Nach einem Hinweis kolumbianischer Behörden hatten Fahnder vergangenes Jahr eine Rekordmenge von insgesamt mehr als 35 Tonnen Kokain im Wert von mehreren Milliarden Euro sichergestellt. Am Montag nannten die Behörden weitere Details. Auf den großen Drogenfund unter anderem am Hamburger Hafen folgten mehrmonatige Ermittlungen, die in den vergangenen Tagen zu Durchsuchungen in sieben Bundesländern führten - in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Sieben Haftbefehle wurden dabei vollstreckt. Auch Ermittler der baden-württembergischen Zollfahndung waren beteiligt. Sie kamen ins Spiel, weil sich der erste wichtige Tipp auch auf eine Firmenadresse in Mannheim bezog.
LKA-Chef: Arbeit ist noch am Anfang
"Bei den Durchsuchungen wurden unzählige digitale Speichermedien sichergestellt", sagte der Präsident des baden-württembergischen Landeskriminalamtes, Andreas Stenger. Diese würden nun so schnell und gut wie möglich ausgewertet. "Wir sind natürlich in die Strukturen eingedrungen und können das Geflecht erhellen. Wir wissen aber noch nicht, ob dieser Prozess schon abgeschlossen ist", fügte er hinzu. "Unsere Arbeit ist in wesentlichen Teilen noch am Anfang." Die Ermittler hoffen auf weitere Festnahmen und mehr Erkenntnisse in den Drogenimport von Südamerika nach Europa.
Laut einer Pressemitteilung der zuständigen Behörden richtet sich das unter dem Namen "OP Plexus" Ermittlungsverfahren wegen des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Wesentlichen gegen acht Hauptbeschuldigte verschiedener Nationalitäten im Alter von 30 bis 54 Jahren. Sieben Haftbefehle wurden bereits vollstreckt.
Acht Hauptbeschuldigte sollen Drogentransport organisiert haben
Konkret wird den Beschuldigten vorgeworfen, von April bis September 2023 den Transport von zehn Seecontainern mit großen Mengen Kokain aus Lateinamerika nach Europa organisiert zu haben. Dazu sollen sie speziell zu diesem Zweck gegründete Scheinfirmen verwendet haben. Weitere noch unbekannte Mittäter sollen sich mutmaßlich in der Türkei aufhalten.
Aufgrund eines Hinweises kolumbianischer Behörden gelang es den Ermittlern, neun der Seecontainer zu identifizieren. Bei Kontrollen wurden zwischen Obstkisten und anderen Legalwaren insgesamt rund 35,5 Tonnen Kokain sichergestellt. Davon wurden nahezu drei Tonnen in Guayaquil in Ecuador, circa acht Tonnen im Hafen von Rotterdam in den Niederlanden und knapp 25 Tonnen im Hamburger Hafen in Deutschland entdeckt. Der Straßenverkaufswert des zwischenzeitlich vernichteten Kokains liegt bei rund 2,6 Milliarden Euro. Tagelang war ein großer Teil der Drogen im Landeskriminalamt Baden-Württemberg zum genaueren Untersuchen zwischengelagert und schließlich vernichtet worden. Dass die Kokainpakete in der Müllverbrennungsanlage gelandet sind, sorgte bei Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) für Erleichterung.
Soweit bekannt, handelt es sich um die bislang größte sichergestellte Gesamtmenge in einem deutschen Ermittlungsverfahren. Zum Vergleich: Die gesamte Menge an Kokain, die deutsche Behörden 2019 sicherstellten, belief sich auf gut zehn Tonnen.
Razzien in sieben Bundesländern
Am 31. Mai und 5. Juni diesen Jahres erfolgten demnach umfangreiche Durchsuchungen und Zugriffe an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen (Bonn, Köln, Leverkusen, Rhein-Sieg-Kreis und Wachtberg), Bayern (München), Berlin, Brandenburg (Landkreis Märkisch-Oderland), Hamburg, Hessen (Frankfurt am Main) sowie Niedersachsen (Heidekreis). Bei den Razzien unter Federführung der GER Stuttgart und Karlsruhe des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg und des Zollfahndungsamtes Stuttgart wurden sieben Tatverdächtige festgenommen, eine Schreckschusswaffe und eine Schusswaffe sowie zahlreiche Mobiltelefone, Laptops und weiteres Beweismaterial gesichert. Zudem wurden unter anderem fünf Goldbarren, Bargeld in Höhe von 23.300 Euro, ein Sportwagen im Wert von circa 250.000 Euro und Luxusartikel beschlagnahmt.
Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte, dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW) sei gemeinsam mit dem Zollfahndungsamt Stuttgart "ein gewichtiger, wenn nicht der bundesweit größte Schlag gegen den internationalen Drogenhandel in der Geschichte der Bundesrepublik gelungen". Dies zeige, dass die Polizei in Baden-Württemberg in der Lage sei, auch auf der obersten Ebene des internationalen Rauschgifthandels den Machenschaften der Täter einen Riegel vorzuschieben und ihnen empfindliche Verluste in Milliardenhöhe zuzufügen. Strobl unterstrich in diesem Zusammenhang die Bedeutung behörden- und grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Drogenhandel.
Experte: Rekordfund hat keinen Effekt auf den Drogenmarkt
Schon länger kommt immer mehr Kokain in Containern aus Südamerika nach Deutschland. Insgesamt hat sich die Menge des sichergestellten Rauschgifts nach Angaben des Bundeskriminalamts zwischen 2018 und 2023 versiebenfacht.
Zu einer deutlichen Verknappung des Kokainangebots hat der Rekordfund laut dem Suchtforscher Daniel Daimel nicht geführt. "Wir sehen nach solchen vermeintlichen Rekordfunden eigentlich keinen Effekt auf dem Drogenmarkt", so Daimel, der als Professor für Gesundheitsförderung und Prävention an der Technischen Hochschule Nürnberg lehrt, gegenüber dem Deutschlandfunk.
In Kolumbien - wo weltweit das meiste Kokain produziert werde - sei die Produktion seit dem Friedensabkommen von 2016 zwischen der Rebellenarmee FARC und dem kolumbianischen Staat deutlich gestiegen. Denn zuvor hätten die FARC und zwei weitere Organisationen den dortigen Drogenmarkt kontrolliert. Mittlerweile seien in Kolumbien aber mehr als 60 Organisationen in den kolumbianischen Drogenhandel eingestiegen, die den Markt regelrecht mit Drogen fluteten.
Konsum auch in der Mitte der Gesellschaft
Doch auch die Nachfrage in Deutschland sei gestiegen: Die Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten habe sich zwischen 2015 und 2021 verdreifacht. "Kokain ist keine Droge mehr, die nur von Randgruppen oder den Schönen und Reichen verkonsumiert wird", sagt Daimel, sondern sie sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dort finde der Konsum "sozial angepasst" etwa im Party-Setting am Wochenende statt, weshalb viele Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht im Suchthilfesystem auftauchten. Über Distributionswege im Internet sei der Stoff sehr leicht verfügbar - in Großstädten wie Berlin brächten sogenannte "Kokain-Taxis" den Stoff auf Bestellung auch direkt nach Hause.
Doch der Sucht-Experte warnt: "Die Menschen konsumieren da eine Substanz, die keinerlei Qualitätskontrolle unterliegt." Neben Gefahren durch beigemengte Streckmittel mache Kokain sehr stark psychisch abhängig. Zudem könne der Konsum schwere Depressionen bis zur Suizidalidät auslösen. Menschen in höherem Alter hätten außerdem noch ein erhöhtes Risiko, durch den Konsum Schlaganfälle und Herzinfarkte zu erleiden.