Der Deutsch-Afghane Jama Maqsudi sitzt an einem Schreibtisch. Der 71-Jährige wurde bei einem Besuch in seiner Heimat von der Taliban verhaftet und gefoltert.

Zwei Monate in Haft

Deutsch-Afghane aus BW erlebte Folter: 71-Jähriger war Gefangener der Taliban

Stand
Autor/in
Susanne Babila
Onlinefassung
Torsten Hansel-engelhart

Jama Maqsudi lebt seit Jahrzehnten in Baden-Württemberg. Er engagiert sich in Stuttgart für Menschen- und Frauenrechte in Afghanistan. Als er in das Land reist, wird er verhaftet.

Am 7. Mai 2024 flog der Deutsch-Afghane Jama Maqsudi mit seinen Brüdern in die alte Heimat nach Afghanistan. Sie wollten das Haus ihrer verstorbenen Eltern verkaufen. Denn ihnen war klar, dass sie nie wieder nach Kabul zurückkehren würden, um dort zu leben. In Afghanistan angekommen, erklärten sie dem Bewohner, der im Elternhaus mietfrei lebte, dass er das Haus nach dem Verkauf räumen müsse. Aus Rache machte er die Taliban auf den Deutsch-Afghanen aufmerksam. Am 18. Mai wurde Jama Maqsudi verhaftet und war fortan Terror, Gewalt, und Willkür ausgesetzt.

Allein die Gefängniszelle war schon Folter für Maqsudi

 "Der erste Tag in Haft war ein Schock", erzählt der 71-Jährige. "Als ich in die zwei auf vier Meter Zelle gesteckt wurde, die Tür hinter mir ins Schloß fiel und zwei Mal verriegelt wurde, konnte ich nicht fassen, wo ich hineingeraten war." Ein kleiner Schacht lies kaum Licht in die Zelle. An den schmutzigen Wänden hatten Gefangene Striche, die Zahl ihrer Hafttage, eingeritzt. "Allein die Verhältnisse im Gefängnis waren Folter", erklärt der 71-Jährige. Auf dem harten, schmutzigen Boden lagen drei Decken, die als Matratze, Zudecke und Kopfkissen dienen sollten.

"Es gab weder ein Bett noch eine Toilette und es brannte Tag und Nacht ein Neonlicht. An einer Ecke, weit oben, war eine Kamera aufgehängt. Wir standen jeden Tag 24 Stunden unter Beobachtung", so Jama Maqsudi weiter. Ein Grund seiner Verhaftung: Zwei Taliban-Karikaturen auf seinem Facebook Account. Die Anklage: Jama Maqsudi mache die afghanische Taliban-Regierung vor der Weltöffentlichkeit schlecht.

"Es war am zweiten Tag, als der Stellvertreter des Geheimdienst-Präsidenten kam und sich neben mich setzte. Als man ihm die Karikaturen präsentierte, ballerte er zwei, drei Faustschläge in mein rechtes Auge, stand auf und schrie, für solche Leute hätte ich früher mein Gewehrmagazin leer gemacht", erzählt Maqsudi.

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Bis heute hat Maqsudi körperliche Folgen der Verhöre

Jama Maqsudi wurde regelmässig verhört. Bis heute ist sein rechtes Auge leicht angeschwollen. Das Verfahren - eine Farce. Ohne Rechtsbeistand oder Gesetzesgrundlage. Zunächst durchgeführt von einem ausgebildeten Staatsanwalt, später von sogenannten Staatsanwälten der Taliban-Regierung, die ihm unablässig mit lebenslanger Haft im Kerker drohten. Dazu die Hitze und das Weinen anderer Mitgefangener, die verzweifelt waren.

"Wir mussten in einem dunklen, fensterlosen Zimmer auf unser Verhör warten. Wir waren 20 Männer, saßen auf dem Boden und hatten kaum Platz. Jeder wurde zum Verhör abgeholt." Die Gefangenen waren verschiedenen Abteilungen zugeordnet und wurden unterschiedlich behandelt. "Ich gehörte zur Abteilung 8 und wurde für die bestehenden Verhältnisse relativ moderat behandelt. Aber Gefangene aus der Abteilung 2 wurden mit einem Gartenschlauch, in dem ein Stromkabel befestigt war, brutal zusammengeschlagen. Erst als die Folterer aufhörten und die Gefangenen am Boden lagen, wurden sie gefragt, ob sie den Widerstand gegen die Taliban unterstützten oder nicht."

Der Deutsch-Afghane Jama Maqsudi im Porträt. Der 71-Jährige wurde bei einem Besuch in seiner Heimat von der Taliban verhaftet und gefoltert.
Jama Maqsuid wurde regelmässig verhört und dabei gefoltert. Bis heute ist sein rechtes Auge leicht angeschwollen.

Taliban wollten den 71-jährigen Maqsudi brechen

Jeden Tag wurde die Angst größer und Jama Maqsudi fragte sich, wie das hier enden sollte. Doch er wollte sich auf keinen Fall brechen lassen oder Furcht zeigen, auch wenn er innerlich zitterte.

Wenn Chaos und Anarchie herrscht, versucht jeder zu bestimmen, wie es läuft. In einem System, das weder Gesetz noch Ordnung kennt, darf man keine Schwäche zeigen.

Nach einiger Zeit wurde er in eine Gemeinschaftszelle verlegt und teilte den Raum mit Afghanen, darunter Diebe, Fälscher oder Sprengstoffverkäufer. Viele wussten nicht, warum sie verhaftet wurden oder saßen wegen Bagatellen ein und warteten seit Monaten auf ein Urteil. Wie Jama Maqsudi waren sie alle von der Welt isoliert. Kein Radio, keine Zeitung, geschweige denn Internet. Nicht einmal ein Stück Papier oder ein Stift.

Das Auswärtige Amt schaltete sich ein

Aber das Gebet war Pflicht und auf die Einhaltung der Gebetszeiten wurde streng geachtet. Mitten in der Nacht, um 2:30 Uhr früh, wurden die ersten Gefangenen aus einer Zelle für die rituellen Waschungen geführt. Denn für 80 Gefangene auf einem Stockwerk standen lediglich drei Toiletten zur Verfügung. Sie alle sollten vor Sonnenaufgang ihr Morgengebet abhalten. Auf dem gleichen Gang waren auch internationale Terroristen untergebracht. IS-Kämpfer, Milizionäre des sogenannten Islamischen Staates, die aus Usbekistan, Indien oder Pakistan stammten. Zum Teil wurden auch ihre Frauen und Kinder in einem anderen Trakt gefangen gehalten.

Für ihn wurde die Gefangenschaft von Tag zu Tag lebensbedrohlicher. Denn der 71-Jährige ist Diabetiker. Erst nach zwei Wochen Haft bekam er zum ersten Mal Medikamente, die ihm halfen den Zuckerspiegel zu regulieren. Nach einem Monat erreichten ihn dann die lebenswichtigen Insulinspritzen, die er bei seinem Cousin in Kabul aufbewahrt hatte. Viele Freunde versuchten Jama Maqsudi zu helfen, einige kontaktierten sogar die Taliban-Regierung, um seine Freilassung zu erreichen. Das Auswärtige Amt schaltete sich ein, auch wenn die Bundesregierung die De-Facto-Regierung der Taliban politisch nicht anerkennt und die deutsche Botschaft seit der Machtübernahme am 15. August 2021 bis auf weiteres geschlossen ist.

Nach wochenlanger Haft Rückkehr nach Deutschland

Endlich, am 20. Juli, kam Jama Maqsudi frei und flog drei Tage später nach Deutschland, in Sicherheit zu seiner Familie nahe Tübingen. "Ich bin allen Menschen, die mir geholfen habe, unendlich dankbar", sagt er und lächelt traurig. "Aber für mich ist es jetzt ausgeschlossen, nach dieser Erfahrung wieder nach Afghanistan zu gehen und irgendwas zu machen. Ich muss auch aufpassen, um nicht die Freunde in Gefahr zu bringen, die noch in Afghanistan sind".

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