Kauf von K.o.-Tropfen-Wirkstoff in Deutschland legal

Mann aus BW berichtet: "Ich bin 14 Stunden später aufgewacht"

Stand
Autor/in
Iris Volk
Onlinefassung
Hannah Vogel

Manche K.o.-Tropfen-Wirkstoffe können in Deutschland legal gekauft werden. Sie schmecken und riechen nicht. Betroffene merken deshalb oft nichts von einem Angriff. Ein Anwalt aus BW will das ändern.

Dieter ist bei einem Grillabend bei Bekannten, als es passiert. "Es war eigentlich ein lustiger Abend", sagt er. Dieter isst Würstchen, trinkt zwei Bier. Dann schenkt jemand eine Runde Schnaps ein. Dieter prostet den anderen zu, trinkt. Was danach passiert ist, weiß er bis heute nicht: Filmriss. "Ich bin zu Hause aufgewacht und wusste nicht, wie mir geschehen war", sagt Dieter.

Dieter heißt eigentlich anders; seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Er vermutet, dass nicht der Schnaps an seinem Filmriss schuld ist, sondern dass ihm jemand K.o.-Tropfen verabreicht hat. "Die Wirkung war eindeutig", sagt Dieter. Dass er einfach so bewusstlos geworden ist, kann er sich nicht vorstellen.

Problem GBL: Geruchlos, geschmacklos, legal zu kaufen

Mit K.o.-Tropfen sind umgangssprachlich Substanzen gemeint, die dafür missbraucht werden, Menschen willenlos, handlungsunfähig oder bewusstlos zu machen. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Wirkstoff Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB) und dessen Vorstufe Gamma-Butyrolacton (GBL) mit am häufigsten zum Einsatz kommen. Das Problem: GBL zu kaufen, ist in Deutschland legal. Denn es wird in der Industrie zum Beispiel als Reinigungsmittel genutzt oder um Kunststoff oder Medikamente herzustellen. GBL ist eine klare, geruchlose Flüssigkeit. Es fällt in einem Getränk also nicht weiter auf.

Nach dem Schnaps kippt Dieter von der Bierbank, ist bewusstlos. So hat man es ihm erzählt. Andere Gäste bringen ihn nach Hause, schließen mit seinem Schlüssel die Haustüre auf. Dieter versteht bis heute nicht, warum ihm jemand K.o.-Tropfen hätte geben sollen. "Ich habe niemandem was Böses getan", sagt er. Gestohlen worden sei nichts, verletzt sei er auch nicht gewesen.

Dieser Mann vermutet, Opfer von K.o.-Tropfen geworden zu sein.
Dieter kippt bei einem Grillfest von der Bierbank. Erst 14 Stunden später wacht er auf - und kann sich nicht erinnern, wie er nach Hause gekommen ist.

Opferinitiative fordert Vergällung von GBL

Jochen Link, Opferschutzanwalt und Leiter der Außenstelle der Initiative "Weißer Ring" im Schwarzwald-Baar-Kreis, kennt viele solcher Geschichten. Seiner Erfahrung nach sind überwiegend Frauen betroffen, es wendeten sich aber auch Männer an ihn. Was sind die Ziele der Täterinnen und Täter? "Wir haben drei verschiedene Bereiche", sagt Link. "Es geht um sexualisierte Gewalt, um Raubtaten oder darum, sich von älteren Personen, die unter dem Einfluss von K.o.-Tropfen stehen, eine Unterschrift zu ergaunern."

Für Link ist der Missbrauch von GBL ein großes Problem. Deshalb setzt er sich dafür ein, dass die Substanz vergällt wird. Das bedeutet, dass man den Geruch oder den Geschmack verändert. Link schlägt vor, das GBL mit Denatonium, einem Bitterstoff, zu versetzen. "Denatonium schmeckt so widerlich, dass Sie es nicht schlucken können", sagt Link. "So werden Sie auf die Gefahr aufmerksam, die droht." Links Idee ist nicht neu. Denatonium befindet sich zum Beispiel auch in Kindershampoo.

Industrie gegen verpflichtende Vergällung von GBL

Seit Jahren versucht Link, die Politik von seiner Idee zu überzeugen. Widerstand kommt vor allem aus der Industrie. Bei zahlreichen Anwendungen sei es unerlässlich, dass GBL in reiner, unveränderter Form eingesetzt werde, teilt der Verband der Chemischen Industrie auf SWR-Anfrage mit. "Eine Vergällung ist aus heutiger Sicht mit den meisten Anwendungen nicht kompatibel. Daher ist eine gesetzlich verpflichtende Vergällung von GBL nicht zielführend und geht zu Lasten der legalen Verwendungszwecke", so der Verband weiter.

Ein Argument, das Link nicht gelten lässt. Er verweist auf mehrere Gespräche mit Professoren für Chemie und Toxikologie. "Alle sagen, es ist kein Problem." Denn es handele sich schließlich um eine sehr geringe Menge an Denatorium, die notwendig wäre. Wenn diese geringe Menge zu einer Verunreinigung führe, müsste auch die Produktionskette zu einer Verunreinigung führen, ist Link überzeugt.

Strobl will Präventionsarbeit nicht weiter ausbauen

In einer Pressemitteilung zur Fastnacht warnt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) vor Angriffen mit K.o.-Tropfen. Doch in seinem Ministerium sieht man keinen Bedarf, die Präventionsarbeit in dieser Hinsicht weiter auszubauen. Auf eine SWR-Anfrage teilt das Ministerium mit, die tatsächliche Verbreitung von K.o.-Tropfen werde in der Wissenschaft kritisch diskutiert. Forschungen wiesen darauf hin, dass das Ausmaß entsprechender Vorfälle möglicherweise weit geringer sei als in der öffentlichen Wahrnehmung.

Die Kriminalstatistik der vergangenen Jahre scheint die These des Innenministeriums zu stützen. Demnach bewegen sich die Straftaten in Baden-Württemberg, bei denen nachweislich K.o.-Wirkstoffe im Spiel waren, zwischen 2019 und 2022 im zweistelligen Bereich.

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Eingeschränkter Verkauf von GBL in der EU?

Für Baden-Württembergs Gesundheitsstaatssekretärin, Ute Leidig (Grüne), ist Vergällung im Hinblick auf den Missbrauch von GBL als K.o.-Tropfen eine Möglichkeit. Sie will aber auch andere rechtliche Maßnahmen ausloten. "Es ist ein Gesundheitsthema, es ist aber auch ein Thema für die Innenministerinnen und Innenminister, weil es einfach auch was Strafrechtliches ist", sagte sie dem SWR.

Baden-Württemberg hat dieses Jahr den Vorsitz bei der Gleichstellungsministerkonferenz. "Ich könnte mir vorstellen, dass wir dort das Thema auch nochmal erörtern - auch dahingehend, wie wir die Innenministerkonferenz dazu bewegen, sich mit dem Thema zu befassen", so Leidig weiter. Eine Lösung könnte zum Beispiel sein, dass die Europäische Union den Verkauf von GBL über die europäische Chemikalienverordnung einschränkt. Damit wäre auch der Verband der Chemischen Industrie einverstanden.

Dieters Leben hat sich seit dem Filmriss verändert. "Ich bin vorsichtiger geworden", sagt er. Er sei nicht mehr so vertrauensselig - auch nicht gegenüber Menschen, die er eigentlich kenne.

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