Der Landtag hat am Mittwoch das neue Klimaschutzgesetz mit der Mehrheit der grün-schwarzen Koalition beschlossen. Baden-Württemberg ist damit das erste Bundesland, das konkrete Ziele für die Reduzierung von CO2 für Verkehr, Gebäude und Wirtschaft gesetzlich festschreibt.
Das Land will seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Bis 2040 will es klimaneutral werden. Das sind fünf Jahre früher, als es der Bund für Deutschland beschlossen hat. Klimaneutralität bedeutet, dass nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen, wie wieder gebunden werden können. "Es ist das ehrgeizigste, das weitreichendste und das umfassendste Klimaschutzgesetz, das wir ins Deutschland haben", sagte Umweltministerin Thekla Walker (Grüne).
Konkrete Maßnahmen sollen "baldmöglichst" veröffentlicht werden
Unter anderem will das Land sogenannte Sektorenziele beschließen. Mit ihnen gibt es konkrete Vorgaben für Bereiche wie Landwirtschaft, Straßenbau und Gebäude, um den Ausstoß von CO2 zu senken. Dafür sollen die jeweiligen Ministerien zuständig sein.
Umweltministerin Walker kündigte im Landtag an, das Register mit den konkreten Klimaschutz-Maßnahmen der einzelnen Ministerien werde baldmöglichst veröffentlicht. Die Grünen-Politikerin räumte ein, es wäre besser gewesen, das Register schon mit dem Gesetz vorzulegen. Man habe sich aber erst am Montagabend auf die Maßnahmen geeinigt. Diese würden immer weiterentwickelt und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kontrolliert.
Opposition übt heftige Kritik
Bei der Opposition gibt es große Zweifel, ob die Klimaziele realistisch sind. Der FDP-Abgeordnete Daniel Karrais kritisierte, dass Grüne und CDU in letzter Minute noch eine Klausel eingebaut hätten, damit die Ziele nicht eingeklagt werden können. Das spreche doch dafür, dass die Regierung selbst nicht an die Ziele glaube.
Außerdem wolle die FDP rechtliche Schritte prüfen, weil die Abgeordneten vor der Abstimmung nicht ausreichend informiert worden und die geschätzten Kosten nicht transparent seien.
"Das Gesetz geht in die richtige Richtung, aber es fehlen Instrumente, die zur Umsetzung anregen", sagte die SPD-Abgeordnete Gabriele Rolland. Das Klima-Maßnahmen-Register müsse zudem erst noch mit Inhalt gefüllt werden. Auch SPD-Fraktionschef Andreas Stoch kritisierte, es blieben "mehr Fragen offen als beantwortet werden".
Die AfD geht einen Schritt weiter: Das Gesetz verstoße gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, erklärte der handwerkspolitische Fraktionssprecher, Joachim Steyer. "Wer bereits an ein Wärmenetz angeschlossen ist oder kein Dach sanieren oder keine Heizung ersetzen muss, der ist fein raus. Der Rest aber hat Pech gehabt", erläuterte Steyer. "Aus diesem Grund behalten wir uns vor, gegen Teile dieses Gesetzes zu klagen."
Wirtschaft wünscht sich Beteiligung "auf Augenhöhe"
Kritik kommt auch aus der Wirtschaft. Verbindliche Klimaschutzziele auf Landesebene seien kontraproduktiv und wettbewerbsverzerrend, monierten die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände. "Es ist bereits extrem schwierig, globale Treibhausgas-Minderungsziele auf die EU und - erst recht - dann noch auf die Mitgliedstaaten zu verteilen", sagte der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), Peer-Michael Dick. "Eine noch kleinteiligere Betrachtung grenzt aus unserer Sicht fast schon an Willkür."
Das Landeshandwerk hätte sich eine frühere Änderung des Gesetzes gewünscht. "Da die Koalition quasi über Nacht und nach Abschluss aller Expertenanhörungen Nachbesserungen am Gesetz vorgenommen hat, ist eine vernünftige Bewertung durch unsere Fachleute kaum vorzunehmen", erklärte Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. Er hoffe, dass die kurzfristigen Änderungen davor schützten, dass Land und Wirtschaft von bestimmten Organisationen verklagt werden könnten.
Naturschutzorganisationen skeptisch
Das kritisiert auch der Naturschutzbund (NABU) in Baden-Württemberg. Der Landesvorsitzende Johannes Enssle ist sich zwar sicher, dass die Anpassung des Klimaschutzgesetzes eine gute Nachricht sei - ein Landesgesetz mit konkreten Sektorzielen sei in dieser Form in Deutschland bisher einmalig. Dass die Ziele nicht einklagbar seien, macht Enssle aber stutzig: "Da stellt sich natürlich die Frage, wie ernst die grün-schwarze Koalition den Klimaschutz wirklich nimmt."
Ähnlich sieht es der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND Baden-Württemberg, sagte: "Die Festlegung von Sektorzielen ist gut und sinnvoll, aber wir sehen bereits auf Bundesebene, dass in der Realität oft Entscheidungen getroffen werden, die nicht im Einklang mit diesen Zielen stehen." Es sei wichtig, die angekündigten Klimaschutzmaßnahmen auch umzusetzen.
Herausforderungen sind groß
Klar ist: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Anstrengungen vervielfachen. Vor allem beim Verkehr dürfte es im Autoland Baden-Württemberg schwer werden, den hohen CO2-Ausstoß schnell zu senken. Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte erklärt, dass er darin ein Problem sieht.
Auch im Gebäudebereich gibt es große Herausforderungen. Allein 2019 wurden in diesem Sektor 17,6 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen. Bis 2030 sollen es nur noch 10,7 Millionen Tonnen sein - das wäre ein Minus von 39 Prozent. Dafür müsste das Land sehr viel Geld in Dämmung und erneuerbare Energie stecken.
Ähnlich sieht es bei der Energiewirtschaft aus. Während 1990 noch 19,9 Millionen Tonnen ausgestoßen wurden, waren es 2019 noch 15,9 Millionen Tonnen. 2030 soll er schon bei 5,1 Millionen Tonnen liegen - dafür müsste auch der geplante Kohleausstieg eingehalten werden.
Land will Flächen für Windenergie bereitstellen
Weitere Ziele des neuen Gesetzes: 1,8 Prozent der Landesflächen sollen für den Ausbau der Windenergie bereitgestellt werden - entsprechend den Vorgaben des Bundes. Mindestens 0,2 Prozent sieht das Land für Freiflächen-Photovoltaik (PV) vor.
Vorgesehen ist auch eine PV-Pflicht auf Neubauten und bei grundlegenden Dachsanierungen, außerdem beim Neubau von größeren offenen Parkplätzen. Gebäude in Landesbesitz müssen ab 2030 über Solaranlagen verfügen.
Außerdem wird bei Baumaßnahmen, Anschaffungen und Aufträgen des Landes ein fiktiver Preis für Emissionen eingerechnet. Dadurch soll die Wahrscheinlichkeit sinken, dass bei Ausschreibungen besonders klimaschädliche Angebote die günstigsten sind.