Land will Elterntaxis reduzieren

Gefährlich und ungesund: Das Problem mit Elterntaxis vor Grundschulen in BW

Stand
Autor/in
Luisa Bleich

Sie gefährden andere Kinder und sind der Schulleitung ein Dorn im Auge - Elterntaxis sind an vielen Grundschulen ein Problem. So wollen Kommunen und Land dagegen vorgehen.

Zugeparkte Gehwege, verstopfte Straßen, Verkehrschaos - vor vielen Grundschulen in Baden-Württemberg ist Stress noch vor der ersten Stunde vorprogrammiert. Der Grund: sogenannte Elterntaxis. Also Eltern, die ihre Kinder zur Schule fahren und möglichst erst kurz vor dem Eingang aussteigen lassen.

Laut einer im September veröffentlichten Umfrage der ADAC-Stiftung wird jedes vierte Grundschulkind an mehr als der Hälfte aller Tage mit dem Auto zur Schule gebracht. Die Mehrheit kommt also nicht mit dem Elterntaxi. Das bestätigt auch Karin Lehr, Rektorin der Vogelsangschule in Stuttgart. Von etwa 400 Kindern würden gerade einmal 20 bis 30 regelmäßig mit dem Auto gebracht werden. "Aber das reicht schon", meint die Schulleiterin. Die Eltern würden nämlich auf dem Gehweg parken, um ihre Kinder zu verabschieden. Kinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kämen, müssten dadurch auf die Fahrbahn ausweichen.

Brenzlige Situationen vor der Schule: Gefahren durch Elterntaxis

Das beobachtet auch Kerstin Sittinger, Leiterin der Südstadtschule in Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis). An ihrer Schule fahren ebenfalls einige Eltern ihre Kinder bis vor die Tür, parken auf dem Gehweg oder auf den Lehrerparkplätzen. Dadurch kam es laut Sittinger in der Vergangenheit immer wieder zu unübersichtlichen Situationen, wenn die Eltern nach dem Bringen etwa wieder rückwärts ausparken müssen.

An ihrer Schule wurde sogar schon einmal ein Kind von einem Auto angefahren. An der Stuttgarter Vogelsangschule gab es bisher keinen Unfall. Schulleiterin Lehr hat aber Sorge, dass sich das bald ändern könnte: "Ich warte darauf, ehrlich gesagt."

Ulm: Schulstraßen sollen Elterntaxis Einhalt gebieten

Das Problem mit den Elterntaxis besteht an vielen Grundschulen in Baden-Württemberg. So auch in Ulm. Mehrere Eltern hätten sich deswegen bei der Stadt beschwert, erzählt Michael Jung, Leiter der Verkehrsplanung. Vor zwei Grundschulen hat die Stadt in Absprache mit den betroffenen Schulen deswegen versuchsweise Schulstraßen eingerichtet. Vor der Spitalhofschule wurde der Versuch im Oktober in einen Regelbetrieb überführt. Schulstraße heißt: Am Straßeneingang weist ein Schild darauf hin, dass die Einfahrt zu den typischen Hol- und Bringzeiten - einmal am Vormittag, einmal am Nachmittag - verboten ist.

Wie kommt die Schulstraße bei der betroffenen Schule an? Schulleiter Martin Felber von der Spitalhofschule ist nach einem Jahr Schulstraße zufrieden mit den Auswirkungen. Auch er habe sich Sorgen um die Kinder gemacht. Durch die Einrichtung der Schulstraße habe sich der Verkehr zu den Hol- und Bringzeiten in der Straße beruhigt. "Die Eltern können mit gutem Gewissen ihre Kinder zu Fuß den Weg zur Schule gehen lassen", freut sich Felber.

Verkehrsminister Winfried Hermann fotografiert die in Ulm eingerichtete Schulstraße, die zu Stoßzeiten für Autos gesperrt ist. Solche Schulstraßen sind ein Teil von modernen Fußverkehrskonzepten. Verkehrsminister Winfried Hermann ist begeistert von der Umsetzung der Schulstraße in der Ulmer Glasgasse. Er möchte mehr Kommunen dazu anregen, Schulstraßen einzurichten, um das Verkehrschaos vor den Bildungseinrichtungen aufzulösen.
Verkehrsminister Winfried Hermann vor einer Schulstraße in Ulm.

Kreis Lörrach: Schranke soll Schulweg sicherer machen

Die Gemeinde Grenzach-Wyhlen im Kreis Lörrach ist noch einen Schritt weiter gegangen: 2022 wurde hier bereits vor einer Grundschule eine Schrankenanlage eingerichtet. Dieses Jahr hat eine zweite Grundschule eine Schranke bekommen. Die Schranke ist zu den Hol- und Bringzeiten geschlossen. Der Grund laut der Gemeinde: Gefahrensituationen durch Elterntaxis. Zuvor eingerichtete Hol- und Bringzonen seien von den Eltern nicht angenommen worden.

Durch die Schranken seien die Eingangsbereiche nun autofrei und dadurch sicherer, so Pressesprecherin Stephanie Senn. Gelöst ist das Problem Elterntaxi dadurch aber nicht. Die Eltern würden stattdessen direkt vor der Schranke oder auf dem Gehweg daneben parken. Deswegen sei zu den Stoßzeiten auch der Gemeindevollzugsdienst vor Ort, um auf die Hol- und Bringzonen aufmerksam zu machen, so Senn weiter.

Die Schranke in Grenzach-Wyhlen wurde bereits in der Landesschau vorgestellt - nicht alle Eltern freuen sich über die Maßnahme:

Regierung will bis 2030 weniger Elterntaxis in Baden-Württemberg

Die Elterntaxis sind nicht nur den Städten und Gemeinde ein Dorn im Auge. Das Land Baden-Württemberg hat den Elterntaxis bereits 2022 den Kampf angesagt. Das Ziel: Bis 2030 soll sich die Anzahl halbieren. Durch Elterntaxis gebe es immer wieder gefährliche Situationen, erklärte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) im Gespräch mit dem SWR.

Deswegen werben wir dafür: kein Elterntaxi.

Um das Ziel zu erreichen, wurde das Programm "Movers" vom Verkehrsministerium in Zusammenarbeit mit dem Bildungs- und Innenministerium konzipiert. Das Programm soll Schulen und Kommunen dabei unterstützen, Kindern einen sicheren und aktiven Schulweg zu ermöglichen. Dazu gehört laut der "Movers"-Webseite unter anderem die Förderung von Infrastrukturprojekten im Bereich Rad- und Fußverkehr. Hermann ist beispielsweise auch von der Wirksamkeit von Schulstraßen überzeugt und ermutigt Kommunen, diese entsprechend einzurichten. "Das kann man nicht vom Ministerium aus anordnen, das ist eine kommunale, schulische Angelegenheit", so der Verkehrsminister.

Verkehrsminister Hermann nannte im Gespräch mit dem SWR Möglichkeiten, um den Bereich vor der Schule möglichst autofrei zu gestalten und wie das Programm "Movers" dabei hilft, Kindern einen sicheren Schulweg zu ermöglichen:

Michael Jung von der Ulmer Stadtverwaltung gibt zu bedenken, dass eine Schulstraße nicht vor jeder Schule möglich ist - beispielsweise, wenn diese an einer Hauptverkehrsstraße liegt. An solchen Schulen würde man individuelle Lösungen suchen.

Verkehrsminister Hermann betont dahingehend, dass es "vielfältige Möglichkeiten" gebe, um den Verkehr vor Schulen zu beruhigen - beispielsweise auch durch Halteverbote. Laut Hermann wird gerade auch an einer gesetzlichen Regelung gearbeitet, die es vereinfachen soll, den Verkehr vor Schulen einzudämmen.

SWR-Kollege Stefan Giese kritisiert in seinem Kommentar, dass Land und Kommunen bisher zu wenig unternehmen würden, um den Schulweg zu Fuß oder auf dem Rad sicherer zu gestalten:

Landesprogramm "Movers" will Kinder zum aktiven Schulweg animieren

Ein weiterer Teil des Programms "Movers" sind die "Schulwegprofis", die als Mitmach-Aktionswochen ausgelegt sind. Drei Wochen lang können Kinder von teilnehmenden Schulen Punkte sammeln, indem sie aktiv zur Schule gehen - etwa zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Roller.

Die Grundschule von Kerstin Sittinger in Schwetzingen hat bei den Aktionswochen mitgemacht. Wenn ein Kind aktiv zur Schule gekommen ist, durfte es einen Smiley auf einem Poster im Klassenzimmer ausmalen. "Die Kinder waren sehr stolz", berichtet Rektorin Sittinger. Auch die Eltern haben das Angebot positiv aufgenommen. Von 207 Schülerinnen und Schülern hätten sich 203 an der Aktion beteiligt, erzählt Sittinger - und die Eltern hätten sich eingestanden, dass sie sich "an die eigene Nase fassen" und andere Möglichkeiten für den Schulweg finden müssten.

An der Schwetzinger Grundschule hat die Aktion Wirkung gezeigt. Einige Wochen später bleiben viele Kinder bei ihrem aktiven Schulweg. "Vom Eindruck her würde ich schon sagen, dass die Zahl der Kinder, die mit dem Auto gebracht werden, jetzt nicht wieder zugenommen hat", so die Schulleiterin.

Kinder auf dem Weg zur Schule. Eine Aktion des Innenministerium soll den Schulweg sicherer machen.
Kinder auf dem Weg zur Schule.

Schulleitung sieht kleinen Prozentsatz "beratungsresistenter Eltern"

Grundschulen mit besonders vielen Elterntaxis appellieren jedes Jahr an Eltern, ihre Kinder nicht mehr zu fahren. "Es ist Thema in jedem Elternabend, es ist Thema in jeder Elternbeiratssitzung", erzählt Schulleiterin Lehr von der Vogelsangschule in Stuttgart. Diese Appelle würden aber ins Leere laufen. Auch Rektorin Sittinger von der Südstadtschule in Schwetzingen berichtet nach dem Erfolg der Mitmach-Aktionswochen von einem kleinen Prozentsatz "beratungsresistenter" Eltern.

Gleichzeitig gibt es an den Schulen aber auch genügend Eltern, die gegen das Problem mit den Elterntaxis vorgehen wollen. So hat sich an der Stuttgarter Vogelsangschule zum neuen Schuljahr eine Elterninitiative gebildet, die unter anderem mit Bannern am Schuleingang auf das Problem aufmerksam machen will. Martin Felber von der Spitalhofschule in Ulm berichtet ebenfalls von engagierten Eltern, die die Maßnahme Schulstraße unterstützt hätten. "Das muss man klar sagen, ohne die Eltern wären wir da nicht so weit gekommen", so der Schulleiter.

Thema Elterntaxis beschäftigt die SWR Aktuell-Community

Auch Eltern in der SWR Aktuell-Community beschäftigt das Thema Elterntaxis. Viele User und Userinnen appellieren daran, Kindern beim Schulweg schon frühzeitig Selbstvertrauen zu vermitteln. So schreibt etwa eine Userin: "Man sollte den Kindern so früh wie möglich Freiheit und Sicherheit vermitteln, damit sie mit dem Fahrrad fahren können in urbanen Räumen. Die Mehrzahl der Kinder hat keine Probleme mit dem Wetter, wenn, dann sind es die Sorgen der Eltern, die die Kinder dazu bringen zu sagen: 'Es regnet, ich fahre kein Fahrrad.'"

Instagram-Beitrag von swraktuell

Andere User und Userinnen können die Ängste vieler Eltern jedoch verstehen. "Dass Eltern Angst vor möglichen Gefahren durch Kinderschänder u.ä. Personen haben, ist nur natürlich. Doch diese Gefahr gab es auch früher - sie ist uns heutzutage nur durch die größere Medienvielfalt mehr im Bewusstsein (...). Wir können unsere Kinder nicht vor allen Gefahren schützen und sollten es auch nicht. Das ist schwer, aber Kinder müssen auch durch eigene Erfahrungen lernen", schreibt ein User. Um Eltern die Angst vor dem Schulweg zu nehmen, votiert eine weitere Userin für den Einsatz von Schullotsen - sie könnten Kinder entlang bekannter Straßen auf dem Schulweg begleiten.

Kinder zur Schule fahren - "Phänomen gefühlter Unsicherheit"

Angst nannten in der Umfrage der ADAC-Stiftung zwar nur wenige Eltern als Grund für das Elterntaxi - bei einigen Eltern scheint genau das aber der Knackpunkt zu sein.

Das, was eigentlich gefährdet, sind in vielen Bereichen die Elterntaxis selbst.

Sebastian Kölsch, Vorsitzender des Landeselternbeirats, glaubt, dass diese Angst ein "Phänomen der gefühlten Unsicherheit" sei. Laut der Unfallkasse Baden-Württemberg sind Schulwege heutzutage sicherer als beispielsweise in den 1970er Jahren. Es gebe weniger Verletzte und Verkehrstote bei einem gleichzeitig gestiegenen Verkehrsaufkommen. Trotzdem hätten viele Eltern das Gefühl, der Schulweg sei unsicher, so Kölsch. Diese Angst sei aber unbegründet - und der Umstieg aufs Elterntaxi nicht die Lösung.

Um den Eltern die Angst zu nehmen, müsste besser kommuniziert werden, wie sicher Schulwege heutzutage sind, so Kölsch weiter, "denn jede gute Aktion wie zum Beispiel 'Movers' läuft ins Leere, wenn man der Angst nicht begegnet".

Warum bleiben Familien beim Elterntaxi?

Trotz der bekannten Risiken wollen einige Eltern beim Elterntaxi bleiben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Laut der Landesverkehrswacht Baden-Württemberg lässt sich das Elterntaxi nicht immer vermeiden - beispielsweise dann, wenn die Familie in einer ländlichen Region wohnt.

Laut der Umfrage der ADAC-Stiftung geht es vielen Eltern um Gründe wie "Anschlusstermine, schlechtes Wetter und Zeitersparnis für das Kind". Das bestätigt auch eine Mutter aus Ludwigsburg. Ihr Kind geht normalerweise zu Fuß - aber nicht mehr bei Regen, nach einer eindrücklichen Erfahrung: "Wir sind mal so dermaßen in den Regen gekommen, waren innerhalb von Minuten beide komplett durchnässt auf dem Schulweg", erzählte die Mutter dem SWR. Das Kind habe dann "den ganzen Tag mit nassen Sachen in der Schule" sitzen müssen. "Das war mir eine Lehre", so die Mutter.

Tipps für den sicheren Schulweg

Ob Eltern nicht aufs Elterntaxi verzichten können oder wollen - es gibt Möglichkeiten, das eigene Kind zur Schule zu fahren, ohne andere Kinder dabei zu gefährden. Die Landesverkehrswacht rät dazu, an einer übersichtlichen Stelle anzuhalten und das Kind den restlichen Weg zu Fuß gehen zu lassen.

Auch Verkehrsminister Hermann würde es begrüßen "dass die Kinder wenigstens ein paar Schritte laufen". Schulleiterin Lehr aus Stuttgart würde sich ebenfalls wünschen, dass die Eltern nicht mehr direkt bis vor die Schule fahren würden.

Am sichersten - wenn möglich - ist laut der Landesverkehrswacht allerdings der Weg zu Fuß. Deswegen sei es wichtig, Kindern früh beizubringen, wie sich sicher im Straßenverkehr bewegen können. "Kinder können mit Übung jeden Schulweg nach einer Weile allein oder in der Gruppe mit anderen meistern", heißt es von Seiten der Landesverkehrswacht. Ein Großteil der Menschen in Baden-Württemberg wohnt auch fußläufig zu einer Grundschule:

Solange das Elterntaxi immer noch bei einigen Familien hoch im Kurs ist, geben sich die Grundschulen mit kleinen Erfolgen zufrieden. "Jedes Auto, das weniger fährt, darüber freuen wir uns", resümiert Schwetzinger Schulleiterin Kerstin Sittinger.

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