Die Kommunen halten das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 in Baden-Württemberg für unrealistisch. Angesichts der Wirtschaftskrise und sinkender Steuereinnahmen sagte Städtetags-Präsident Frank Mentrup (SPD) dem SWR: "Ich sehe im Moment nicht, dass das in den zeitlichen Vorgaben möglich ist." Und weiter: "Wir würden gerne mehr machen, aber dann brauchen wir andere Finanzierungsinstrumente, die können wir als einzelne Kommune oder einzelnes Stadtwerk nicht gewährleisten."
Städtetags-Geschäftsführer Ralf Broß ergänzte, die grün-schwarze Landesregierung müsse darüber nachdenken, "ob diese Zielsetzung noch zeitgemäß ist". Die Koalition hatte 2021 festgelegt, dass Baden-Württemberg fünf Jahre früher als der Bund und zehn Jahre eher als die Europäische Union klimaneutral werden soll. "Wir plädieren dafür sich ehrlich zu machen, zu diskutieren, wenn es nicht finanzierbar ist bis 2045 bzw. 2040, ob wir dann an die Ziele herangehen."
Kommunen sehen in Klimazielen "politische Symbolik"
Der Landkreistag stößt in das gleiche Horn. "Die verschiedenen Ebenen der Politik überbieten sich gegenseitig mit ihren Klimaschutzzielen", sagte Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, dem SWR. "Allerdings bleibt die entscheidende Frage unbeantwortet, wie dies finanziert werden soll." Es brauche mehr Ehrlichkeit und belastbare, finanziell hinterlegte Planungen. "Klimaschutzziele dürfen sich nicht in politischer Symbolik erschöpfen." Sonst drohe die Akzeptanz für den Klimaschutz verloren zu gehen.
Gemeindetags-Präsident Steffen Jäger betonte im SWR: "Das Ziel der Klimaneutralität stellen wir in keiner Weise in Frage." Ob die äußerst ambitionierten und zudem unterschiedlichen Zeitziele von Europa, Bund und Land hierzu förderlich seien, "erscheint jedoch immer fraglicher". Angesichts der aktuellen Finanzlage und der zusätzlichen Aufgaben sei absehbar, dass zahlreiche Kommunen nicht die nötigen Investitionen tätigen können, um die Klimaziele zu erreichen.
"Deshalb wäre es besser, ambitionierte Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität zu definieren, die realistisch umsetzbar und finanzierbar sowie für Volkswirtschaft und Gesellschaft vermittelbar sind. Abstrakte Zeitziele in ein Gesetz zu schreiben, die sich womöglich gar nicht halten lassen, wären dann nicht mehr notwendig."
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Wirtschaft sieht BW-Sonderweg schon länger kritisch
Die Kommunen schwenken damit öffentlich auf die Linie der Wirtschaftsverbände ein, die schon länger fordern, dass die Klimaziele vereinheitlicht und somit nach hinten verschoben werden. Zuletzt hatten die Unternehmer Baden-Württemberg erklärt: "Wenn die Landesregierung dennoch an dem Sonderweg festhalten will, Baden-Württemberg fünf Jahre vor dem Rest der Republik und zehn Jahre vor der EU klimaneutral zu machen, dann müssen für die Unternehmen im Südwesten zumindest eigene, gut ausgestattete und zielgenaue Förderprogramme aufgelegt werden." Doch diese sind nicht in Sicht.
Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat schon öfter angedeutet, dass er die jahresscharfen Ziele etwa in den einzelnen Sektoren für wenig sinnvoll hält. Doch die Grünen-Fraktion sowie Umweltministerin Thekla Walker und ihr Verkehrskollege Winfried Hermann (Grüne) wollen daran festhalten. Dagegen ist auch der Koalitionspartner CDU skeptisch. "Wir konzentrieren uns lieber auf Ausbauziele", sagte der CDU-Umweltexperte Raimund Haser dem SWR. "Höchste Priorität haben für uns deshalb der Netzausbau, die Umsetzung der Kraftwerksstrategie, Innovationen im Energiesektor aus Baden-Württemberg sowie wettbewerbsfähige Energiepreise für Unternehmen und Verbraucher."
Grün-Schwarz verfehlt Klimaziele derzeit bei weitem
Tatsächlich hinkt Grün-Schwarz seinen Klimazielen weit hinterher. Mitte Oktober hatte der Klima-Sachverständigenrat der Landesregierung bescheinigt, dass sie deutlich hinter ihren Zielen zurückbleibt. Die Experten gehen davon aus, dass das Zwischenziel der Reduktion von 65 Prozent von Kohlendioxid (CO2) bis 2030 im Vergleich zu 1990 klar verfehlt wird - vor allem in den Sektoren Verkehr, Gebäude, Energie und Landwirtschaft. Sie forderten die Regierung auf, rasch gegenzusteuern: Grün-Schwarz müsse innerhalb von vier Monaten ein umfassendes Klimaschutz-Sofortprogramm vorlegen, denn das stehe so im Gesetz.
Doch ein großes Sofortpaket wird es nicht geben. Bei Grünen und CDU wird darauf verwiesen, dass der Haushalt für die Jahre 2025/2026 schon beschlossen und somit gar kein zusätzliches Geld für Sofortmaßnahmen da sei. Zudem zweifeln die CDU-Ministerien die Analyse der Klima-Sachverständigen an. Es sei vor allem der Bereich von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der mit Abstand die meisten Treibhausgase freisetze. Es liege größtenteils auch nicht in der Hand der Landesministerien, den CO2-Ausstoß in bestimmten Sektoren zu verringern, sondern beim Bund oder der EU. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) will nun zumindest in ihrem Bereich nachsteuern. Für einen großen "Zukunftsinvestitionsfonds" sei aber kein Geld da.
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FDP hält Sonderweg des Landes für "absoluten Blödsinn"
FDP-Partei- und Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke unterstützt die Forderungen der Wirtschaft und der Kommunen. "Es ist absoluter Blödsinn, ehrgeiziger als der Bund, ehrgeiziger als Europa bei den Klimaschutzzielen sein zu wollen", sagte er dem SWR. "2050 ist einigermaßen realistisch. 2050 ist auch eine Zahl, die unsere Wirtschaft jetzt nicht im internationalen Vergleich über Gebühr belastet."
Die SPD plädiert zwar dafür, an den Zielen dranzubleiben. "Aber wir haben von Anfang an kritisiert, dass die Landesregierung ein Ziel ins Schaufenster gestellt hat, aber nichts dafür getan hat", sagte Andreas Stoch, SPD-Landeschef. Mit so wenigen Windrädern und so wenigen Maßnahmen im Verkehr seien die Klimaziele nicht zu schaffen. "Die Landesregierung sollte jetzt endlich Farbe bekennen und klarmachen, dass sie gescheitert ist, ihre eigenen Ziele zu erreichen."