"Die 'Artgemeinschaft' verbreitete unter dem Deckmantel eines pseudoreligiösen germanischen Götterglaubens ihr gegen die Menschenwürde verstoßendes Weltbild." So begründete das Bundesinnenministerium das Verbot des mehr als 70 Jahre alten Vereins "Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.". Ein Mittel zur Verbreitung dieses Weltbildes war offenbar seit 1975 die vierteljährlich erscheinende Mitgliederzeitschrift "Nordische Zeitung". Seit 1999 wurden deren Inhalte sowie ein Buchversand auch über eine Webseite unter der Internetadresse Asatru.de verbreitet, die jetzt abgeschaltet ist. Seit dem Mittag ist auch die im März 2020 eingerichtete YouTube-Kanal der "Artgemeinschaft" mit 16 Videos nicht mehr aufrufbar.
Tänze und Rituale für Kinder und Jugendliche
Auf YouTube wurde etwa eine Sonnenwendfeier dokumentiert, die im Jahre "3823 n. St." stattgefunden haben soll, wobei die Abkürzung "nach Stonehenge" bedeutet, sich also auf den Kultort in Südengland bezieht und den Beginn der vermeintlich germanischen Zeitrechnung der "Artgemeinschaft" markiert. Nach christlich-abendländischer Zeitrechnung fand diese Sonnenwendfeier im Sommer dieses Jahres statt, ein Ort wird nicht genannt. Zu sehen waren händehaltende, singenden Menschen, die um ein großes Lagerfeuer stehen - es könnten etwa 100 Personen sein. Deutlich zu erkennen war das auf den unscharfen Bildern aber nicht. Eine Frauenstimme rezitierte dazu Teile von Goethes Gedicht "Die erste Walpurgisnacht", in dem sich germanische Druiden und christliche Wächter streiten. Andere Videos zeigten Kinder und Jugendliche auf Sommerlagern bei Tänzen und Ritualen.
Durchsuchungen in Kupferzell: Bürgermeister froh über Vereinsverbot Bundesweite Razzia gegen rechtsextremistische "Artgemeinschaft"
Bei Razzien gegen die rechtsextremistische "Artgemeinschaft" schlugen die Beamten auch in Kupferzell zu. Der Bürgermeister begrüßt das Verbot dieser Vereinigung.
Stonehenge, Germanentum und Druiden sind Stichworte, die auch in vielen Texten auf der abgeschalteten Website auftauchen: In einer Abhandlung über die Christianisierung wird eine "Verrömerung" und die damit einhergehende Annahme eines "Fremdglaubens" - also des Christentums - bedauert, die vor 2.000 Jahren stattgefunden haben soll. Ursache für diesen "Abfall vom Glauben an die germanischen Götter Mannus und Irminsul" sei "jene germanische Untugend, die die Lehre einer zweitausendjährigen Geschichte noch nicht hat ausrotten können: die eigene Art, Sitten, und Brauchtum minder zu achten und blind zu sein gegen die Gefahr der Aufnahme fremden Wesens."
Neben Runendeutungen fand sich auch Zahlenmystik auf der Website. In einem Text wurde erläutert, dass der Göttersitz Walhall 540 Tore gehabt habe, aus denen 800 Krieger "zum letzten Kampf" ausgeströmt seien. Die beiden Zahlen multipliziert ergäben 432.000, was ein Beweis auf die Verbindung unserer "germanischen" Vorfahren mit dem Alten Babylon und dem Antiken Indien sei. Stets geht es in diesen Texten um eine Rehabilitierung der Urahnen bei gleichzeitiger Geringschätzung der Errungenschaften aller darauffolgenden Zivilisationen in Zentraleuropa.
Verfassungsschutz: „Gefährtschaft Süd-West hatte einstellige Mitgliederzahl“
Das baden-württembergische Amt für Verfassungsschutz bestätigt auf SWR-Anfrage, den Verein beobachtet zu haben: "Im Land verortet der Verfassungsschutz Baden-Württemberg die 'Gefährtschaft Süd-West', die über eine Mitgliederzahl im einstelligen Bereich verfügt." Dem weiteren Umfeld der "Artgemeinschaft" in Baden-Württemberg rechnet der baden-württembergische Verfassungsschutz "insgesamt etwa 30 Personen zu, darunter Anwärter auf eine Mitgliedschaft, Sympathisanten und Förderer sowie Bezieher der Zeitschrift 'Nordische Zeitung'."
Zur Einschätzung der Ideologie schreibt das Amt: "Der Verein 'Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.' propagiert eine völkische, rassistische, antisemitische und antichristliche Ideologie und betreibt inhaltlich eine konsequente Fortsetzung der Ideologie des Nationalsozialismus."
Kissenhülle "Heimat" im Kupferzeller Shop
Auf der Webseite Asatru.de war als Kontaktadresse des Vereins ein Postfach im unterfränkischen Ostheim, nahe der Grenze zu Thüringen genannt. Im benachbarten Roth in der Rhön durchsuchte die Polizei heute eine Wohnung. Ebenso in Kupferzell (Hohenlohekreis) bei Heilbronn. Denn hier gab es laut Website ein Postfach, über das Bücher und anderes Zubehör bestellt werden konnten: Eine "Kissenhülle 'Heimat'" mit eingesticktem Herz für 45 Euro oder auch Aufkleber, auf denen ein Adler einen Fisch - als Symbol des Christentums - ergreift, für 2,50 Euro. Und auch auf die Titel anderer einschlägiger Verlage verwies die Webseite. Neben Titeln zum Germanentum gab es auch eine CD zu kaufen mit Musik einer als rechtsextremistisch bekannten Sängerin. Unter dem Künstlernamen "Eine deutsche Frau" war diese bei Veranstaltungen von "Reichsbürgern" und Anhängern der "Anastasia-Bewegung" in Baden-Württemberg aufgetreten. Die "Anastasia-Bewegung" spricht ein esoterisch-ökologisches Milieu an, aber vertritt auch rassistische und antisemitische Ideologien.