Heinrich Hermann war zur damaligen Zeit Hausvater an der Taubstummenanstalt in Wilhelmsdorf (Kreis Ravensburg). 158 sogenannte Pfleglinge waren 1939 unter seiner Aufsicht, darunter rund 50 Kinder. Mit Beginn des zweiten Weltkriegs, begannen die Nazis mit der Aktion-T4. "Unwertes Leben" sollte vernichtet werden, um die Rasse reinzuhalten - so die perfide Logik der Nationalsozialisten. Alle Anstalten, in denen Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung, Schizophrenie oder anderen Erbkrankheiten untergebracht waren, sollten Meldebögen an das Innenministerium in Berlin schicken. Heinrich Hermann verweigerte diese Meldungen. Man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, so Hermann.
Mutiger Akt des Widerstandes
Weil Hermann die Weitergabe der Namen verweigerte, konnte die Deportation nicht wie geplant stattfinden, sagt Thomas Stöckle, Historiker und Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, der zu Hermann geforscht hat: "Heinrich Hermann steht damit für einen Protest und Widerstand, der möglich war. Aber er steht auch für das Scheitern des Widerstandes, denn am Ende wurden trotzdem 19 Menschen von Wilhelmsdorf weggebracht".
Der Druck auf Heinrich Hermann in Folge der Verweigerung wuchs stetig. Nur wenige Tage später forderte ein anderer Mitarbeiter der Anstalt in Wilhelmsdorf die Formulare erneut an. Das zeige, dass Hermann mit seinem Widerstand alleine gewesen sei, selbst in seiner eigenen Anstalt, so Stöckle. Am Ende muss Hermann nachgeben und meldet statt 50, wie verlangt, 45 Namen.
19 Menschen aus Wilhelmsdorf werden deportiert
Schließlich reist eine Kommission nach Wilhelmsdorf, um die Menschen zu begutachten. Auch, weil Hermann versuchte, zu intervenieren. Es dauert daher noch bis in den März 1941 bis schließlich 19 Menschen von den berüchtigten grauen Bussen abgeholt werden. Die Tötungsanstalt in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb ist da bereits wieder geschlossen. "Hätte nicht Heinrich Hermann die Kooperation verweigert, wären unter den 10.654 Menschen, die in Grafeneck ermordet wurden, auch welche aus Wilhelmsdorf", so Historiker Thomas Stöckle.
Im April werden alle aus Wilhelmsdorf bis auf einen nach Hadamar bei Limburg (Hessen) gebracht und dort vergast. Nur Ernst Weiß, ein damals 20-jähriger Mann, überlebt. Auch das ein Verdienst von Heinrich Hermann, der mehrfach versucht, die Menschen wieder zurückzubekommen. Er fertigt kurze Biografien an und nennt Gründe, wie diese Menschen trotz ihrer Behinderungen, nützlich sein können. Am Ende konnte er nur Ernst Weiß retten.
Hermann selbst wird für seinen geleisteten Widerstand nicht verfolgt. Wohl aufgrund seiner Schweizer Staatsbürgerschaft, heißt es in einer Studie der Zieglerschen zum Leben von Hermann. Er bleibt bis zu seinem Ruhestand in seiner Funktion der Taubstummenanstalt in Wilhelmsdorf. Dort stirbt er 1961.