Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat am Montagvormittag der Prozess gegen neun Angeklagte aus der mutmaßlichen "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Ihnen wird zur Last gelegt, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein und ein sogenanntes hochverräterisches Unternehmen vorbereitet zu haben. Die Angeklagten sind zwischen 42 und 60 Jahre alt und befinden sich in Untersuchungshaft.
Gruppe plante wohl Sturm auf den Reichstag
Laut den Ermittlungen soll die Gruppe um Prinz Reuß, die sich selbst als "Patriotische Union" bezeichnete, vorgehabt haben, das politische System in Deutschland zu stürzen. Sie hätten dabei auch bewusst Tote in Kauf genommen. Auch die Strukturen einer neuen Staatsordnung hatten sie demnach schon ausgearbeitet. Als Staatsoberhaupt hätte Heinrich XIII. Prinz Reuß fungieren sollen.
Die neun mutmaßlichen "Reichsbürger" seien laut Anklage Teil des "militärischen Arms" der Gruppierung gewesen. Dieser sollte die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen. Dazu sei bereits mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von insgesamt 286 militärisch organisierten Verbänden - den "Heimatschutzkompanien" - begonnen worden.
Militärische Strukturen der "Reichsbürger"-Gruppierung in BW weit fortgeschritten
Der Aufbau dieser Verbände war nach Angaben der Bundesanwaltschaft vom Montag bereits teils weit fortgeschritten. In zwei Fällen hätten die sogenannten Heimatschutzkompanien selbst aktiv werden können, sagte ein Vertreter der Behörde bei der Verlesung der Anklage. Innerhalb der "Kompanie 221", die für die Bereiche Tübingen und Freudenstadt in Baden-Württemberg habe zuständig sein sollen, seien bereits Verantwortliche für die Rekrutierung weiteren Personals benannt worden.
Terrorprozess gegen "Reichsbürger" Die "Gruppe Reuß" und ihr geplanter Staatsstreich
Am Oberlandesgericht Stuttgart hat am Montag ein besonderer Terrorprozess begonnen. Neun Männer sind angeklagt, weil sie einen Staatsstreich geplant haben sollen.
Antrag zur Aussetzung des "Reichsbürger"-Prozesses abgelehnt
Nachdem die Bundesanwaltschaft am Morgen die Anklage verlesen hat, haben mehrere Verteidiger der neun Angeklagten im Terror-Prozess die Aufteilung des Verfahrens auf drei Oberlandesgerichte kritisiert. Sie beantragten, dass das Verfahren in Stuttgart vorerst ausgesetzt wird. Erkenntnisse in einem der anderen Verfahren in München oder Frankfurt könnten nicht in den Prozess in Stuttgart einfließen, so die Verteidiger. Der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts lehnte es ab, das Verfahren sofort auszusetzen und stellte den Antrag zurück.
Zwei der angeklagten Männer sagten am Montag, dass sie sich zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft äußern wollen. Wann sie aussagen werden, ist noch unklar. Ein weiterer Angeklagter kündigte an, Angaben zur Person, aber nicht zur Sache machen zu wollen. Die restlichen sechs Angeklagten wollen zunächst überhaupt keine Angaben machen.
Ein "Reichsbürger" wegen versuchten Mordes angeklagt
"Das heute beginnende Staatsschutzverfahren ist wahrscheinlich eines der größten in der Geschichte Deutschlands", sagte Lars Kemmner, Richter und Sprecher am Oberlandesgericht Stuttgart, dem SWR. Allein ein Blick auf die Akten mache das deutlich: Diese umfassten 700 Stehordner mit mehr als 400.000 Blatt, so der Gerichtssprecher.
Unter den Angeklagten ist auch ein Mann, der am 22. März 2023 bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Reutlingen mehrfach mit einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr auf Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos geschossen und dadurch zwei Beamte verletzt haben soll. Er ist unter anderem wegen versuchten Mordes angeklagt.
Nach Schusswechsel bei Hausdurchsuchung Razzia gegen "Reichsbürger": Tatverdächtiger in U-Haft
Bei einer Razzia gegen einen "Reichsbürger" in Reutlingen wurde ein SEK-Beamter leicht verletzt. Innenminister Strobl warnt vor der Szene und kündigte konsequentes Vorgehen an.
Nach ARD-Recherchen waren die Umsturzpläne der mutmaßlichen Terroristen sehr konkret: Laut den Ermittlungen hatten sie heimlich Schießübungen durchgeführt. Drei Mitglieder des Führungszirkels waren bei der Bundeswehr und haben einen Bezug zum Kommando Spezialkräfte (KSK), der Eliteeinheit der Bundeswehr mit Sitz in Calw.
Gruppe hatte Zugriff auf großes Waffenarsenal
Die "Reichsbürger"-Gruppe verfügte der Anklage zufolge über Gelder in Höhe von etwa 500.000 Euro. Außerdem hatte sie Zugriff auf ein großes Waffenarsenal: rund 380 Schusswaffen, fast 350 Hieb- und Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffen - sowie mindestens 148.000 Munitionsteile. Die Mitglieder hätten sich zudem weitere militärische Ausrüstung wie schusssichere Westen und Nachtsichtgeräte angeschafft.
Der Prozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß ist in drei Anklagen unterteilt. Der Generalbundesanwalt hat zwei weitere Anklagen gegen insgesamt 18 weitere mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Vereinigung bei den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main und München erhoben.
Die mutmaßliche Verschwörung um Prinz Reuß und seine Gefolgsleute aufzuarbeiten, wird schwierig, sagt ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt. "Denn es sind sehr viele Beschuldigte - zu viele für ein Verfahren." Deshalb habe die Bundesanwaltschaft die Prozesse inhaltlich aufgeteilt in "militärischer Arm", "politische Führung" und - wie Schmidt es nennt - "esoterische Gruppe".
605 Seiten Anklage gegen "Reichsbürger"
Der Anklagesatz vor dem Oberlandesgericht Stuttgart umfasst 33 Seiten, die öffentlich vorgetragen werden. Die komplette Anklage ist 605 Seiten lang - verdichtet aus über 400.000 Seiten Ermittlungsakten.
Die Angeklagten des "militärischen Arms" der "Reichsbürger"-Gruppierung stammen hauptsächlich aus Baden-Württemberg: aus Pfinztal, Ettlingen (beide Kreis Karlsruhe), Oberharmersbach (Ortenaukreis), Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt), Rottenburg am Neckar, Neustetten (beide Kreis Tübingen) und Reutlingen. Ein Mann kommt aus Hessen.
Festnahmen bei Razzia im Dezember 2022
Am 7. Dezember 2022 wurden bei einer bundesweiten Razzia gegen die Gruppe 162 Objekte durchsucht und 25 Personen festgenommen - darunter auch der Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß. Die Behörden gehen davon aus, dass er die Gruppe anführte. Für den Prozess gegen die Gruppe sind nach Angaben des Gerichts Termine bis Anfang 2025 angesetzt.