Razzia in Kupferzell

Verbotene rechtsextremistische Gruppe

Die "Artgemeinschaft" in Hohenlohe

Stand
Autor/in
Kai Laufen

Ende September hat das Bundesinnenministerium die rechtsextreme Gruppierung "Artgemeinschaft" verboten. In Kupferzell wurden daraufhin Objekte durchsucht. SWR-Recherchen vor Ort zeigen das rechte Netzwerk um die Vertreter der germanischen Glaubensgemeinschaft auf.

"Meine Tochter war im Haus und hat geschlafen. Dann ist dieser Panzerwagen durchgefahren, hat mit Lautsprechern geschrien: Die Bewohner des Hauses sollen mit erhobenen Händen herauskommen." So schildert Heide Förnzler gegenüber einem SWR-Reporter den Tag der Razzia, an dem ein Spezialeinsatzkommando der Polizei mit rund 100 Kräften drei Objekte in ihrem Heimatdorf Kupferzell (Hohenlohekreis) durchsuchte. Wichtigstes Ziel: Das Haus, in dem ihre Tochter mit Kindern und Lebensgefährten Alexander Donninger wohnt. Denn es sind die beiden einzigen Mitglieder der "Artgemeinschaft" in Baden-Württemberg.

Während über die junge Frau wenig bekannt ist, erwähnt der Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt in seinem aktuellen Jahresbericht Alexander Donninger, der als Redner eines großen Aufmarsches auftrat und der rechtsextremistischen Szene zugerechnet wird: Bei einer Kundgebung zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg las er die Namen von Städten vor, die im Zweiten Weltkrieg "von anglo-amerikanischen Terrorbombern" zerstört worden seien.

Gepanzertes Polizeifahrzeug in Kupferzell
Ein gepanzertes Polizeifahrzeug ist im September bei einer Razzia in Kupferzell im Einsatz.

Germanischer Buchversand

In Kupferzell gab es eine Postfachadresse für den Buchversand, den die "Artgemeinschaft" über ihre Webseite betrieb: Verkauft wurden Titel wie "Artglaube", "Die Legende vom christlichen Abendland" oder "Odins Runen - unsere Schrift". Ähnliche Titel beschlagnahmte die Polizei laut der Augenzeugin Heide Förnzler auch am Tag der Hausdurchsuchungen: "Meines Wissens sind da vorne Bücher weggekommen, alte deutsche Volkslieder, deutsche Gedichte - diese Sachen sind weggekommen. Irminsul und der germanische Götterglaube: Das können die doch pflegen!"

Das, was Heide Förnzler so harmlos darstellt, könnte aus Sicht der "Artgemeinschaft" eine zentrale Bedeutung gehabt haben, meint Andreas Speit, Journalist und Co-Autor eines Sachbuches über völkische Bewegungen: "Man hat, wenn man sich heidnisch interessiert, nicht sofort erkannt, was das für eine Gruppe ist. Und wenn man dort heidnische Literatur bestellt hat, bekam man Literatur, die rechtsextrem eingefärbt ist."

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Das Bundesinnenministerium hat den Wortlaut des Vereinsverbotes im Bundesanzeiger veröffentlicht. Dort ist nachzulesen, dass der Buchversand sowie sämtliche Webseiten und sonstigen Internetauftritte des Vereins nunmehr verboten sind - inklusive dreier Symbole: Die Abbildung der "Irminsul" in zwei Variationen sowie das Kennzeichen "Adler greift Fisch" - ein Motiv, mit dem die Überlegenheit des germanischen über den als Fisch symbolisierten christlichen Glauben ausgedrückt werden sollte. Im Buchversand der "Artgemeinschaft" gab es Aufkleber mit diesem Motiv zu kaufen. 

Indoktrinierung von Kindern

Das umfassende Verbot soll der "Artgemeinschaft" jede Form der weiteren Betätigung unmöglich machen. Dazu passt ein Satz aus der Begründung, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für das Verbot der Artgemeinschaft gab: "Diese rechtsextremistische Gruppierung hat versucht, durch eine widerwärtige Indoktrinierung insbesondere von Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen.

Kern dessen war die Nationalsozialistische Rassenlehre." Kinder standen besonders bei den alljährlichen Ritualen im Mittelpunkt, die die "Artgemeinschaft" zum Beispiel im thüringischen Ilfeld abhielt: Mit Volkstänzen und Sonnenwendenfeiern präsentierten die Germanenfreunde auf YouTube-Videos ihren germanischen Glauben als vermeintlich bodenständig und harmlos.

Aber auch darin drücke sich ihr Weltbild aus, meint Andreas Speit: "Gerade die Artgemeinschaft offenbart ganz deutlich einen biologistischen Rassismus. Hier wird zwar von artgerechtem Glauben gesprochen, aber de facto ist das rassistisch biologistisch begründet und es hat nichts mit Kultur zu tun. Sie haben ein sogenanntes Sittengesetz, in dem festgeschrieben ist, dass sie bei der Gatten-Wahl genau aufpassen sollten, weil das dann eben auch die artgerechten Kinder ergeben würde. Das ist blanker Rassismus, das ist blanker Biologismus."

"Hohenlohe wacht auf"

Auch Alexander Donninger und seine Frau haben Kinder. Großmutter Heide Förnzler scheint die rechtsextreme Ideologie in ihrer Familie nicht zu stören: Das seien "anständige Leute", die tanzten und Volkslieder sängen, meint sie im Gespräch mit dem SWR. Und sie verschweigt auch nicht, dass sie selbst in der Region keine Unbekannte ist: Ab 2015 nimmt sie vor allem im nahegelegenen Öhringen an Demonstrationen der Vereinigung "Hohenlohe wacht auf" teil; im Mai 2019 erklärt sie laut einem YouTube-Video auf solch einer Kundgebung, dass ihr die damalige AfD nicht "patriotisch" genug sei. Stattdessen wirbt sie für die rechtsextreme Splitterpartei "Die Rechte" und begrüßt, dass sich diese Partei hinter die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck stelle.

In die Zeit dieser Demonstrationen fallen zwei Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in der Region. Während der Anschlag in Pfedelbach bis heute nicht aufgeklärt ist, wurden für einen weiteren Anschlag im benachbarten Neuenstein zwei Männer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Bei ihnen waren viele Waffen sowie Hitlerbilder gefunden worden. Und beide hatten laut Presseberichten an den Demonstrationen von "Hohenlohe wacht auf" teilgenommen. Heide Förnzler räumt ein, die Täter zu kennen. Das seien "anständige Leute".

Einen der beiden sieht sie Jahre später wieder: Im vergangenen Dezember lädt der Buchautor Matthes Haug in einen Ortsteil von Kupferzell zu einem Vortragsabend über "Das Deutsche Reich 1971 bis heute" ein. Wenige Tage zuvor hat die Polizei eine Wohnung Haugs in Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt) durchsucht, denn er ist - nach eigenen Angaben - Beschuldigter in dem Ermittlungsverfahren gegen die Reichsbürgergruppierung um den Frankfurter Immobilienhändler Prinz Reuss, gegen die der Generalbundesanwalt ermittelt.

Matthes Haug erklärt in dem Vortrag, dass der Prinz ein geeigneter Kandidat für den Thron des Deutschen Reiches sei, da er "Romanow-Blut" habe, also mit der russischen Zarenfamilie verwandt sei. Haug gibt sich überzeugt davon, dass das Deutsche Reich weiterbestehe, die Bundesrepublik also nicht legitim sei und meint daher an jenem Abend in Kupferzell: "Wir leben im rechtsfreien Raum". Bei diesem Auftritt vergangenen Dezember war neben Heide Förnzler auch mindestens einer der beiden verurteilten Brandstifter von Neuenstein zu Gast.

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