Baden-Württemberg kann auch 2025 und 2026 mit viel Geld vom Bund für seine Kitas rechnen. Rund zwei Milliarden Euro gehen dank des angepassten Kita-Qualitätsgesetzes pro Jahr an die Bundesländer. Wie viel Baden-Württemberg genau bekommt, darüber lägen noch keine Informationen vom Bund vor, heißt es auf SWR-Anfrage aus dem Kultusministerium. Zuletzt bekam Baden-Württemberg aber rund 510 Millionen Euro für zwei Jahre im Rahmen des Vorgänger-Gesetzes.
Verbände in BW begrüßen die Entscheidung im Bundestag, fordern aber noch weitere Schritte. Aus dem BW-Kultusministerium hieß es auf SWR-Anfrage, durch das weiterentwickelte Gesetz erfolge eine "stärkere Fokussierung auf diejenigen Handlungsfelder, die für Qualität besonders wichtig sind". Zu Fachkräften, Kita-Leitung, sprachlicher Bildung und Kindertagespflege sollten die bereits umgesetzten Maßnahmen fortgesetzt werden, hieß es weiter.
Doch was bedeutet das im Detail? SWR Aktuell hat bei denen nachgefragt, die es betrifft: einer Kita-Leiterin und Vorständin des Verbands der Kitafachkräfte Baden-Württemberg, bei der Bildungsgewerkschaft GEW, dem Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg (VBE BW) und bei denen, die politisch dafür die Verantwortung in Baden-Württemberg tragen: Kultusministerium, Städte- und Gemeindetag.
- Was sagen Kita-Fachkräfteverband und Bildungsgewerkschaften?
- Was sagen Kultusministerium und Kommunen?
Kita-Leiterin: "Die Krise wird ernst genommen"
Anruf bei Anja Braekow. Sie ist Leiterin und Geschäftsführerin einer Kita mit 30 Plätzen in Südbaden und ist Vorständin des Verbands Kitafachkräfte in Baden-Württemberg. Braekow hat die Debatte im Bundestag zum Kita-Qualitätsgesetz trotz der späten Stunde am Donnerstag per Livestream mitverfolgt. Sie sagt, das Gesetz sei ein guter Anfang, aber: "Wir machen ein Bundesgesetz und schwupps ist die ganze Krise gelöst - vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass es so einfach nicht ist." Froh sei sie trotzdem, denn das Bundesgesetz zeige den pädagogischen Fachkräften: die Krise wird ernst genommen.
Für Braekow ist klar, das Geld muss jetzt auch in den Kitas ankommen. In eine qualitativ gute Ausbildung müsse investiert werden, in Sprachförderung und natürlich in zusätzliche Kräfte, die zum Beispiel bei der Administration unterstützen. "Gerade in der Kita-Leitung haben wir ganz oft mit Aufgaben zu tun, die weit weg von dem sind, was wir eigentlich können und auch wollen."
Bei der Bildungsgewerkschaft GEW begrüßt man das Kita-Qualitätsgesetz, erwartet aber auch von Kita-Trägern und Landesregierung weitere Schritte. Auch nach 2026 dürfe die Förderung vom Bund außerdem nicht enden. "Die Bemühungen um Personal müssen weiter intensiviert werden. Neben den Tarifverhandlungen bietet sich die Chance für die Träger, durch mehr Zeit für Vor- und Nachbereitung und für Qualifizierung sowie kleinere Gruppen den Beruf attraktiver zu machen und die hohe Belastung zu senken", so GEW-Landesvorsitzende Monika Stein gegenüber dem SWR.
Beim VBE BW sieht man ebenfalls viel Gutes im Gesetz, sagt aber: "Diese Änderungen sind zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie allein reichen noch nicht aus, um die tiefgreifende Krise im Kita-Bereich zu bewältigen." Gerade neue Fachkräfte zu gewinnen, werde kurzfristig nur schwer möglich sein. Deshalb brauche es, um die Kita-Krise langfristig zu überwinden, neben den Reformen im Gesetz "ein umfassendes Paket, das auch die Attraktivität des Erzieherberufs, eine bessere Bezahlung und flexiblere Arbeitsmodelle stärker in den Fokus rückt", so der VBE BW.
Verband Kitafachkräfte: "Wir haben viel zu lange geschwiegen"
Auch Kita-Leiterin Anja Braekow wünscht sich, dass mit dem Geld aus dem Kita-Qualitätsgesetz etwas am Personalschlüssel getan wird. Der ist in Baden-Württemberg im Vergleich mit anderen Bundesländern zwar recht gut, variiert aber innerhalb des Landes stark und liegt laut einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung häufig unter dem empfohlenen, kindgerechten Wert. "Wir haben viel zu lange geschwiegen", sagt Braekow. Deshalb sei sie unheimlich froh, dass sich immer mehr Kita-Fachkräfte in ihrem Verband klar positionieren und auch zu ihren Trägern sagen: "Nein, so arbeite ich nicht, denn ich kann die Aufsicht nicht gewährleisten."
Viele Kitas erreichen laut Braekow gerade so den Mindestpersonalschlüssel. In der Praxis heißt das: Fällt eine Fachkraft aus oder fährt in den Urlaub, ist das Betreuungsverhältnis nicht mehr gewährleistet. "Wenn ich keine Teilzeitkräfte habe, die das auffangen können, startet das Karussell", erklärt Braekow. "Ich habe sehr viele Überstunden. Ich bin sehr belastet. Ich muss alleine arbeiten. Ich kann meiner Arbeit nicht mehr nachkommen. Und ich gehe sogar so weit zu sagen, ganz viele arbeiten unter Bedingungen, die müssen sich überlegen, ob sie überhaupt zur Toilette gehen können. Das", so die Verbands-Vorständin, "ist doch eine Katastrophe!"
Immer wieder habe sie erlebt, wie gut ausgebildete Fachkräfte dem Kita-Alltag den Rücken kehrten. "Dann gehen die studieren, bilden sich weiter - dann sind die weg aus der Kita. Und das können wir uns eigentlich nicht mehr leisten." Jetzt hofft sie, sagt Braekow, dass für ihren "tollen Beruf" mit dem Geld aus dem Kita-Qualitätsgesetz etwas mehr Stabilität möglich wird.
Wo es bei der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hakt, haben wir bei Instagram in Grafiken erklärt:
BW-Ministerium: Fokus auf hochwertiger frühkindlicher Bildung und Betreuung
Und wie blickt das BW-Kultusministerium auf das angepasste Kita-Qualitätsgesetz, was plant es mit dem Geld? Auf SWR-Anfrage heißt es, noch sei es für Aussagen zur genauen Höhe der Mittel und der konkreten Verwendung zu früh. "Das weiterentwickelte Gesetz sieht einen Instrumentenkasten mit Handlungsfeldern vor, aus dem die Länder anhand ihrer spezifischen Bedarfe auswählen können. Hier erfolgt eine stärkere Fokussierung auf diejenigen Handlungsfelder, die für Qualität besonders wichtig sind", so der für frühkindliche Bildung zuständigen Staatssekretär Volker Schebesta (CDU) gegenüber dem SWR. Eventuelle Weiterentwicklungen oder Erweiterungen der aktuellen Maßnahmen würden mit den kommunalen Landesverbänden sowie den kirchlichen und freien Trägerverbänden der Kindertagesbetreuung zu gegebener Zeit abgestimmt.
Wenn die genaue Höhe feststeht und die Bundesmittel in Baden-Württemberg ankommen, werden sie an Städte und Gemeinden im Land verteilt. Benjamin Lachat ist beim Städtetag in Baden-Württemberg für Familie und Soziales zuständig. Mit den Mitteln des Bundes könnten Maßnahmen nun fortgesetzt werden, sagt er. "Für uns ist die Sprachförderung wichtig, die Leitungszeit und all die Dinge, die wir im Pakt für gute Bildung und Betreuung auch in Baden-Württemberg vereinbart haben."
Auch beim Gemeindetag betont man auf Nachfrage diese Aspekte als wichtige Aufgaben der Kindertageseinrichtungen im Land, allerdings kämen geförderte Einzelmaßnahmen nicht in allen Kitas an. Der Gemeindetag fordere deshalb das Land auf, von der punktuellen Förderung abzurücken und Fördermittel gebündelt allen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen.
Kritik gibt es auch vom Städtetag, dort jedoch vor allem an weiteren bundeseinheitlichen Qualitätsstandards für Kitas, wie sie in Zukunft noch kommen könnten. Benjamin Lachat plädiert dafür, dass Bund und Land den Kita-Trägern vor Ort Freiräume für individuelle Lösungen schaffen. "Das hat Baden-Württemberg mit dem Erprobungsparagrafen auch getan, und jetzt brauchen die Kommunen, jetzt brauchen die Träger eine finanzielle Sicherheit, langfristig und ohne Vorgaben inhaltlicher Art, dann passt das", so Lachat.
Klar sei aber auch: "Was jede weitere Maßnahme von Bundes- oder Landesseite nicht bewirken kann, ist, 14.000 fehlende Fachkräfte irgendwo herzuzaubern." Ohne komplett neue Wege zu überdenken und am Ende auch zu beschreiten, werde man das Problem nicht lösen können, so Lachat. Wie man eine hohe Qualität in der Kinderbetreuung sicherstellen könne, trotz der fehlenden Fachkräfte, daran arbeite man zusammen mit dem Land, Fachkraftverbänden und Elternorganisationen. Wo es Angebotsreduzierungen - also verkürzte Kita-Öffnungszeiten - brauche, müssten diese möglich sein. Auch wenn die Beschränkungen immer schmerzhaft seien, seien sie doch eine Realität, mit der man umgehen müsse. Und für solche Lösungen vor Ort brauche es dann eben rechtliche Freiräume und das Vertrauen in die Eigenverantwortung und innovative Kraft der Träger.
Auch Kita-Leiterin und Verbandsvorständin Anja Braekow tauscht sich regelmäßig mit den politisch Verantwortlichen in den kommunalen Landesverbänden und beim Kultusministerium über die Anliegen der Fachkräfte aus. "Die", sagt Braekow, "sehen natürlich auch, dass ohne uns Fachkräfte das ganze System zusammenbrechen würde."