In Deutschland wird heute - 78 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz - an die Opfer des Holocaust erinnert. Im Mittelpunkt des Gedenkens im Bundestag standen dabei erstmals queere Menschen, die wegen ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität verfolgt wurden. Um wie viele Menschen es dabei geht, ist noch unklar. Schätzungen zufolge waren mindestens 7.500 Männer und dutzende Frauen betroffen.
Das Schicksal von Friedrich Enchelmayer aus Stuttgart
Der Stuttgarter Friedrich Enchelmayer wurde von den Nationalsozialisten ermordet, weil er schwul war. An ihn erinnert ein sogenannter Stolperstein in Stuttgart-Bad Cannstatt.
1934 wurde er zum ersten Mal nach Paragraf 175 verurteilt - "widernatürliche Unzucht“ - so lautete der Vorwurf. Nachdem er 1937 erneut verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden war, kam er ins Konzentrationslager - zuerst nach Dachau, dann nach Sachsenhausen und Neuengamme, wo er im November 1940 starb.
Rehabilitation der Verfolgten blieb zunächst aus
Die Familie Enchelmayer sprach jahrzehntelang nicht über Friedrich. Selbst sein Name wurde aus der Familienbibel gestrichen - aus Scham. Denn auch in der jungen Bundesrepublik war Homosexualität nach wie vor strafbar - und damit gab es auch für die Opfer der NS-Verfolgung keine Rehablilitation. Erst in den 1980er-Jahren kam das Schicksal von Friedrich Enchelmayer wieder ans Licht. Heute ist die Enchelmayersche Familienbibel in der Stuttgarter Gedenkstätte "Hotel Silber" ausgestellt.
Maren Kroymann erinnert im Bundestag an lesbische Opfer
Über die Verfolgung homosexueller Männer durch die Nazis sei bereits einiges bekannt, mit der Verfolgung lesbischer Frauen habe sich erst die neuere Forschung genauer auseinander gesetzt, sagt die in Tübingen aufgewachsene Schauspielerin Maren Kroymann. Sie hat am Freitag im Rahmen der Gedenkstunde im Bundestag zur Erinnerung an die NS-Opfer einen Text über die lesbische Jüdin Mary Pünjer vorgelesen, die von den Nationalsozialisten als "asozial" eingestuft und deshalb ermordet wurde. "Das ist für mich eine extrem bewegende Sache", sagte Kroymann, selbst lesbisch, dem SWR.
Ein Ausschnitt aus der Rede von Maren Kroymann:
In Baden-Württemberg richtet sich der Blick auch auf die körperlich und geistig behinderten Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. So hat am Vormittag die Glocke der Klosterkirche Weißenau (Ravensburg) 691 mal geschlagen - ein Glockenschlag für jeden ermordeten Menschen in der dortigen Psychiatrie.
Aktivist Schirdewahn: Schwule Männer litten auch nach 1945
Im Bundestag sprach auch Klaus Schirdewahn aus Mannheim als Vertreter der queeren Community. Er wurde 1964 unter Berufung auf den in der Nazi-Zeit verschärften Paragraphen 175 verhaftet. Der Paragraph, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, wurde erst 1994 im deutschen Recht aufgehoben. Laut Schirdewahn prägte der Nationalsozialismus noch lange die Ängste der queeren Community. Und auch heute noch sei die queere Community Bedrohungen und Benachteiligungen ausgesetzt. Dennoch habe er Hoffnung, so Schirdewahn:
Gedenken im Landtag von Baden-Württemberg
In einer Feierstunde ist am Mittag auch im Landtag von Baden-Württemberg an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau erinnert worden. In diesem Jahr standen Menschen im Mittelpunkt, die damals Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten.
Das Grundgesetz sei ein Vermächtnis des Widerstandes, sagte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne). Und weil Gesetzestexte allein nicht Freiheit garantierten, müsse man die Menschen stärken, die für freiheitliche Werte einstehen. Wie gefährdet diese Werte seien, zeigten die jüngsten Umsturzpläne einer Gruppe aus der "Reichsbürger"-Bewegung, so Aras.
Oberschwaben und Bodensee
In Weingarten (Kreis Ravensburg), Überlingen (Bodenseekreis) und Pfullendorf (Kreis Sigmaringen) und Singen (Kreis Konstanz) werden am Freitag in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in der Region Stolpersteine gereinigt.
Erinnern an jüdische Opfer des Nationalsozialismus Neue Gedenktafel wird in Laupheim eingeweiht
Eine neue Gedenktafel mit Namen von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus wird am Donnerstag in Laupheim (Kreis Biberach) eingeweiht.
In Laupheim (Kreis Biberach) ist bereits am Donnerstagabend eine Gedenktafel mit Namen von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus eingeweiht worden.
In Friedrichshafen versammeln sich am Abend Bürgerinnen und Bürger auf dem Fridolin-Endraß-Platz, dieser ist nach einem Widerstandskämpfer benannt.
Zahlreiche Veranstaltungen zur Erinnerung an die Opfer Gedenken an Holocaust in Oberschwaben und am Bodensee
Am Freitag ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Auch in der Region Bodensee-Oberschwaben fanden deshalb zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt.
Karlsruhe
Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags wurde die neue Website www.gurs.education freigeschaltet und im Karlsruher Generallandesarchiv vorgestellt. Sie bündelt Informationsangebote zur Deportation der jüdischen Bevölkerung Südwestdeutschlands in das südfranzösische Internierungslager Gurs.
Zum Holocaust-Gedenktag Karlsruhe: Neue Website zur Geschichte der Deportation badischer Juden 1940 nach Gurs
Im Karlsruher Generallandesarchiv wurde eine neue Website vorgestellt, die Informationen zur Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Südwesten ins südfranzösische Gurs bündelt.
Mannheim, Heidelberg und Rhein-Neckar
In den Mannheimer Reiss-Engelhorn Museen gibt es um 15 Uhr eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Opfer der "Euthanasie"-Morde im NS-Staat. Bei der Gedenkfeier in Heidelberg steht die rücksichtslose Gewalt der deutschen Besatzer in den polnischen und sowjetischen Gebieten im Mittelpunkt.
In Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis) beteiligen sich Schulen an einer Veranstaltung an der zentralen Gedenkstätte in der Nähe des Rathauses. Dabei sollen die Namen jüdischer Kinder genannt werden, die deportiert wurden oder fliehen mussten.
78 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz Mannheim: Holocaust-Gedenken in der Rhein-Neckar-Region
Städte und Gemeinden in der Region haben am Freitag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht - unter anderem in Mannheim und Heidelberg.
Tübingen, Nordschwarzwald und Schwäbische Alb
In der St. Petrus Kirche in Tübingen-Lustnau steht der Völkermord an den Sinti und Roma im Vordergrund. Um 18 Uhr beginnt dort eine Gedenkveranstaltung.
In der ehemaligen Rexinger Synagoge in Horb (Kreis Freudenstadt) findet ab 20 Uhr ein "Dialog"- Konzert statt, das an den Holocaust erinnern soll. Die jüdische Gemeinde von Horb-Rexingen (Kreis Freudenstadt) war bis 1938 eine der größten jüdischen Landgemeinden in Württemberg.
In Zwiefalten (Kreis Reutlingen) gibt es eine Gedenkveranstaltung zur Rolle des ZfP (Zentrum für Psychiatrie) Südwürttemberg im Dritten Reich. Die Heilanstalt war Zwischenstation für kranke und behinderte Menschen, die in der nahegelegenen Gaskammer von Grafeneck ermordet wurden.
Im Reutlinger Kulturzentrum "franz.K" geht es um 18:30 Uhr um das Schicksal von Schwulen und Lesben in der Nazizeit. Mitveranstalter sind christliche Kirchen und die Sozialeinrichtung BruderhausDiakonie.
Weitere Veranstaltungen in der Region:
Erinnern an die Opfer der NS-Zeit Veranstaltungen am Holocaust-Gedenktag
Am internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gibt es zahlreiche Veranstaltungen von Zwiefalten bis Rexingen. Auch Schüler sind einbezogen.
Freiburg
Ebenfalls schon am Donnerstagabend hatten das Kulturamt Freiburg und das SWR-Studio Freiburg am zu einer Gedenkveranstaltung ins historische Kaufhaus am Freiburger Münsterplatz eingeladen. Unter dem Titel "Ende der Zeitzeugenschaft?" ging es dabei um die Frage, wie die Erinnerung an die Schrecken der NS-Herrschaft auch nach dem Tod der letzten Zeitzeugen wach gehalten werden kann.
Jahrestag der Befreiung von Auschwitz Gedenkveranstaltung im Freiburger Kaisersaal: Ende der Zeitzeugenschaft?
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Zum Holocaust-Gedenken haben Kulturamt und SWR Freiburg ins Historische Kaufhaus eingeladen.