Hiobsbotschaft zu Parteitag am Wochenende

8 statt 100 Windräder: Warum die Grünen in BW an ihren Klimazielen scheitern

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik
Onlinefassung
Wolfgang Lickert

Die Sorge um den Job und den eigenen Wohlstand ist bei vielen Menschen größer als die Angst vor Hitzewellen und Starkregen. Das macht sich auch in der BW-Politik stark bemerkbar.

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, Weihnachten steht vor der Tür. Da wird auch in der Politik Jahresbilanz gezogen. Bei ihrem Herzensthema Windkraft und Klimaschutz dürften viele Grüne beim Landesparteitag am Wochenende in Reutlingen ironisch von einer schönen Bescherung reden. Nach Zahlen des grün-geführten Umweltministeriums sind bisher in Baden-Württemberg unter dem Strich nur acht zusätzliche Windräder in Betrieb gegangen. Es könnten bis Jahresende noch einige wenige dazukommen, denn weitere sechs Anlagen sind demnach fertiggestellt. Ob das bis zu den Feiertagen klappt, steht in den Sternen.

Kretschmann versprach 100 Windräder für das Jahr 2024

Von den grünen Zielen ist diese Bilanz jedenfalls meilenweit entfernt. Zur Erinnerung: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte Ende 2022 in der ARD-Sendung "Maischberger" ein neues Ziel ausgegeben. "Im übernächsten Jahr müssen es sicher wieder 100 werden", sagte er. "Da können sie mich dann beim Wort nehmen." Die größten Hürden seien beiseite geräumt, der Hochlauf könne beginnen. Anfang 2024 hatte Kretschmann dann schon gesagt, er wisse nicht, ob die 100 realistisch seien. Jetzt weiß man: Sind sie nicht.

Tief- statt Hochlauf bei Windenergie: BW kommt weiter nicht vom Fleck

Die von Kretschmann ausgerufene Aufholjagd im Mittelgebirgsland Baden-Württemberg stockt also weiter. Ursprünglich hatte die Landesregierung sogar vereinbart, dass bis 2026 insgesamt 1.000 neue Windräder geschaffen werden sollen. Das hatte Kretschmann schon einkassiert. Stattdessen konzentrierte sich die Regierung darauf, die Genehmigungsverfahren auf dreieinhalb Jahre zu halbieren. Das Ergebnis: Derzeit sind 882 Anlagen "in der Pipeline", wie es die Regierung immer wieder formuliert. Bei fast 550 davon ist aber bisher nur die Planung vorgestellt, 157 sind genehmigt.

"Zoff um Windräder: Zukunft oder Zumutung?" Dieser Frage geht die aktuelle Folge von SWR Aktuell 360 Grad nach:

Zoff um Windräder: Zukunft oder Zumutung? | SWR Aktuell 360 Grad

Grüne Umweltministerin gibt sich trotz Rückstand optimistisch

Bis 2030 sollen im Land Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 6,1 Gigawatt installiert sein. Derzeit sind 1,8 Gigawatt in Betrieb. Landesumweltministerin Thekla Walker (Grüne) hält das Ziel noch für erreichbar: "Die Behörden erledigen ihre Aufgaben zügig und unter Hochdruck. Jetzt muss die Energiebranche nachziehen und bauen." Der allgemeine Boom der Windkraft sorge allerdings dafür, dass neue Anlagen derzeit vorrangig in topografisch einfacheren Regionen entstehen.

Woran liegt es? Windenergie-Verband beklagt Bürokratie

Es gibt noch andere Gründe: Fachkräftemangel, Logistikprobleme und teurere Pachten. Der Bundesverband Windenergie erläutert zum Beispiel, durch eine Sperrung auf der Autobahn A27 bei Cuxhaven habe es Probleme beim Transport von Rotorblättern gegeben. Über den dortigen Hafen kommen die meisten Rotorblätter für Windräder an und werden dann ins Landesinnere gebracht. Doch das alles erklärt nicht so richtig, warum zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen bis Ende September 112 neue Windräder in Betrieb gehen konnten und in Baden-Württemberg nur so wenige.

Oft werden Windräder auch in der Bevölkerung kritisch gesehen - beispielsweise in Starzach (Kreis Tübingen), wo es lange Streit um einen geplanten Windpark gab:

Starzach

"Protest so persönlich wie kaum irgendwo" Starzach und der geplante Windpark: Chance oder Verlust der Idylle?

Der Streit um den geplanten Windpark in Starzach hat die Gemeinde überregional bekannt gemacht. Das nervt die Menschen, die heute ruhiger über Chance und Risiko diskutieren können.

Der Landesverband Windenergie Baden-Württemberg stellte vor kurzem ernüchtert fest: "Trotz allseitigem Bemühen sind keine ausreichenden Effekte bei der Verkürzung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren in Baden-Württemberg erkennbar." Es gebe noch "einzelne Landratsämter, die sich der nötigen Geschwindigkeit beim Ausbau der Windenergie verweigern".

Starzach

"Protest so persönlich wie kaum irgendwo" Starzach und der geplante Windpark: Chance oder Verlust der Idylle?

Der Streit um den geplanten Windpark in Starzach hat die Gemeinde überregional bekannt gemacht. Das nervt die Menschen, die heute ruhiger über Chance und Risiko diskutieren können.

Das Umweltministerium hält dagegen, die Dauer von der Antragstellung bis zur Genehmigung sei stark gesenkt worden. "Im ersten Halbjahr 2024 lag die durchschnittliche Verfahrensdauer der 27 in diesem Zeitraum genehmigten Windenergieanlagen bei 7,3 Monaten." Das sei nach Auskunft der Fachagentur Wind bundesweit Spitze. 2023 dauerte das Genehmigungsverfahren im Land laut Ministerium durchschnittlich noch 22,1 Monate, im Jahr davor 35,6 Monate.

Umweltschützer zeigen sich enttäuscht von Grün-Schwarz

Es hakt also noch woanders: Die Klimasachverständigen Baden-Württemberg hatten gemahnt, die Landesregierung müsse dringend dafür sorgen, dass rasch geeignete Flächen für Windräder bereitgestellt würden. Sylvia Pilarsky-Grosch, BW-Landeschefin des Umweltverbands BUND sagte dem SWR: "Wir sind sehr enttäuscht, dass auch in diesem Jahr der Ausbau der Windenergieanlagen weit hinter den Versprechungen des Ministerpräsidenten zurückbleibt. Aber wir hoffen, dass mit der Ausweisung von Vorrangflächen in der Regionalplanung der Ausbau endlich Fahrt aufnimmt."

Baden-Württemberg

SPD-Anfrage an das Umweltministerium Ausbau von Windkraft in BW stockt

Die Landesregierung in Baden-Württemberg hat bei der letzten Ausschreibung der Bundesnetzagentur für Windenergie-Anlagen kein Projekt beantragt. Die SPD-Fraktion übt Kritik.

SPD hält versprochenen Hochlauf für "Fata Morgana"

Für die SPD-Fraktion sagte Gabi Rolland: "Es wird immer deutlicher, dass es sich bei dem versprochenen Hochlauf um eine reine Fata Morgana handelt." Es sei auch keine Besserung in Sicht. "Denn bei der jüngsten Ausschreibung von Anlagen im August mit Rekordzuschlägen von über 800 Anlagen deutschlandweit war Baden-Württemberg nicht mit einer einzigen Anlage dabei. Dabei zeigen praktisch alle anderen Flächenländer der Bundesrepublik, dass es offenbar viel besser geht."

Die AfD-Fraktion forderte Grün-Schwarz auf, den Ausbau der Windenergie fallen zu lassen. "Echter Umweltschutz pflastert die Landschaft nicht rücksichtslos mit gigantischen Windrädern zu", sagte deren Energie-Sprecher Uwe Hellstern. "Ein Flautenland Baden-Württemberg wird nie ein Windland werden."

Klimaschutz-Politik gerät wegen Wirtschaftskrise ins Hintertreffen  

Die großen Probleme beim Ausbau der Windkraft werfen ein Schlaglicht auf die Klimapolitik der Landesregierung. Die tiefe Wirtschaftskrise und das Aus der Ampel-Bundesregierung haben die Vorzeichen auch für Grün-Schwarz verschoben. Auch auf grüner Seite heißt es, die Menschen sehnten sich derzeit vor allem nach Stabilität und wirtschaftlicher Sicherheit. Da habe man es mit dem Thema Klimaschutz zunehmend schwer.

Zu Beginn der grün-schwarzen Koalition vor dreieinhalb Jahren hörte sich das noch anders an: Da hatten die Spitzen das Ziel ausgegeben, Baden-Württemberg zum "Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa" zu machen. Grün-Schwarz wollte bis 2040 klimaneutral werden, und damit zehn Jahre schneller als die EU und fünf Jahre schneller als der Bund. Es dürfen dann nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden, wie wieder gebunden werden können. Dafür müsste das Land bis 2030 eigentlich ein Minus von 65 Prozent der Emissionen im Vergleich zu 1990 erreichen. Nur: Bislang ist das Ziel noch nicht einmal zur Hälfte erreicht, mahnt der Klima-Sachverständigenrat.

Sachverständige machen Druck: Schnell gegensteuern

Die Experten gehen deshalb davon aus, dass das Ziel bis 2030 deutlich verfehlt wird, vor allem in den Sektoren Verkehr, Gebäude, Energie und Landwirtschaft. Schon vor knapp zwei Monaten forderten sie die Regierung auf, schnell gegenzusteuern: Grün-Schwarz müsse innerhalb von vier Monaten ein Klimaschutz-Sofortprogramm vorlegen, denn das stehe so im Gesetz. BW-Umweltministerin Walker erklärte daraufhin, man nehme die Stellungnahme der Experten sehr ernst. Bis Jahresende solle sich das Landeskabinett mit den Empfehlungen befassen, bis Ende April 2025 könne dann auch ein von den Experten gefordertes Sofortpaket beschlossen werden.

Widerstand bei CDU gegen das geforderte Klima-Sofortpaket

Doch ein solches Sofortpaket wird es aller Voraussicht nach nicht geben. Nach SWR-Informationen weigern sich die CDU-Ministerien, der Analyse der Klima-Sachverständigen zu folgen, dass in mehreren Bereichen die Ziele verfehlt würden. Das gäben die Daten so nicht her. Zudem sei der Bereich von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) der mit Abstand größte Verursacher von Treibhausgas-Emissionen. Es liege zum Teil auch nicht in der Hand der Landesministerien, den CO2-Ausstoß in bestimmten Sektoren zu verringern, sondern beim Bund oder der EU. Ergebnis: Die CDU-Seite wies das Ansinnen des Umweltministeriums zurück, die Verfehlung der Ziele anzuerkennen und ein Sofortprogramm zu beschließen, wie der SWR erfuhr.

Baden-Württemberg

100 Windräder pro Jahr nötig Schleppender Windkraftausbau in BW: Zwischen Bürokratie und Bürgerentscheiden

Wenn irgendwo im Land neue Windräder entstehen sollen, formiert sich dagegen regelmäßig Widerstand in Form von Initiativen. Doch auch Bürokratie steht dem Ausbau im Weg.

Haushalt vor Abschluss: Kein Geld für mehr Klimaschutz?

Doch auch auf grüner Seite gibt es große Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines solchen Sofortpakets. Intern wird darauf verwiesen, dass der Haushalt für 2025/2026 noch vor Weihnachten beschlossen werde und es angesichts des Geldmangels nicht möglich sei, weitere Maßnahmen zum Klimaschutz darin zu verankern.

Es wird auch zu bedenken gegeben, dass etwa die Kapitalerhöhung für den Energiekonzern EnBW, an dem das Land knapp zur Hälfte beteiligt ist, einen größeren Effekt für die Energiewende habe als kleinteilige Maßnahmen im Land. Über ihre Beteiligungsgesellschaft Neckarpri schießt das Land der EnBW 1,5 Milliarden Euro zu. Das Karlsruher Unternehmen soll damit unter anderem den Ausbau der Erneuerbaren Energien und von Stromautobahnen vorantreiben.

Dass im verhandelten Haushalt zu wenig Mittel für den Klimaschutz und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs vorgesehen seien, darüber hatte sich schon Verkehrsminister Hermann im Kabinett beschwert. Tatsächlich bekommt er für seine geplante Mobilitätsgarantie kein Geld. Die im Koalitionsvertrag geplante Garantie sieht eigentlich vor, dass alle Orte im Land von 5 Uhr früh bis Mitternacht mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein sollen.

Umweltverband vermisst politischen Willen zum Klimaschutz

Pilarsky-Grosch vom BUND Baden-Württemberg beklagte auch den fehlenden politischen Willen. Vor allem die Lage im Verkehr sei katastrophal: "Die Emissionen steigen weiter. Klimamobilitätspläne in allen Kommunen und eine massive Förderung des Öffentlichen Verkehrs zulasten des Autoverkehrs ist dringend notwendig." Im Gebäudesektor müsse Grün-Schwarz auch endlich handeln. "Bei der Wärmewende muss das Land dringend seine Regulierungen überarbeiten, die Bundesregelungen adaptieren und massiv mit Fördermitteln aktiv werden. Dabei dürfen mögliche soziale Folgen nicht unbeachtet bleiben." Ohne konsequenten Umbau des Landeshaushaltes in Richtung Klimaschutz werde das nicht möglich sein.

Die Regierung darf Klimaschutz nicht länger aussitzen.

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Der Appell dürfte auch an den Grünen-Landesparteitag am Wochenende gehen, bei dem unter anderem die Landesliste der Kandidierenden für die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar bestimmt wird. Am Sonntag wird auch eine Rede von Kretschmann erwartet. Und auch, dass er die schwierige Wirtschaftslage und die Folgen für die Auto- und Zulieferindustrie ansprechen wird. Zuletzt hatte der grüne Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Robert Habeck ins Gespräch gebracht, die Autokonzerne im nächsten Jahr vor Strafzahlungen der EU zu bewahren, wenn sie die Klimaziele reißen. Das würde den Autobauern mehr Zeit geben, den Anteil von emissionsfreien E-Autos zu steigern. Momentan ist der Absatz von Elektroautos schleppend. 

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