Forensische Psychiatrie: Alternative zum Gefängnis
Die forensische Psychiatrie, auch Maßregelvollzug genannt, ist eine Alternative zum Gefängnis. Hier leben Männer und Frauen, die eine Straftat begangen haben und als psychisch krank gelten.
Deutschlandweit sind es derzeit etwa 8.000 Menschen. Die meisten leiden an Schizophrenie, bei etwa einem Drittel liegt eine sogenannte Persönlichkeitsstörung vor, jeder zehnte gilt als Mensch mit starker Intelligenzminderung, also als geistig behindert.
Manche haben nur ein relativ kleines Delikt begangen, zum Beispiel gestohlen oder unerlaubt Waffen besessen. Andere dagegen haben Mitmenschen angegriffen. Etwa ein Viertel der Patienten ist wegen sexueller Übergriffe verurteilt worden, einige wegen Mord.
Länger in der forensischen Klinik als im Gefängnis
Die meisten Männer und Frauen bleiben sehr viel länger in der forensischen Klinik, als es eine Haftstrafe vorgesehen hätte. Die Verweildauer hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, jeder dritte Patient sitzt inzwischen länger als zehn Jahre im Maßregelvollzug, im Schnitt sind es über acht Jahre.
Das sei viel zu lang, kritisiert Hans-Ludwig Kröber. Der mittlerweile emeritierte Professor ist einer der bekanntesten psychiatrischen Gutachter Deutschlands. Die Anstaltsleitungen seien viel zu vorsichtig, wenn es um die Entlassung gehe. Und die mediale Öffentlichkeit ist bei psychisch kranken Straftätern besonders kritisch, gerade wenn es sich um Gewalttäter handelt.
Psychisch Kranke ohne Recht auf Freiheit nach Verbüßen der Strafe
Eine im März 2018 publizierte Studie des Instituts für Forensische Psychiatrie in Essen zeigt, dass 13 Prozent der ehemaligen Patienten innerhalb von 16 Jahren erneut eine schwere Straftat begehen. Weitere gut 20 Prozent fallen durch kleinere Delikte auf.
Gesunde Straftäter haben nach Verbüßung der Strafe das Recht auf Freiheit. Allerdings wird fast jeder zweite, der im Gefängnis saß, auf freiem Fuß wieder straffällig. Im Schnitt sind ehemalige Häftlinge also gefährlicher als Patienten der Forensik. Trotzdem haben gesunde Straftäter nach Verbüßung ihrer Strafe ein Recht auf Freiheit. Wer als psychisch krank gilt, hat dieses Recht nicht.
In der Regel überprüft ein Richter einmal im Jahr, ob der Aufenthalt noch nötig ist. Er stützt sich dabei auf Empfehlungen externer Gutachter und der Therapeuten der Klinik. 2016 hat der Bundestag beschlossen, dass Richter spätestens nach sechs Jahren die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsdauer berücksichtigen müssen.
Therapien der forensischen Psychiatrie
Schon der Alltag in der forensischen Psychiatrie gilt als Therapie, genauer als Milieutherapie. Die Bewohner können auf dem Gelände zur Arbeit gehen, Körbe flechten, Schrauben drehen oder schreinern; das ist die Arbeitstherapie.
Fußball gehört zur Sporttherapie, Gespräche mit Therapeuten in Einzel- und Gruppensitzungen finden jeweils einmal in der Woche statt. Musiktherapie soll die Menschen aktivieren, sie aus der Lethargie und Depression herausholen, denn viele liegen auch tagsüber lange Zeit nur in ihrem Bett.
Begleitung nach der Entlassung in „forensischen Nachsorgeambulanzen“
Im Jahr 2007 wurde gesetzlich geregelt, dass Patienten des Maßregelvollzugs nach der Entlassung begleitet werden können – in „forensischen Nachsorgeambulanzen“.
Doch immer wieder entscheiden Richter, dass Menschen im Maßregelvollzug bleiben müssen, weil draußen kein betreuter Wohnplatz frei ist. Bei Politikern haben psychisch kranke Straftäter keine Lobby, ähnliches gilt wohl für die gesamte Gesellschaft. Nur so ist zu erklären, dass keiner weiß, was überhaupt in den forensischen Kliniken passiert.
Jede Einrichtung arbeitet nach eigenen Regeln
Das musste die Bundesregierung Ende 2018 zugeben, nachdem eine Anfrage im Bundestag gestellt wurde. Noch arbeitet jede forensische Einrichtung im eigenen Ermessen. Einheitliche Standards gibt es nicht. Entscheidungen über Lockerungen, was Patienten dürfen oder nicht, welche Therapien sie bekommen und wie lange: Alles hängt vom Personal und seiner Leitung ab.
Entsprechend variieren die Verweildauern erheblich. Mehr Transparenz könnte helfen, um gemeinsame Standards zu entwickeln. Das würde Patienten und Therapeuten Orientierung geben, Willkür und überlange Verweildauern reduzieren.
SWR 2019 / 2021