Fast 2.000 Kilometer haben zwei kleine ukrainische Mädchen zusammen mit ihren Müttern hinter sich gebracht, um schließlich seit Mitte Juli im Olgahospital des Klinikums Stuttgart behandelt zu werden. Die kleine Evelina liegt auf der Station der Kinderchirurgie, eine rosa Spieluhr hängt an ihrem Bettchen und spielt Brahms Wiegenlied, als Chirurg Steffan Loff ins Zimmer kommt.
Zusammen mit einem Dolmetscher begrüßt er seine zehn Monate alte Patientin und ihre Mutter Vasylyna Petriv. Im Moment wird Evelina über eine Magensonde ernährt, denn ihre Speiseröhre hat eine schwere Fehlbildung, die in der Ukraine nicht abschließend behandelt werden konnte. “Mich würde sehr interessieren, wie der Stuhl von Evelina war”, sagt Loff und die Mutter zeigt ihm ein Foto. “Es wird langsam!" Loff ist sichtlich zufrieden.
Ein Raketenangriff trifft das wichtigste Kinderkrankenhaus der Ukraine
Seit ihrer Geburt lag Evelina im Ohmatdyt-Krankenhaus in Kiew, bevor dieses von einer russischen Rakete getroffen wurde. Ihre Mutter erinnert sich an den Moment: “Die Stoßwelle war so stark, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Wir sind die Treppen runtergerannt, um nach draußen zu kommen. Auf dem Weg habe ich viele verletzte Kinder gesehen, es war schrecklich.”
Eine Etage tiefer im Stuttgarter Kinderkrankenhaus - das auch Olgäle genannt wird - liegt die vier Monate alte Sofiia auf einer Spezial-Station für Neugeborene. Auch sie wurde in der Kinderklinik in Kiew unter anderem wegen einer Speiseröhrenfehlbildung behandelt, als die Kinderklinik angegriffen wurde. "Damals wurde Sofiia noch beatmet", erzählt ihre Mutter Halina Salomankhina.
Im Keller der Klinik musste Halina Salomankhina erstmal ausharren, ihre Angst war groß. “Das Krankenhaus war das einzige in der Ukraine, in dem meiner Tochter geholfen werde konnte. Nach dem Angriff habe ich mich hoffnungslos gefühlt.”
Hunderte Kinder müssen versorgt werden - Klinikum Stuttgart hilft
Rund 600 Kinder müssen evakuiert werden, die Ukraine bittet die EU um Hilfe. Das Olgahospital des Klinikums Stuttgart scheint international für Evelina und Sofiia die beste Anlaufstelle. Denn die Schwerpunkte des Olgahospitals entsprächen genau dem, was die Babys jeweils brauchten, zum Beispiel eine hohe Expertise bei der Rekonstruktion von Speiseröhren, erklärt Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand des Klinikums Stuttgart.
Dennoch habe man genau geprüft, was der regionale Versorgungsauftrag sei und was man darüber hinaus leisten könne, erklärt Jürgensen. Er sagt, dass wenn man die Hilfen international auf mehrere Schultern verteilt, sei es auch stemmbar.
So kamen die Mädchen aus der Ukraine ins Olgahospital Stuttgart
So konnten sich die beiden kleinen Mädchen mit ihren Müttern auf den Weg nach Stuttgart machen. “Ich hatte Angst, dass die Reise für meine Kleine zu viel ist. Aber die Hoffnung war größer”, erzählt Evelinas Mutter. Ein Intensivtransport hat die Kinder zunächst nach Ostpolen gebracht. Von da wurden sie mit einem norwegischen Evakuierungsflug nach Nürnberg geflogen, um dort von Mitarbeitenden des Klinikums Stuttgart empfangen zu werden.
Oberarzt Mirko Majorek hat den Transport auf der letzten Etappe begleitet und behandelt jetzt das jüngere Baby Sofiia. Seit ihrer Ankunft im Olgäle geht es ihr schon besser: “Beim Transport musste sie noch beatmet werden, jetzt atmet sie allein, ist wach und kann schon mit ihrer Mutter kuscheln,” erklärt Majorek.
Lebensentscheidende Wochen für ukrainische Babys im Klinikum Stuttgart
Trotzdem kommen auf Sofiia noch schwierige Monate und eine Reihe von Operationen zu. “Sofiia ist schon jetzt eine richtige Kämpferin”, sagt Majorek. “Und sie hat eine Mama dabei, die sich super um sie kümmert. Deswegen sind die Bedingungen für sie ganz gut.” Auch Evelinas Chirurg ist vorsichtig optimistisch.
Darauf hoffen natürlich auch die Mütter der beiden Mädchen. “Ich wünsche mir, dass mein Kind nie wieder krank wird”, sagt Evelinas Mutter und kämpft mit den Tränen. “Dass sie einfach gesund und glücklich ist.”
Die Kosten tragen verschiedene Seiten
Zu den Behandlungskosten sagt Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand des Klinikums Stuttgart, dass diese teilweise von Sozialämtern und den gesetzlichen Krankenkassen getragen würden. Die Unterbringung und der Transport beispielsweise seien durch Spenden finanziert. "Die Bereitschaft ist sehr, sehr hoch. Wir haben gleich mehrere hochengagierte Freundeskreise und Fördervereine, die einspringen und gern helfen." Ein weiteres Kind aus dem teils zerstörten Kinderkrankenhaus in Kiew soll bald ebenfalls im Klinikum Stuttgart aufgenommen werden.