Kaffee und ehrenamtlich gebackener Kuchen auf einem Friedhof? Das "Café Kränzchen" organisiert die Bürgerstiftung in Stuttgart einmal in der Woche bei gutem Wetter im Freien auf dem Pragfriedhof. An den Klapptischen und -stühlen mit Blick auf das Jugendstil-Krematorium sind sowohl Friedhofsbesucher als auch Passanten willkommen.
Katja Simon von der Bürgerstiftung organisiert das Friedhofscafé und sieht es als Ort der Begegnung. Denn ihr ist es wichtig, das Miteinander in Stuttgart zu stärken. Gerade ältere Menschen würden ohnehin häufig auf den Friedhof kommen, um verstorbene Angehörige zu besuchen oder die Ruhe zu genießen. Zudem sei der Pragfriedhof mit seinen Bäumen gerade im Sommer bei Hitze eine kühle grüne Lunge, so Simon.
Kaffee auf dem Friedhof - Darf man das?
Bisher gibt es das "Café Kränzchen" nur auf dem Pragfriedhof in Stuttgart-Nord, aber Katja Simon wünscht sich, dass es solche ehrenamtlichen Cafés bald auf noch mehr Friedhöfen der Stadt gibt. Über die Frage, ob es pietätlos wäre, solch ein Projekt durchzuführen, darüber hätten sich die Verantwortlichen vorab auch nachgedacht. Für Simon steht fest, dass es geht.
Denn auch beim "Café Kränzchen" gehe es oft um Trauer. Die Gäste würden sich gegenseitig austauschen, auch Tränen würden mal fließen, erzählt Simon. "Aber das Schöne ist, dass das hier im Leben stattfindet." Und es gehe nicht nur um Verluste, auch um andere Themen.
Zustimmung der Stuttgarter Bestatter zum "Café Kränzchen"
Der Verband der Bestatter in Stuttgart findet das Projekt sehr positiv. Es erhöhe die Attraktivität des Friedhofs, so Helmut Ramsaier, Vorsitzender des Verbands kontrollierter Bestatter in Stuttgart. "Das nimmt den negativen Touch von Friedhöfen und Tod ein wenig weg." So könnten Leben und Tod wieder mehr nebeneinander und nicht getrennt von einander stattfinden. Andere Länder würden in dieser Hinsicht die Erinnerungskultur bereits besser pflegen als Deutschland. In Armenien sei es beispielsweise Brauch, einmal im Monat am Grab zu picknicken.
Das Zusammenkommen könne darüber hinaus bei der Trauerbewältigung helfen, sagt Ramsaier. So könne Trauer oft schneller von einem lebenshemmenden zu einem wieder lebensbefreienden Status wechseln. Auch Sohn Mark Ramsaier pflichtet dem bei. Der 46-Jährige ist Bestatter in Stuttgart-Vaihingen. Es sei schön, wenn die Leute sich treffen, sprechen können und merken, dass es auch andere gibt, denen es so geht wie ihnen.
Friedhofsbesucher freuen sich über Café als Treffpunkt
Das bestätigen auch die Gäste des Cafés. In der Stadt treffe man sich nicht so leicht einfach so, aber hier auf dem Friedhof sei ein guter Treffpunkt. Einige kommen nach dem Besuch bei Verstorbenen zum Kaffee vorbei und freuen sich darauf. So sagt eine ältere Dame: "Also wenn ich mich so umschaue, sind das alles bekannte Gesichter. Und da freut man sich, wenn man sich einmal in der Woche so treffen kann! - Club der einsamen Herzen!"
Stuttgart: Trauerkultur und Friedhöfe verändern sich
Die Veränderung der Bestattungskultur in Deutschland trage außerdem zur Öffnung von Friedhöfen bei. Durch den Wunsch nach alternativen Bestattungsmöglichkeiten wie Friedwäldern, würden ohnehin in Zukunft wahrscheinlich weniger neue Grabflächen auf den Friedhöfen benötigt, vermutet Helmut Ramsaier. Über 40 Jahre hat er als Bestatter gearbeitet.
Außerdem lassen sich immer mehr Menschen nach ihrem Tod einäschern. Laut Statistischem Bundesamt hat die Urnenbestattung seit 2012 um mehr als 13 Prozent zugenommen. 2021 haben sich nur noch 23 Prozent der Menschen im Sarg beerdigen lassen. Die vermehrte Urnenbeisetzung schaffe auch eine gewisse Distanziertheit zum Tod, so Ramsaier. Sie sei in ihrer Gestalt ja auch chemisch reiner.
So würden Friedhöfe nun immer mehr auch als Grünflächen betrachtet, sagt der ehemalige Bestatter. Auf dem Fangelsbachfriedhof nahe des Stuttgarter Marienplatzes sehe er bereits mehr Mütter mit Kinderwägen flanieren, als Menschen die Gräber besuchen. Viele Friedhöfe hätten etwas parkähnliches, auch durch immer mehr Blumen und Insekten. Einen Friedhof fast als "Park" zu betrachten, kann wie in Freiburg aber auch zum Problem werden, wo beispielsweise Hundekot zum Ärgernis wurde.