Stell dir vor, du kommst zum Bahnhof und deine Bahn fährt nicht. Keine Utopie, sondern für viele Fahrgäste der DB und der S-Bahn Stuttgart häufig Realität. Leider! Diesmal ist die Information wenigstens vorab im Internet zu finden: Vom 8. bis 12. Juli fahren die S-Bahn-Linien S4 und S5 nur noch jede halbe, statt jede Viertelstunde.
Ärgernis: Fahrgäste müssen wegen kranken Lokführern leiden
Der Grund für dieses ausgedünnte Angebot laut DB: anhaltend hoher Krankenstand. Wie viele Lokführerinnen und Lokführer ausfallen, will die Deutsche Bahn nicht sagen. Unklar auch, warum sie ausfallen: Hat sich beim Public Viewing während der Fußball-EM etwa wieder ein Covid-Virus unter die Fans gemischt und fröhlich mitgefeiert?
Dass wegen der Erkrankung des S-Bahn-Personals auch Fahrgäste heftig leiden müssen, finde ich ein Ärgernis. Denn die DB streicht bei Personalausfall gleich auf kompletten Linien den Viertelstundentakt. Um den Kundinnen und Kunden ein verlässliches Angebot machen zu können, so die Argumentation. Man könnte auch sagen: Das ist leichter zu disponieren.
Hoher Krankenstand Ausfälle bei der S-Bahn in Stuttgart: Welche Linien trifft es?
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Fahrgäste bekommen nicht das Angebot, wofür sie zahlen
Immer wieder das halbe Angebot zum vollen Fahrpreis: Kein Wunder, dass da viele Homeoffice machen, wann immer es geht. Oder aufs Auto umsteigen. Weil sehr oft "meine" S3 betroffen ist, gehöre ich mittlerweile auch dazu. Manche Menschen haben aber keine Alternative - weil sie kein Auto haben oder noch keines fahren dürfen. Schülerinnen und Schüler beispielsweise. Bei denen geht blöderweise nicht mal Homeschooling. Das bieten Schulen nämlich nur zu Pandemiezeiten an!
Liebe Bahnmanager, Sie verprellen für die Zukunft Kunden, die jetzt noch - gezwungenermaßen - mit Ihnen fahren. Wie sagte vor kurzen eine junge Frau zu ihrem Vater, als ihre Bahn auf der Murrbahn-Strecke festhing: "Siehst du Papa, jetzt weißt du, warum ich mich darauf freue, dass ich ab nächster Woche einen Führerschein habe!"
Dass die Bahn jetzt den Viertelstundentakt sogar auf zwei Linien ausdünnt, der S4 und der S5, zeigt wie dünn offensichtlich die Personaldecke ist. 400 Fahrerinnen und Fahrer hat die S-Bahn Stuttgart. Laut Bahnangaben sind in den vergangenen drei Jahren 180 Mitarbeitende eingestellt worden, um sie als Fahrpersonal auszubilden. Dieses Jahr kämen weitere 90 dazu. Trotzdem reicht es hinten und vorne nicht.
S-Bahn-Personal macht sich vom Acker
Die Krankenstände beim Fahrpersonal seien deutlich höher als vor Corona, gibt die DB zu. Außerdem habe man eine hohe Fluktuation. Sprich: Das Personal macht sich vom Acker. Weil der Dienst sehr belastend sei. Dazu kommen ständig Probleme durch die im Großraum Stuttgart störanfällige alte Technik. Auch davon haben nicht nur Fahrgäste die Nase voll, sondern - bei Durchsagen immer wieder hörbar - auch viele Lokführerinnen und Lokführer.
Man kann sich sein Personal nicht backen und andere Branchen haben auch Schwierigkeiten, ausreichend Personal zu finden. Schon klar. Aber viele Bahnprobleme sind selbstgemacht. Früher sei störungsanfällige Technik regelmäßig ausgetauscht worden – bevor sie kaputt gehen konnte, hat mir ein Bahninsider vor kurzem erzählt. Heute werde erst ausgetauscht, wenn etwas kaputt sei.
Interessiert die Bahn-Manager, dass ich meine Lebenszeit verplempere?
Deshalb bleiben dann aber Züge liegen, weil Weichen, Signale oder Stellwerke nicht funktionieren; sich Türen nicht mehr schließen lassen oder gleich die komplette Elektronik am Zug aussteigt. Man kommt verspätetet ans Ziel, verpasst Anschlusszüge oder Busse, verplempert Lebenszeit. Als Fahrgast habe ich immer öfter den Eindruck, dass die Bahnmanager das nicht wirklich interessiert.
Bauarbeiten, Personalausfälle und Technikprobleme S-Bahn Stuttgart: Jede vierte Bahn ist 2023 nicht gefahren
Was Fahrgäste der Stuttgarter S-Bahn schon das ganze vergangene Jahr bemerkt haben, gibt es jetzt schwarz auf weiß. Die Bilanz zur S-Bahn 2023 zeigt viele Zugausfälle und Verspätungen.
Besonders ärgerlich finde ich, dass die Verkehrsunternehmen es noch nicht einmal schaffen, Einschränkungen durch Baustellen vorab miteinander abzusprechen. Zum Beispiel im Bereich Leinfelden-Echterdingen (Kreis Esslingen) fällt die U5 der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) wegen Bauarbeiten vom 8. Juli bis 8. September zwischen Leinfelden-Bahnhof und Möhringen-Bahnhof aus. Die DB sperrt vom 15.Juli bis 26. Juli die S-Bahnstrecke zwischen Stuttgart-Vaihingen und Filderstadt ebenfalls - wegen Sanierungsarbeiten. Nach Leinfelden-Echterdingen kommt man da nur noch mit dem Bus.
Gottseidank sind die Spiele der Fußball-EM in Stuttgart vorbei. Dann bekommen wenigstens die auswärtigen Gäste nicht mehr mit, wie wenig der ÖPNV in der Region Stuttgart funktioniert. Als vergangene Woche wegen einer Weichenstörung bei Winnenden (Rems-Murr-Kreis) wieder Züge festhingen, debattierten zwei junge Männer, ob sie für die geplante Weiterfahrt nach Dortmund nicht besser auf einen Mietwagen umsteigen sollten. "Das ist auch nicht teurer als zwei ICE-Tickets", meinte einer nach kurzer Internetrecherche. Wenn im ÖPNV nichts mehr geht, gehen halt die Fahrgäste.