Jugendliche im Porträt

Vier junge Frauen im Porträt

Zwischen Resignation und Aufbruch: Wie geht es Jugendlichen in Baden-Württemberg?

Stand
Autor/in
Laura Cloppenburg
Porträt-Foto von Laura Cloppenburg

Sie stehen an der Schwelle zum Erwachsenensein, gleichzeitig scheint das Leben so unsicher und krisengeprägt wie lange nicht. Wie blicken Jugendliche im Land in ihre Zukunft?

Noch zwei Wochen Sommerferien, dann startet für viele junge Menschen in Baden-Württemberg ein neues Lebenskapitel. Schulstart, Studienbeginn, Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder doch noch eine Runde Work and Travel - die Zukunft ist spannend. Doch vieles auf der Welt scheint im Umbruch: Kriege, Klimawandel, die wirtschaftliche und die politische Lage - wo man hinsieht, gibt es Krisen und Baustellen.

Was macht die momentan schwierige Weltlage mit jungen Menschen und ihrem Blick in ihre Zukunft? Die aktuellen Ergebnisse der jährlichen SINUS-Jugendstudie zeigen: Teenager in Deutschland sind problembewusst, besorgt, aber auch zukunftsoptimistisch. Vier junge Frauen aus Baden-Württemberg erzählen, wie sie die Lage einschätzen.

Privilegiert und engagiert: Anna Josefiak aus Stuttgart

Eigentlich könnte Anna Josefiak jetzt irgendwo am Strand liegen, um die Welt reisen oder einfach auf der Couch rumhängen. Die 19-jährige Stuttgarterin hat gerade ihr Abitur in der Tasche - mit einem Schnitt von 1,6. Aber Füße hochlegen ist nichts für die junge Frau. Ihre Sommerferien verbringt Anna als ehrenamtliche Betreuerin im evangelischen Waldheim, der typischen Stuttgarter Ferienfreizeit. Jeden Morgen steht sie um 7 Uhr auf, um dann zehn Stunden lang Kinder zu betreuen. Auch wenn das anstrengend ist, anders kann Anna sich das gar nicht vorstellen, sagt sie.

Seit sie acht Jahre alt ist, geht sie jedes Jahr ins Waldheim. Klar, dass sie hier auch die große Liebe gefunden hat: ihren Freund Tom, der auch als Betreuer mithilft. Noch ein paar Wochen, dann wird es für beide spannend. Tom macht dann sein FSJ, Anna will Medizin studieren. Wo auch immer sie einen Studienplatz bekommt. Die Plätze sind rar, der Druck groß. Die 19-Jährige lernt daher bereits auf den "Medizinertest", um ihren Numerus clausus zu verbessern. Sie findet es ungerecht, dass der beim Medizinstudium so niedrig sein muss. Ein 1,0er Schnitt mache längst noch keine gute Ärztin.

Das sei aber Meckern auf hohem Niveau, weiß Anna. Wenn sie der bunt gemischten Kindergruppe im Waldheim beim Spielen zusieht, wird ihr immer wieder bewusst, wie gut es ihr selbst geht. Auch wenn ihre Mutter alleinerziehend ist, hat Anna keine finanziellen Sorgen und fühlt sich frei, alles zu tun, worauf sie Lust hat - Urlaub machen zum Beispiel. Viele der Kinder hier können das nicht, teils verbringen sie sechs Wochen am Stück im Waldheim, weil beide Elternteile arbeiten müssen. Gerade weil sich Anna da im Vergleich sehr privilegiert fühlt, möchte sie etwas zurückgeben und Verantwortung übernehmen. Auch mit politischem Engagement. Zum ersten Mal hat Anna in diesem Jahr wählen dürfen. Die Wahlergebnisse haben sie nachdenklich gemacht.

Bei mir im Umfeld wählen eigentlich alle sehr linksliberal und so eine Wahl haut einen glaube ich gerade deswegen um.

Angst vor Erstarken extrem rechter Parteien

Von ihrer Oma, die bei ihr im Haus wohnt, weiß Anna, dass es auch mit dem Nationalsozialismus schleichend angefangen hat. Dass so viele junge Menschen die extreme Rechte gewählt haben, macht ihr Angst. Den Zulauf zur AfD erklärt sich Anna damit, dass die Partei stärker als andere auf sozialen Medien wie TikTok aktiv ist und diese gut zu nutzen weiß. Aber sie glaubt auch, dass viele junge Menschen unzufrieden sind, weil sie sich, verstärkt durch die Coronapandemie, häufig nicht gehört und gesehen fühlen.

Anna wünscht sich, dass Politikerinnen und Politiker mehr zuhören, besser kommunizieren und Brücken bauen zwischen Jung und Alt. Insgesamt schaut die 19-Jährige trotz aller Krisen und Umbrüche aber hoffnungsvoll in ihre Zukunft. Sicherlich werde sich vieles verändern, aber Veränderung müsse ja nicht immer was Schlechtes sein. Nur manches soll so bleiben wie es ist: jeden Sommer Waldheim zum Beispiel.

Konservativ und heimatverbunden: Hanna Rilling aus Amtzell

Auch Hanna Rilling packt freiwillig an in den Ferien. Auf dem Bauernhof ihrer Familie. Auszuhelfen und ihre Freizeit zu opfern, wenn Not am Mann ist, das ist für die 17-Jährige selbstverständlich.

Hanna liebt ihre Heimat in Amtzell (Kreis Ravensburg), hier in Oberschwaben ist sie aufgewachsen. Zeit am Handy zu verbringen, wie viele ihrer Altersgenossen, das lehnt sie ab. Das lenke nur ab von der schönen Natur vor der Haustür.

Du wirst nicht schlauer, wenn du am Handy hängst und dir Videos reinziehst, das bringt dir nichts fürs Leben.

Wichtiger findet Hanna es, echte Erfahrungen zu machen, sich zu engagieren und sich um ein gelungenes Miteinander zu kümmern. Am liebsten verbringt sie daher Zeit mit Freunden und Familie oder im Verein. Sie ist Teil der Landjugend und probt wöchentlich für die Musikkapelle.

Aber auch politisch bringt sie sich ein. Seit zwei Jahren sitzt sie für die CDU im Jugendgemeinderat. Damit tritt sie in die Fußstapfen ihres Vaters, der ebenfalls für die Christdemokraten aktiv ist. Konservative Werte - so ist Hanna geprägt worden. Auch Umweltschutz ist ihr wichtig, aber nicht "in dem Maße, wie das jetzt betrieben wird, das nimmt überhand", findet Hanna. Die Umweltauflagen der Grünen sind in den Bauernfamilien ein großer Zankapfel. Dass auch in Hannas Freundeskreis einige die AfD gewählt haben, überrascht sie nicht. Es herrsche aktuell eine krasse Unzufriedenheit über die Regierung. Trotzdem blickt sie pragmatisch optimistisch in die Zukunft: "Wenn viele Jugendliche sich später richtig informieren, was die Alternative für Deutschland wirklich ist, kommen sie auch wieder weg."

Diskriminiert und sorgenvoll: Mahtab Farahani aus Heidelberg

Vergessen und vernachlässigt: So fühlt sich Mahtab Farahani jeden Tag. Die 19-Jährige lebt mit ihrer Familie im Heidelberger Stadtteil Kirchheim. Ein heruntergekommener Plattenbau reiht sich an den nächsten. Von einer Wohnung in der Innenstadt oder in grünen, gehobenen Wohnvierteln kann Mahtab nur träumen.

Bezahlbarer Wohnraum, das ist für Mahtab ein zentraler Punkt, um die Kluft zwischen Reich und Arm im Land zu schließen. Vorher könne man auch nicht von Chancengleichheit sprechen, meint sie. Die 19-Jährige hat gerade ihren Realschulabschluss in Heidelberg gemacht. Jetzt absolviert sie ihr FSJ an der muslimischen Akademie. Wegen ihrer iranischen Wurzeln werde sie im Alltag häufig ausgegrenzt, erzählt sie. Obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sei, erlebe sie täglich Rassismus.

Ich möchte in einem Deutschland leben, wo ich nicht gefragt werde, wo ich wirklich herkomme. Da ist dieser Unterton, der unfassbar eklig ist, der mir das Gefühl gibt, ich bin kein Teil von Deutschland.

Da macht es ihr Angst, dass ausgerechnet Menschen mit Migrationshintergrund im Juni die AfD gewählt haben. Mit Migrationshintergrund eine Partei zu unterstützen, die mit Remigrationsplänen Schlagzeilen gemacht hat, sei ein erschreckender Widerspruch. Wenn Mahtab in die Zukunft blickt, dann bekommt sie Angst. Klimawandel, Ressourcenknappheit - wie soll das nur gut gehen, fragt sie sich.

In der Gemeinschaft will sie sich aber stark machen für Klimaschutz, für Toleranz und Chancengleichheit. Ihre Hoffnung: dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen und nicht die Augen verschließen. Nach ihrem FSJ möchte Mahtab gerne im Medienbereich Fuß fassen.

Die Klimakatastrophe ist in meinem Leben täglich präsent, unter anderem wegen meiner Ohnmacht diesbezüglich. Ich kann als einzelne Person nicht wirklich etwas dagegen machen.

Politisch und umweltbewusst: Lotta Fröhlich aus Freiburg

Im Frühling 2024 war Lotta Fröhlich aus Freiburg noch voller Optimismus und Elan. Gemeinsam mit anderen jungen Menschen hat die Studentin Großdemos gegen Rechtsextremismus organisiert. Tausende Menschen folgten ihrem Aufruf für die Demokratie, für mehr Klimagerechtigkeit und gegen rechts.

Nach der Europawahl dann die Ernüchterung. Statt einer gebrochenen rechten Welle wird die AfD zweitstärkste Kraft im Land und ausgerechnet viele junge Menschen haben die Partei gewählt. Aktuell findet Lotta nicht mehr die Kraft, Großdemos zu planen. Auch, weil sie sich auf ihr Studium konzentrieren will.

In den Wochen vor der Demo war das wirklich wie ein Hauptberuf. Und ich glaube, das war auch ein Grund, warum es jetzt vielleicht nicht direkt weitergeht, weil das einfach so ein Kraftakt ist.

Lotta lebt in einer WG im grünen Freiburger Stadtteil Vauban. Sie studiert Umweltwissenschaften und ist gut vernetzt. Mit ihren Freunden hat sie viel über die Ergebnisse der Europawahl diskutiert. Entmutigen lassen wollen sie sich davon nicht. Lotta hat Vertrauen, dass die Brandmauer gegen die extreme Rechte halten wird.

Und sie will sich weiter engagieren. Zum Beispiel im Solar Camp in Limburg. Hier nehmen junge Menschen die Energiewende selbst in die Hand und lernen in Workshops, wie man Photovoltaikanlagen auf Dächer baut.

Irgendwie würde ich mir wünschen, dass wir als Menschen mehr aufeinander zugehen, in Gesprächen auch Kompromisse aushalten und nicht immer sofort Fronten aufgemacht werden.

Neben der Klimakrise macht Lotta auch der schwindende gesellschaftliche Zusammenhalt Angst. Mit Blick auf die Zukunft würde sie sich wünschen, dass Menschen verschiedener politischer Einstellung und Meinung wieder mehr miteinander sprechen und zu Kompromissen bereit sind.  

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