Nach politischer Einigung auf Digitalpakt 2.0

"Skandal": Hirnforscher Spitzer kritisiert digitale Medien in Schulen

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Neue Laptops für Schulen und digitale Tafeln: Bund und Länder jubeln über den Digitalpakt 2.0. Deutschlands wohl bekanntester Hirnforscher schlägt die Hände überm Kopf zusammen.

Die grundsätzliche Einigung auf einen Digitalpakt 2.0 zwischen Bund und Ländern hat vielerorts ein Aufatmen ausgelöst. Es soll also weiter viel Geld für neue Laptops und digitale Tafeln in den Schulen geben. Der Ulmer Hirnforscher und Bestsellerautor ("Digitale Demenz"), Manfred Spitzer, hält die fortgesetzte Digitalisierung für einen "Skandal". Im SWR-Videopodcast "Zur Sache intensiv" sagte der 66-jährige Professor für Psychiatrie: "Die Politiker sind wirklich lernresistent."

Hirnforscher Spitzer: Smartphones machen dick, dumm und dement I Zur Sache! Intensiv“

Spitzer hält Erlernen von Medienkompetenz für "Quatsch"

Digitale Medien führten nachweislich zu Bildungsschäden bei Kindern, was die deutsche Politik aber nicht wahrhaben wolle. "Verdammt noch eins: Wir Erwachsenen haben doch die Verantwortung für die nächste Generation. Und das laufen zu lassen, wie wir es in Deutschland noch machen, ist schlichtweg verantwortungslos."

Spitzer hält das Argument, schon Kinder müssten Medienkompetenz erhalten, für vorgeschoben. "Warum sollen die Kinder in der Schule lernen, mit so einem Blödsinn umzugehen, wenn es den Kindern einfach nur schadet." Noch mit 14 Jahren stecke das Gehirn mitten in der Entwicklungsphase. Jede Stunde am Bildschirm oder Smartphone führe zu weniger Bewegung und Aufmerksamkeitsstörungen. Es gebe leider die "Standardmeinung", die Kinder müssten unbedingt und frühzeitig an digitale Medien herangeführt werden, am besten schon mit Tablets für 5-Jährige im Kindergarten. "Alles Quatsch."

Hirnforscher hält soziales Argument für "ideologisches Wunschdenken"

Es sei auch falsch, dass Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien am meisten davon profitierten, wenn die Schule mit digitalen Medien arbeite. "Das ist ideologisches Wunschdenken. Fakt ist, wenn sie Schulen digitalisieren, dass sie den Schwachen am meisten schaden."

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Spitzer warnte Eltern, Lehrkräfte und Politik davor, sich von den großen US-amerikanischen Unternehmen blenden zu lassen. Überall werde vermittelt, dass die Zukunft digital sei und Kinder ohne digitale Medien abgehängt würden. "Das wird doch allen Leuten dauernd verkauft." Große Firmen wie Facebook, Amazon, Apple und Microsoft steckten viel Geld in Lobbyarbeit. "Die Tabaklobby ist gegen die digitale Lobby so klein mit Hut." Spitzer zeigte sich überzeugt: "Wir müssen unsere nächste Generation vor den Profitinteressen amerikanischer Konzerne schützen."

KMK diskutiert über bundesweites Handyverbot an Schulen

Der Hirnforscher ist seit langem für ein Handyverbot bis zum Alter von 14 Jahren. "Sie kriegen einen 14-Jährigen nicht zu einem verantwortlichen Umgang mit Medien, das geht einfach nicht."  In der Politik gibt es in dieser Frage nun Bewegung. Auf Initiative des hessischen Kultusministers Armin Schwarz (CDU) soll die Kultusministerkonferenz in Berlin an diesem Donnerstag über eine bundesweite Regelung für ein Handyverbot beraten. Zuletzt hatte Australien entschieden, soziale Medien für unter 16-Jährige zu verbieten.

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Kultusministerium BW behält sich Verbote vor

Das baden-württembergische Kultusministerium schließt härtere Regeln für die Schulen nicht aus, will vorher aber Experten anhören. "Wir behalten uns anschließend ausdrücklich eine stärkere Regelung im Schulgesetz zu Verboten vor", sagte ein Sprecher von Ministerin Theresa Schopper (Grüne). "Denn wir sehen, dass die Bildungswissenschaften zunehmend zu einem restriktiven Umgang raten, was die sozialen Medien betrifft. Gleichzeitig gilt es, die verschiedenen Interessen in einen Ausgleich zu bringen." So drängen Eltern häufig darauf, dass ihre Kinder in der Schule per Handy erreichbar sind.

Man beobachte die international und auch in anderen Bundesländern geführte Debatte zu einer Reglementierung des Einsatzes elektronischer Geräte wie Handys, Smartwatches und Tablets. "Wir werden dazu Anfang 2025 einen Expertenkreis einberufen und gemeinsam diskutieren, um uns das Thema aus allen Perspektiven anzuschauen. Dabei wird auch der Einfluss auf das Gehirn diskutiert." Daran beteiligt würden unter anderem auch Fachleute aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Klar sei für das Ministerium, dass man zweigleisig unterwegs sein müsse: "Die Möglichkeit zu restriktivem Handeln, wo es erforderlich ist - aber auch die Ausbildung und das Erlernen der entsprechenden Kompetenzen, um der Technik und dem Medium nicht ausgeliefert zu sein."

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Kultusministerin kritisch gegenüber generellem Handyverbot

Schopper hatte zuletzt erklärt, sie sehe ein generelles Handyverbot eher kritisch. An Grundschulen gebe es sowieso selten Handys. Die anderen Schulen hätten die Handynutzung eh auf dem Schirm. Es sei keine "so einfache Geschichte mit schwarz oder weiß". Allein durch die Altersstruktur an Schulen. "Wir haben bei uns Berufsschulen, wo wir Leute haben, die schon 35 sind. Und wir haben gleichzeitig Eltern, die wollen, dass sie ihr Kind auf Klassenfahrt erreichen können."

Schopper sieht Eltern und Lehrer in der Pflicht

Schopper will dafür sorgen, dass Kinder durch den "Mediendschungel" geleitet werden. Schon ab Klassenstufe fünf soll ab dem nächsten Schuljahr Medienkompetenz auf dem Lehrplan stehen. Generell sieht Schopper vor allem Lehrer und Eltern in der Pflicht, weniger die Politik. Sie müssten sich die Frage stellen, wie viele Stunden in den sozialen Medien für die Kinder in Ordnung sei. Denn die meiste Zeit am Handy würden sie schließlich außerhalb der Schule verbringen.

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