällen habe ein Arzt dazu geholt werden müssen. Zuerst hatte die "Stuttgarter Zeitung" berichtet.

Staatssekretär Braun und Intendant Schoner verteidigen "Sancta"

Der baden-württembergische Kunststaatssekretär Arne Braun (Grüne), der die Premiere selbst besucht hatte, kommt bei der Beurteilung von "Sancta" zu einem anderen Ergebnis: "Diese Fragen nach Spiritualität, Glaube, Gemeinschaft und Rolle der Geschlechter müssen verhandelt werden, immer wieder aufs Neue, auch auf der Bühne", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist die Idee hinter der Freiheit von Kunst. Und wer sich das nicht anschauen will, bleibt bitte weg."

Viktor Schoner, der Intendant der Staatsoper Stuttgart, sagte im SWR, man wolle mit der Opernperformance niemanden vor den Kopf stoßen. Ziel von "Sancta" sei nicht die Provokation, sondern Aufklärung.

Es geht nicht um Provokation, sondern es geht tatsächlich um Aufklärung und um gemeinsames Miteinander, wie man Theater erleben will.

Regisseurin sorgt mit ihren Inszenierungen für Aufsehen

Mit ihren Arbeiten, bei denen sie radikal und freizügig weibliche Körper in Szene setzt, schmerzhafte Stunts einbaut und auch vor Trash nicht zurückschreckt, sorgt Holzinger seit Jahren für Aufsehen in der Theaterwelt. In "Sancta" bringt sie mit aufreizender Deutlichkeit lesbische Liebesszenen auf die Bühne, zieht christliche Rituale ins Lächerliche und prangert die sexuelle Unterdrückung der Frau an. 

Spiritualität, Sexualität, aber auch Religionskritik und ein kritischer Blick auf religiöse und gesellschaftliche Gewalt stünden im Mittelpunkt der Aufführungen, informiert auch die Staatsoper. "Grenzen auszuloten und lustvoll zu überschreiten war von jeher eine zentrale Aufgabe der Kunst", zitiert die Oper ihren Intendanten Viktor Schoner. 

So hat der SWR am 7. Oktober 2024 über die Premiere der Opernperformance "Sancta" berichtet:

Opernhaus warnt ausdrücklich vor Blut und Gewalt

Das Haus warnt auf seiner Homepage aber auch ausdrücklich, die Aufführung der skandalumwitterten österreichischen Aktionskünstlerin zeige explizite sexuelle Handlungen sowie Darstellungen und Beschreibungen auch von sexueller Gewalt. Auch seien echtes Blut sowie Kunstblut, Piercingvorgänge und eine Verwundung zu sehen. Stroboskopeffekte, Lautstärke und Weihrauch würden ebenfalls eingesetzt. 

Die Oper empfiehlt die Performance Zuschauern, die "wagemutig auf der Suche nach neuen Theatererfahrungen sind", wie es auf der Homepage heißt. Allerdings sei Performancekunst neben dem Einsatz einiger Theatermittel eben "kein Fake, sondern echt", sagte Ebling. Im Fall der in "Sancta" gezeigten, auch sexuellen Gewalt warnt das Haus daher auch explizit vor Retraumatisierungen. 

Performance-Künstlerin Florentina Holzinger sitzt auf einem Stuhl (Archivbild)
Regisseurin und Choreografin Florentina Holzinger ist bekannt für aufsehenerregende Performance-Inszenierungen.

Stuttgarter Oper lehnt Änderungen ab

Nach Angaben von Opernsprecher Ebling soll mit Blick auf die noch geplanten "Sancta"-Abende nichts geändert werden. Auch kämen Übelkeit und Ohnmacht in einer Oper immer wieder vor, sagte er. Die Premiere von "Sancta" sei umjubelt gewesen. Er sei überzeugt, es seien im Wesentlichen Menschen in den Besucherreihen gewesen, "die wussten, auf was sie sich einlassen".

Am Donnerstag ergänzte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, es gebe für die verbliebenen fünf Vorstellungen in Stuttgart keine Karten mehr. "Nachdem die Nachrichten gestern explodiert sind, sind von gestern auf heute sämtliche verbleibenden Vorstellungen ausverkauft worden", sagte er. Nach Stuttgart ist das Stück Ende November an zwei bereits ausverkauften Abenden an der Volksbühne in Berlin zu sehen. 

Keine Vorfälle bei Aufführungen in Schwerin

Ähnlich begeisternd muss es auch Ende Mai und im Juni bei der Premiere in Schwerin gewesen sein. Wenngleich ohne vergleichbare Folgen, wie Katharina Nelles, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit beim Mecklenburgischen Staatstheater, betonte. Es habe glücklicherweise bei keiner der vier ausverkauften Vorstellungen von "Sancta" Vorfälle gegeben, bei denen der Besucherdienst oder die anwesenden Sanitäter aufgrund von Ohnmacht oder Übelkeit gerufen worden seien, sagte sie.

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