Wer erkältet ist, soll ein Dampfbad machen oder Ingwer mit heißer Zitrone trinken. Bei Ohrenschmerzen hilft ein Zwiebelsäckchen, bei Fieber ein Wadenwickel. Für fast jedes Wehwehchen findet sich ein altes Rezept. Nicht nur an Volkshochschulen finden zu Hausmitteln Seminare statt, auch Ärzte an Unikliniken empfehlen ihren Rheuma- und Schmerzpatienten Wadenwickel und Aufgüsse.
In Freiburg leitet Professor Roman Huber das Uni-Zentrum Naturheilkunde. Er steht für einen ganzheitlichen Ansatz und ist überzeugt, dass alte Hausmittel die Schulmedizin unterstützen können. Denn es sei wichtig nicht nur Tabletten zu verschreiben – sondern zu fragen, in welchem sozialen Umfeld jemand lebt oder was seine Seele umtreibt.
Bei Beinproblemen hilft ein Kohlwickel, bei Rheuma eine Ernährungsumstellung
Diese und weitere Hausmittel empfehlen die naturheilkundlichen Ärzte in Freiburg ihren Patienten - je nach Lebenssituation. Bei Krebspatienten, denen eine Chemotherapie oder eine Operation bevorsteht, ist es zum Beispiel wichtig auf die Angst einzugehen, sagt Mediziner Huber:
"Neben einem beruhigenden Gespräch und einer optimistischen Ausstrahlung ist da zum Beispiel gut, wenn man auf den Wärmehaushalt achtet. Denn Angst macht, dass die Hände und Füße kühler werden. Und man kann, wenn man sich schön warm hält, eine Rückwirkung auf unser vegetatives Nervensystem haben und das damit etwas runter regulieren. "
Hausmittel sollten einen nachvollziehbarem Wirkmechanismus haben
Pro Jahr beraten Huber und sein Team etwa 5000 Patienten in der Freiburger Ambulanz. Mit einem Rezept über Lavendel für eine Aroma-Therapie oder Schafgarbe für den Leberwickel verlassen die Patienten dann seine Klinik. Doch helfen diese Mittel überhaupt? Da es kaum Studien über die Wirksamkeit gibt, müssen sich die Freiburger auf eigene Kriterien verlassen. So schildert Huber, dass sie nur Hausmittel mit nachvollziehbarem Wirkmechanismus empfehlen:
"Wenn man also ein Zwiebelwickel macht oder einen Kohlwickel oder einen Guss macht, dann muss man verstanden haben, wie das wirkt. Ein weiterer Punkt ist die Erfahrung, die wir hier über Jahre gesammelt haben. Wenn wir gute Erfahrungen gemacht haben, dann wird das weitergegeben."
Erfahrungsschatz Hausmittel: Hühnerbrühe bei Erkältung und Wadenwickel bei Fieber
Hausmittel sind beliebt. Bei einer Umfrage von "yougov" aus dem Jahr 2017 gab die Hälfte der Befragten an, schon einmal alternative Behandlungsmethoden bzw. Naturheilverfahren ausprobiert zu haben. 13 Prozent davon sogar regelmäßig. Frauen sind etwas offener dafür als Männer.
Schon unsere Vorfahren versuchten so ihre Krankheiten zu kurieren – mit dem, was sie in der Natur fanden. Sie sammelten Kräuter, Beeren, Blüten, Wurzeln und probierte sie aus. Jede Kultur auf der Erde hat ihren eigenen medizinischen Erfahrungsschatz.
Erst in den Hochkulturen entstand der Beruf des Arztes. Medizinhistoriker vermuten, dass die ersten Heilkundigen vor rund 5000 Jahren im Alten Ägypten und Mesopotamien ihre Praxen eröffneten. Allerdings war selbst Jahrtausende später für den Großteil der Bevölkerung ein ausgebildeter Arzt häufig schwer erreichbar oder unerschwinglich.
Hausmittel-Bücher waren bereits im Spätmittelalter wahre Bestseller
Im Spätmittelalter waren Schriften wie die Hausapothek oder das Niuwe Krūterbuoch sehr gefragt. Darin fanden die Menschen Rezepte für Wickel oder Kräutermischungen zur Linderungen ihrer Beschwerden. Noch bis zum 18. Jahrhundert musste die "gute Hausfrau" selbstverständlich Arzneien brauen können. Die Familien gaben die Rezepte von Generation zu Generation weiter, ergänzten sie und verwahrten sie sorgfältig auf. Wer es sich leisten konnte, verfasste ein eigenes Hausmittel-Buch.
Doch in den alten Büchern finden sich auch haarsträubende Rezepte. Je spektakulärer die Krankheit war – desto ausgefallener war oft das Mittel. Gegen die fallende Sucht sollte eine erkrankte Frau zum Beispiel das getrocknete Herz einer Wölfin essen, Kinder sollten in einem frisch geschlachteten Ochsen baden. Solche Rezepte beruhten auf magischem Denken.
Das Wissen über die Hausmedizin lag in der Hand weiser Frauen
Die weisen Frauen des Mittelalters kamen aus allen gesellschaftlichen Schichten: Nonnen sammelten in Klöstern ein breites Heilwissen und hatten oft einen eigenen Kräutergarten. Kräuterfrauen gaben der ärmeren Bevölkerung medizinischen Rat. Hebammen waren ebenfalls gute Medizinerinnen. Und es gab noch eine weitere Gruppe: die der hochadeligen Frauen. So standen Frauen wie zum Beispiel Anna von Sachsen selbst in der Küche, stellten Tinkturen her und tauschten sich mit Ärzten darüber aus. Über Jahrhunderte wurde dieses Wissen weitergegeben, ergänzt und korrigiert.
Hausmittel erleben schon seit Jahren einen Boom
Im Zuge des aktuellen Trends zur gesunden Lebensweise werden Hausmittel besonders stark beachtet. Bücher mit Titeln wie "Hausmittel, die wirklich helfen" oder "Die besten Hausmittel aus dem Thermomix" verkaufen sich gut. Bei Kräuterwanderungen sammeln Interessierte eigene Heilpflanzen. Viele Volkshochschulen bieten Kurse an, unter Titeln wie "Bewährte Hausmittel für Kinder", "Naturapotheke: die Feld-Wald- und Wiesenapotheke" oder "Schief gewickelt? - Wickel und Auflagen richtig anwenden".
Die Forschungslage zur Wirksamkeit von Hausmitteln ist dünn und schlecht finanziert
Prof. Gerd Antes hat Studien zur Therapie von Erkältungen mit Hausmitteln gesichtet. Antes ist Direktor von "Cochrane Deutschland" mit Sitz in Freiburg. Die Cochrane Collaboration ist ein weltweites Netz aus Wissenschaftlern und Medizinern, das Forschungsergebnisse sammelt und überprüft.
Die Cochrane-Mitarbeiter haben zum Beispiel nach der Wirksamkeit von Vitamin C gesucht. Jeder kennt den Tipp, bei einer Erkältung frisches Obst zu essen oder eine heiße Zitrone zu trinken. Das soll die Abwehrkräfte stärken. Die Studien dazu brachten jedoch widersprüchliche Ergebnisse. Insofern kann Gerd Antes weder dazu raten, das Vitamin vorsorglich zu sich zu nehmen noch bei einer schon ausgebrochenen Erkrankungen – ob es nun frische Orangen sind oder eine Brausetablette. Die einzige Gruppe, die von einer erhöhten Dosis Vitamin C zu profitieren scheint, sind Hochleistungssportler. Allen anderen reicht das Vitamin C aus der Nahrung, so der Stand der Forschung.
Ein anderes Beispiel ist Ingwer. Forscher haben gezeigt, dass die Gingerole entzündungshemmend wirken. Das bedeutet aber nicht, dass Ingwertee gegen einen entzündeten Hals hilft. Denn noch ist offen, wie hoch die Gingerole dafür konzentriert sein müssen und ob sie durch Trinken überhaupt aufgenommen werden. Weil die Bürgerinnen und Bürger aber ein berechtigtes Interesse daran hätten zu erfahren, ob die beliebten Hausmittel wirken, müsse die öffentliche Hand diese Forschung finanzieren, fordert Gerd Antes:
2015 gab es den Medizin-Nobelpreis für die Wiederentdeckung einer alten Heilpflanze
Dass Pflanzen Heilkräfte haben, ist unumstritten: Es kommt auf die Dosierung an und darauf, das richtige Mittel für die richtige Erkrankung zu finden. Manchmal dauert das Jahrzehnte und erfordert eine zufällige Entdeckung. Und erst 2015 gab es dafür sogar den Medizin-Nobelpreis. Die Chinesin Tu Youyou hatte die entscheidende Substanz gefunden, aus der ein wirksames Malaria-Medikament entwickeln werden konnte. Jahrelang hatte Tu uralte chinesische Medizinbücher durchforstet, bis sie auf ein Hausmittel gegen Fieber gestoßen war. Es enthielt "Einjährigen Beifuß".
Tu Youyou isolierte aus der Pflanze die Substanz Artemisinin und hatte Glück. Es erwies sich als hochwirksam gegen den Malaria-Erreger Plasmodium. Es war ein altes Hausmittel, das der Forscherin Tu Youyou letztlich den Nobelpreis eingebracht hat. Ein lange vergessenes Kraut, das sie wiederentdeckte.