Land muss sich besser vorbereiten

Bundeswehr-Kommandeur irritiert mit Vorwürfen an das BW-Staatsministerium

Stand
Autor/in
Christian Susanka

Baden-Württemberg wäre im Verteidigungsfall Drehscheibe für NATO-Truppen. Die Bundeswehr sucht daher engen Kontakt zum Ministerpräsidenten - und fühlt sich seit Monaten ignoriert.

"Semper fidelis" - "Immer treu" heißt der Militärmarsch, den die Blechbläser des Heeresmusikkorps auf der Rasenfläche der Wildermuth-Kaserne in Böblingen im Fackelschein am Dienstagabend anstimmen. Eigentlich ein Moment des Feierns für die Bundeswehr. Doch der Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, Michael Giss, nutzt den Streitkräfteempfang der Landesregierung für überraschend harte Kritik. Sein Vorwurf an das Staatsministerium: Ein Gespräch bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), um Baden-Württemberg auf wachsende militärische Bedrohungen vorzubereiten, werde ihm verweigert. Aus Sicht des Kommandeurs ist das ein ungewöhnlicher Vorgang.

BW als wichtige Drehscheibe für die NATO

Landeskommandeur Michael Giss, der das Landeskommando Baden-Württemberg seit September anführt, erklärt gegenüber dem SWR: "Ich bin der militärische Berater des Ministerpräsidenten. Deswegen gehört es sich einfach, dass ich mich da vorstelle." Außerdem sei das Wort des Ministerpräsidenten entscheidend, um tatsächlich alle Ministerien für die Bedrohung zu sensibilisieren. Auch aus einem anderen Grund sei ein Gespräch wichtig: Baden-Württemberg werde im Verteidigungsfall zu einer wichtigen Drehscheibe für die NATO nördlich der Alpen.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) beim Streitkräfteempfang der Landesregierung in Böblingen. Überraschend wurde hier Kritik am Staatsministerium und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) laut.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) beim Streitkräfteempfang der Landesregierung in Böblingen. Überraschend wurde hier Kritik am Staatsministerium und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) laut.

Staatsministerium weist auf vereinbarten Termin hin

Im Staatsministerium kann Regierungssprecher Matthias Gauger die Dringlichkeit für ein persönliches Gespräch zwischen Landeskommandeur und Ministerpräsident nicht nachvollziehen. Gauger sagte dem SWR: "Im Hinblick auf den Antrittsbesuch des neuen Landeskommandeurs bei Herrn Staatsminister bestehen derzeit keine Planungen für einen Termin bei Herrn Ministerpräsidenten." Die Pressestelle des Staatsministeriums verweist auf ein geplantes Gespräch mit dem Chef der Staatskanzlei, Florian Stegmann. Aus Termingründen musste dieses für November geplante Gespräch auf Anfang Dezember verschoben werden, heißt es aus dem Staatsministerium. 

Die Bundeswehr bestätigt, dass Gespräche mit der Staatskanzlei möglich sind, lässt jedoch durchblicken, dass sie die Bedeutung und die Dringlichkeit solcher Gespräche vermissen lässt. Stephan Voges, Pressesprecher des Landeskommandos Baden-Württemberg: "Egal, ob es Französischunterricht ist oder Windkraft: Der Ministerpräsident sagt, wo es langgeht. Und für uns ist natürlich wichtig, dass wir dann auch jemanden haben, der die Botschaft ins Ländle trägt, dass wir uns vorbereiten müssen."

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Zur Verteidigung gehöre eben nicht nur der militärische Teil, sondern auch der zivile, so Voges. Da gehe es um Vorräte, Verständnis in der Bevölkerung aber auch um Unterstützung. "Insgesamt ist für uns wichtig, dass der Bevölkerung erklärt wird, worauf es ankommt. Wir müssen in die Köpfe der Bevölkerung und das macht der Landesvater." Die Sorge der Bundeswehr, kein Gehör im Grünen Staatsministerium zu finden, scheint gewachsen. "Die beiden Vorgänger von Kommandeur Giss hatten auch keinen Termin beim Ministerpräsidenten bekommen", sagt Voges. Widerspruch dazu kommt aus dem Staatsministerium: Im März habe es sehr wohl ein Gespräch mit einem General und dem damaligen Landeskommandeur gegeben.

Die Bevölkerung zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr bringen

Grund für die Gespräche ist der Operationsplan Deutschland. Dieser soll den Aufmarsch alliierter Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke sicherstellen. Ziel ist es laut Bundeswehr, schnell handlungsfähig zu sein - über Ressort- und Ländergrenzen hinweg. Die maximale zivile Unterstützung ist dabei für die Bundeswehr ein entscheidender Faktor. Dafür brauche es politischen Druck, sagt Giss: "Ein möglicher Verteidigungsfall der NATO, mit dem die Bundeswehr in vier bis sechs Jahren rechnet, bedeute, dass sich alle darauf vorbereiten müssten, egal ob Schulen, Verkehr oder Firmen."

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Strobl will sich nicht zu Vorwürfen der Bundeswehr äußern

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), der den Streitkräfteempfang in Böblingen organisiert hatte, zeigt sich auf Nachfrage des SWR erstaunt, möchte zu einer Absage von Gesprächen aber nichts sagen. Sein Ministerium stehe mit der Bundeswehr in Verbindung. In seiner Rede spricht er von einem neuen Mindset, das man gegenüber der Bundeswehr brauche: In der Vergangenheit habe die Bundeswehr vor allem im Zivilen geholfen: Corona, Katastrophenschutz und Flüchtlingskrise, so Strobl. Jetzt sei es der umgekehrte Fall, jetzt gehe es darum, die Streitkräfte zu unterstützen. Die Zeitenwende müsse in den Köpfen ankommen, es brauche einen Mentalitäts- und Handlungswandel.

Bundeswehr: Bedrohungslage bereits sehr konkret

Was die aktuelle Bedrohungslage in Deutschland angehe, nimmt die Bundeswehr kein Blatt vor den Mund. Der Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg erklärt gegenüber dem SWR: "Die Bedrohungslage ist schon sehr akut. Es gibt jeden Tag in der Bundesrepublik Deutschland unzählige Beispiele für Cyber-Angriffe, für Ausspähversuche, für Sabotageakte und der Feind heißt Russland."

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Giss spricht von einer ersten Angriffsphase des Gegners, die schon längst laufe. Schon jetzt gebe es massive Ausspähung der Ausbildung ukrainischer Streitkräfte auf deutschen Truppenübungsplätzen, Abhören von Handys, Ausspähungen mit Drohnen. Auch im ganz normalen Alltag: Autobahnkreuze, Schienenverkehrsknotenpunkte, Energieversorgungen, all das werde angeschaut mit der Frage; wie kann ich so etwas lahmlegen, kaputtmachen, sabotieren. "Dafür gibt's eben jeden Tag Beispiele und das beunruhigt uns und die anderen Sicherheitsbehörden natürlich sehr", sagt Giss. "Wir haben natürlich alle keine Glaskugel, aber das, was wir seitens der Bundeswehr über unsere Dienste und über unsere Verbindungen wissen ist, dass wir uns eben auf einen Zeitraum von vier, fünf, sechs Jahren einstellen müssen. Ab da könnte Russland in der Lage sein, auch mit konventionellen Kräften die NATO zumindest zu testen, was dann eben auch weitere Folgen und Effekte haben wird." In einer woken und ultraliberalen Gesellschaft sei es nicht immer leicht, die Bevölkerung für einen möglichen Krieg zu sensibilisieren, so Giss in seiner Rede am Dienstagabend.

Staatsministerium irritiert über Vorwürfe

Über das öffentliche Vorpreschen des neuen Landeskommandeurs und über seine Aussagen herrscht wiederum Irritation im Staatsministerium. Ein Gespräch zwischen Landeskommandeur und Ministerpräsidenten ist aus Sicht des Staatsministeriums nicht notwendig. Dahinter steckt, dass die Landesregierung in solchen Dingen den direkten Kontakt zu Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) pflegt. In Sachen Landesverteidigung sieht die Landesregierung die Gespräche auf dieser Ebene.

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Aus dem Staatsministerium heißt es zum Operationsplan Deutschland (OPLAN): Das Land sei sich seiner Verantwortung bewusst. Die inhaltlichen Beiträge zur Umsetzung des OPLAN seien in Abstimmung. Federführend sei dabei das Innenministerium. Regierungssprecher Gauger: "Wir teilen die Einschätzung, dass die Gespräche und Abstimmungen zu dem Thema weiter geführt werden müssen, wie bereits in der Vergangenheit mit dem Vorgänger von Herrn Giss zeitnah Gespräche stattfinden sollen. Wir haben dementsprechend bereits ein konkretes Angebot an Herrn Giss für einen Antrittsbesuch bei Herrn Staatsminister übermittelt."

Ich halte es für dringend erforderlich, dass der Ministerpräsident sich mit der Bundeswehr abstimmt.

FDP fordert umgehendes Gespräch

Anders sieht es der FDP-Landtagsabgeordnete Hans-Dieter Scherer, der auch bundeswehrpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist und beim Streitkräfteempfang in Böblingen dabei war. Er befürchtet, dass man davon ausgehen müsse, dass das Staatsministerium die Dringlichkeit der Lage nicht erkenne. Man könne im Falle eines militärischen Konflikts an der NATO-Ostflanke nicht wie bei Corona ad hoc reagieren, sondern man müsse die Bevölkerung darauf vorbereiten. Truppenverlegungen in Baden-Württemberg bedeuteten vor allem auch für den Verkehr Einschränkungen. Außerdem müssten die Brücken dringend vorbereitet werden. Wenn Militärfahrzeuge in großer Zahl verlegt werden müssten, dann müssten diese standhalten, so Scherer.

Der FDP-Abgeordnete Scherer sieht im Landeskommandeur den allererster Ansprechpartner der Landesregierung in Baden-Württemberg für die zivil-militärische Zusammenarbeit. "Putin ist unberechenbar, der Angriffskrieg Russlands könnte jeden Moment auch auf die NATO übergreifen und dann muss in Baden-Württemberg alles funktionieren. Ich weiß auch nicht, was für den Ministerpräsidenten seit Einsetzung des neuen Landeskommandeurs so wichtig war, dass er nicht einmal Zeit für erste Gespräche hatte. Ich fordere Winfried Kretschmann deshalb auf, umgehend das Telefon in die Hand zu nehmen und den Landeskommandeur zu sich einzuladen", so Scherer.

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