Hausvater Heinrich Hermann an seinem Schreibtisch.

Euthanasie-Morde der Nazis

Heinrich Hermann aus Wilhelmsdorf leistete Widerstand

Stand
Autor/in
Martin Hattenberger
SWR-Redakteur Martin Hattenberger Autor Bild

In Wilhelmsdorf wird am Freitag zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus 18 Menschen gedacht, die 1941 von den Nazis ermordet wurden. Heinrich Hermann leistete gegen diese Morde Widerstand.

Heinrich Hermann war zur damaligen Zeit Hausvater an der Taubstummenanstalt in Wilhelmsdorf (Kreis Ravensburg). 158 sogenannte Pfleglinge waren 1939 unter seiner Aufsicht, darunter rund 50 Kinder. Mit Beginn des zweiten Weltkriegs, begannen die Nazis mit der Aktion-T4. "Unwertes Leben" sollte vernichtet werden, um die Rasse reinzuhalten - so die perfide Logik der Nationalsozialisten. Alle Anstalten, in denen Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung, Schizophrenie oder anderen Erbkrankheiten untergebracht waren, sollten Meldebögen an das Innenministerium in Berlin schicken. Heinrich Hermann verweigerte diese Meldungen. Man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, so Hermann.

"Ich kenne den Zweck dieser planwirtschaftlichen Erfassung (...). Ich weiß von den vielen Todesnachrichten. Ich kann da gewissenshalber nicht schweigen und nicht mitmachen."

Vor einem großen Haus in Wilhelmsdorf stehen viele Menschen. Das Foto ist schwarz-weiß.
158 Pfleglinge, darunter rund 50 Kinder, waren 1939 in der Taubstummenanstalt in Wilhelmsdorf untergebracht. Für die Nazis waren sie "unwertes Leben".

Mutiger Akt des Widerstandes

Weil Hermann die Weitergabe der Namen verweigerte, konnte die Deportation nicht wie geplant stattfinden, sagt Thomas Stöckle, Historiker und Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, der zu Hermann geforscht hat: "Heinrich Hermann steht damit für einen Protest und Widerstand, der möglich war. Aber er steht auch für das Scheitern des Widerstandes, denn am Ende wurden trotzdem 19 Menschen von Wilhelmsdorf weggebracht".

Der Druck auf Heinrich Hermann in Folge der Verweigerung wuchs stetig. Nur wenige Tage später forderte ein anderer Mitarbeiter der Anstalt in Wilhelmsdorf die Formulare erneut an. Das zeige, dass Hermann mit seinem Widerstand alleine gewesen sei, selbst in seiner eigenen Anstalt, so Stöckle. Am Ende muss Hermann nachgeben und meldet statt 50, wie verlangt, 45 Namen.

"Mit schwerem Herzen schicke ich die Bögen heute an Sie ab. Es sind darauf Menschen geschrieben, die uns von Behörden und Privaten anvertraut sind, damit wir ihnen alle Sorgfalt und Liebe angedeihen lassen. Jetzt soll ich sie dem Tod ausliefern ›aus Gehorsam gegen die Obrigkeit‹. Die Verantwortung ist schwer."

19 Menschen aus Wilhelmsdorf werden deportiert

Schließlich reist eine Kommission nach Wilhelmsdorf, um die Menschen zu begutachten. Auch, weil Hermann versuchte, zu intervenieren. Es dauert daher noch bis in den März 1941 bis schließlich 19 Menschen von den berüchtigten grauen Bussen abgeholt werden. Die Tötungsanstalt in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb ist da bereits wieder geschlossen. "Hätte nicht Heinrich Hermann die Kooperation verweigert, wären unter den 10.654 Menschen, die in Grafeneck ermordet wurden, auch welche aus Wilhelmsdorf", so Historiker Thomas Stöckle.

Über der Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg (Hessen) qualmt der Schornstein des Krematoriums.
In der Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg in Hessen wurden in der NS-Zeit mehrere tausend Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen ermordet.

Im April werden alle aus Wilhelmsdorf bis auf einen nach Hadamar bei Limburg (Hessen) gebracht und dort vergast. Nur Ernst Weiß, ein damals 20-jähriger Mann, überlebt. Auch das ein Verdienst von Heinrich Hermann, der mehrfach versucht, die Menschen wieder zurückzubekommen. Er fertigt kurze Biografien an und nennt Gründe, wie diese Menschen trotz ihrer Behinderungen, nützlich sein können. Am Ende konnte er nur Ernst Weiß retten.

"Heinrich Hermann ist da ein Vorbild im Hinblick auf die Verantwortung, die er für andere getragen hat und die Bereitschaft dafür einzustehen, auch wenn er dadurch persönlich massive Nachteile zu befürchten hat."

Hermann selbst wird für seinen geleisteten Widerstand nicht verfolgt. Wohl aufgrund seiner Schweizer Staatsbürgerschaft, heißt es in einer Studie der Zieglerschen zum Leben von Hermann. Er bleibt bis zu seinem Ruhestand in seiner Funktion der Taubstummenanstalt in Wilhelmsdorf. Dort stirbt er 1961.

Mehr zur Aktion-T4:

Die Mordfabrik Grafeneck auf der Schwäbischen Alb

Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Hier starben zwischen Januar und Dezember 1940 etwa 11 000 Menschen durch Kohlenmonoxidgas. Grafeneck war damit der erste Ort im nationalsozialistischen Deutschland, an dem Menschen systematisch und „industriell" ermordet wurden.
Die Morde von Grafeneck gehören zu den schrecklichsten Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Opfer, meist körperlich oder psychisch beeinträchtigt, stammten aus Krankenanstalten und Heimen im heutigen Baden-Württemberg, in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Morde waren Teil der von den Nationalsozialisten sogenannten „Aktion T4" oder „Euthanasie-Aktion". Sie verdeutlichen die menschenverachtende Politik und Ideologie des NS-Regimes und seiner Verantwortlichen. Diese mordeten, weil sie Nahrungsmittel sparen wollten, Platz für Militärlazarette benötigten und weil sie sich von der Ermordung der Schwachen und Kranken eine Gesundung des „Volkskörpers" versprachen. Die Opfer bezeichneten sie als „lebensunwerte Ballastexistenzen" und „seelenlose Menschenhülsen".
Im Zentrum dieser Dokumentation stehen drei Opfer und deren Hinterbliebene: Emma Dapp, deren Enkel Hans-Ulrich eine Biografie seiner Großmutter geschrieben hat; Martin Bader, dessen Sohn Helmut das Leben des Vaters recherchiert hat; und Dieter Neumaier, der als Kind ermordet wurde und dessen älterer Bruder ihn nie vergessen hat.

Spuren der NS-Zeit SWR

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