Nach der tödlichen Messerattacke in Mannheim erinnern Kerzen und Blumen an den Polizisten Rouven L.

Nach Messerattacke in Mannheim

BW will mehr als 40 afghanische Schwerstkriminelle schnell abschieben

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Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Jetzt also doch: Nach dem Messerangriff in Mannheim will der Kanzler Schwerstkriminelle aus Afghanistan und Syrien abschieben. Die BW-Justizministerin drückt aufs Tempo.

Baden-Württembergs Justiz- und Migrationsministerin Marion Gentges (CDU) hat die bisherige Blockade des Bundes bei Abschiebungen von schweren Straftätern nach Afghanistan und Syrien heftig kritisiert. Es sei richtig, dass die Ampel-Bundesregierung nach der tödlichen Messerattacke in Mannheim umdenke. "Aber verflixt nochmal, musste erst ein Polizeibeamter sterben, bevor wir in der Lage sind eine solche Entschlossenheit zu zeigen", sagte Gentges am Donnerstagabend in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg".

Sie appelliere seit Ende 2021 an Berlin, Gefährder und schwere Straftäter auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Diese Rückführungen lägen "im klaren Sicherheitsinteresse unseres Landes. Dem sind wir als allererstes verpflichtet."

Regierungserklärung von Scholz: "Solche Straftäter gehören abgeschoben"

Am Donnerstag hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung im Bundestag zu dem Messerangriff Stellung genommen. Mit Blick auf den afghanischen Attentäter von Mannheim sagte er: "Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen."

Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) sprach am Donnerstag im Bundestag. Wer in Deutschland Schutz suche, "sich dann aber entscheidet, ein Gefährder zu sein und diese Demokratie, die ihm Schutz gibt, zu bekämpfen (...), der hat sich doch dafür entschieden, in diesem Land nicht zu leben. Und deswegen muss er das Land verlassen". Strobl war am Donnerstag als Vertreter des Bundesrats im Bundestag. "Selbstverständlich", so Strobl, seien "auch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan möglich".

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BW will 45 Gefährder und Schwerstkriminelle aus Afghanistan und Syrien abschieben

Wie das BW-Justizministerium dem SWR bestätigte, werden zurzeit 41 afghanische und vier syrische Staatsangehörige als "gefährliche Ausländer" eingestuft, die dringend abgeschoben werden müssten.

In diesen Fällen habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt, dass bei einer Abschiebung "keine Gefährdung oder unmenschliche Behandlung droht und deshalb eine Abschiebung mithin rechtlich zulässig wäre". Eine Rückführung scheitere bisher aber daran, dass "der Bund Abschiebeflüge nach Afghanistan faktisch derzeit nicht unterstützt", heißt es vom Ministerium.

Wie Abschiebungen per Flieger umgesetzt werden sollen, ist allerdings noch nicht klar, da hierfür eine Kooperation mit den Taliban in Afghanistan oder dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad nötig wäre. Im Gespräch ist nun, afghanische Schwerstkriminelle in die Nachbarländer Pakistan oder Usbekistan zu bringen.

Fall des Sexualverbrechers von Illerkirchberg zeigt das Problem

Ein Fall ist der Afghane, der 2019 mit vier anderen Männern eine 14-Jährige in Illerkirchberg (Alb-Donau-Kreis) unter Drogen gesetzt und vergewaltigt hatte. Der Mann war im November 2015 eingereist, sein Asylantrag wurde im April 2017 abgelehnt. Nach der Gruppenvergewaltigung an Halloween 2019 musste er in Haft. Nach deren Ende kam der Mann Ende 2021 in Abschiebungshaft.

Justizministerin Gentges forderte den Bund daraufhin mehrfach auf, die Rückführung möglich zu machen - vergeblich. Ende März 2022 entschied das Amtsgericht Karlsruhe, dass die Abschiebehaft beendet werden müsse, weil es keine Perspektive für eine Rückführung gebe. Weil der Sexualverbrecher vor der Tat in Illerkirchberg lebte, musste er dort wieder aufgenommen werden - gegen den Willen der Gemeinde.

Gefährder musste aus Haft entlassen werden

Als weiteres Beispiel führt die Justizministerin den Fall eines anderen afghanischen Asylbewerbers an, der als terroristischer Gefährder angesehen wird. Weil er sich für den "Islamischen Staat" eingesetzt hatte, war er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Eine für den 3. August 2021 vorgesehene Abschiebung musste kurzfristig storniert werden, da der Bund den Charterflug wegen des Umsturzes in Aghanistan durch die Taliban abgesagt hatte.

Für das BW-Ministerium ein Unding: "Aufgrund vorliegender Radikalisierung und deutlicher Gewaltbereitschaft können Anschlagsplanungen nicht ausgeschlossen werden." Mehrfache Anläufe von Gentges beim Bundesinnenministerium fruchteten nicht. Die Konsequenz: Der Mann sei Anfang 2023 nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe aus der Haft entlassen worden.

Islamismus-Experte: Abschiebe-Debatte zeigt "Hilflosigkeit"

In der Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" kritisierte Eren Güvercin, Islamismus-Experte und Mitglied der deutschen Islam-Konferenz, die vorherrschende Abschiebedebatte.

Abschiebung ist kein Allheilmittel gegen Islamismus.

Dass die Politik vor allem darüber diskutiere, zeige ihre "Hilflosigkeit". Stattdessen müsse man sich die Frage stellen: "Was können wir tun, dass diese jungen Menschen sich nicht radikalisieren?" Da sehe er keine Konzepte. Islamismus werde mittlerweile nicht mehr von außen nach Deutschland hereingetragen, sagte Güvercin.

Junge Muslime der dritten und vierten Generationen radikalisierten sich, darauf müsse man reagieren. "Islamismus ist kein ausländisches Problem, Islamismus ist ein deutsches Problem." Im Netz sei zum Beispiel nach dem Hamas-Angriff auf Israel eine "Enthemmung der islamistischen Szene" zu beobachten. Das dürfe man nicht laufen lassen.

Die komplette Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" vom 6.6.2024 können Sie hier ansehen:

Islamismus-Experte: Thema nicht der AfD überlassen

Der Experte appellierte zudem an die etablierten Parteien: "Wir dürfen das Thema Islamismus nicht der AfD überlassen." Es sei nicht erfolgversprechend, wenn Politik sage, über Islamismus spreche man nicht, das stärke nur die Rechtspopulisten. Er betonte aber auch die gesellschaftliche Verantwortung der muslimischen Verbände. "Muslime müssen das Thema Islamismus behandeln und auch selbstkritisch behandeln und das passiert zu wenig."

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