Forscher warnen vor neuer "Heißzeit"
Selbst eine geringe weitere Erwärmung könnte einen Stein ins Rollen bringen, der zu einer noch viel wärmeren Erde führt. So argumentieren aktuell Klimaforscher in einem Diskussionsbeitrag in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS.
Die Erde könne zum "Hothouse", zur Hitzkammer werden, warnen die Forscher. Selbst wenn sich alle an das Pariser Klimaabkommen halten, wäre nicht ausgeschlosssen, dass sich die Erde langfristig um etwa vier bis fünf Grad Celsius erwärmt und der Meeresspiegel um 10 bis 60 Meter ansteigt, schreibt dazu das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, von dem einige Forscher am Artikel mitgeschrieben haben. Sie stützen sich dabei auf die Erkenntnis, dass es im Weltklima sogenannte Kippelemente gibt – Schlüsselpunkte, die von einem Zustand in einen anderen übergehen, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden. Doch was hat es damit auf sich?
Beispiel Grönland
Wenn die Sommer auf Grönland warm sind, schmilzt viel Eis. Große Mengen Süßwasser gelangen dann in den Nordatlantik und vermischen sich mit dem Salzwasser. Die Mischung kann dann so salzarm werden, dass die Golfstrom-Zirkulation geschwächt wird - das ist das Ergebnis einer Studie am Forschungszentrum GEOMAR. Die Forscher sehen darin eine Bestätigung, dass der Klimawandel langfristig zu einer Abschwächung des Golfstroms insgesamt führen kann. Und der Golfstrom gehört zu den Schlüsselregionen des Weltklimas - den so genannten "Kipp-Elementen".
Denn das Klima auf der Erde wandelt sich nicht immer langsam und allmählich. In der Erdgeschichte gab es immer wieder rasche Veränderungen mit heftigen globalen Temperatursprüngen. Klimaforscher sagen: Das kann sich wiederholen.
Klimawandel - kein stetiger Prozess
Verantwortlich für solche Klimasprünge sind ganz bestimmte Stellen auf der Erde, die die Wissenschaft als „Kipp-Elemente“ bezeichnet. Dazu gehört der Golfstrom (in der Grafik: „Atlantische thermohaline Zirkulation“) ebenso wie die Permafrostböden in Sibirien oder der Indische Monsun.
Kleine Veränderung – große Wirkung
All diese Punkte im Erdsystem haben eines gemeinsam: Kleine Veränderungen dort können große Folgen haben, die sich oft auch noch selbst verstärken. Erwärmt sich das Klima, tauen die Permafrostböden. Dadurch wird das Treibhausgas Methan freigesetzt, das dann wiederum den Klimawandel zusätzlich verstärkt. Oder das Arktis-Eis: Schmilzt es, wird die Erde dunkler und nimmt noch mehr Wärme auf.
Das 2-Grad-Ziel
Aus dieser Überlegung heraus kam es auch zum klimapolitisch so wichtigen „Zwei-Grad-Ziel“. „Erwärmt sich das Klima um weniger als 2° C, erwarten wir, dass bestimmte Schwellenwerte noch nicht erreicht werden“, erklärt der Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz- Zentrum für Ozeanforschung „GEOMAR“ in Kiel. Je stärker sich das Weltklima erwärmt, desto wahrscheinlicher werden solche Kippeffekte. ( s. "Was wäre wenn... - Kipp-Punkte zum Ausprobieren).
In der Erdgeschichte gibt es zahlreiche Beispiele für solche Klimasprünge – deshalb liegt der Schluss nahe, dass sie sich auch in Zukunft wieder ereignen können. Zu den am besten erforschten Ereignissen gehört der Kälteeinbruch der „Jüngeren Dryas“ am Ende der letzten Eiszeit. Damals sanken die Durchschnittstemperaturen in Europa innerhalb nur weniger Jahrzehnte um vier bis fünf Grad. Jahrhunderte später stiegen sie ebenso schnell wieder an.
Spurensuche am Bodensee
Der Steißlinger See in der Nähe von Radolfzell am Bodensee. Vier Männer und zwei Frauen auf einem Schlauchboot steuern eine Mini-Bohrinsel in der Mitte des Sees an: Eine Plattform aus Aluminium mit Dieselgenerator, Seilwinden, Metallgestänge.
Die Wissenschaftler lassen ein armdickes Metallrohr ins Wasser hinab, darin steckt ein Rohr aus Plexiglas. Damit holen sie Bohrkerne aus Sand und Sedimenten vom Grund des Sees.
Sedimente vom Ende der Eiszeit
Die Sedimente in 20 Meter Tiefe stammen aus jener wechselhafte Epoche am Ende der Eiszeit. Welche Temperaturen herrschten damals, vor zehn- bis zwanzigtausend Jahren? Wie viel Regen und Schnee sind gefallen? Welche Pflanzen wuchsen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, bohrt die Forschungsgruppe Seeböden in ganz Europa an. In Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern, in Polen, den Alpen und in der Eifel.
Geleitet wird sie von Achim Brauer vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). „Nur ganz wenige Seen sind dafür geeignet“, erklärt er. Faustregel: die Seen sollten möglichst tief sein im Vergleich zur Oberfläche. Denn wenn sie flach sind, zirkuliert das Wasser im Wind zu stark, die feinen Sedimentschichten werden dann zerstört.
Spuren eines wechselhaften Klimas
Der Steißlinger See dagegen ist perfekt: Er entstand vor 15.000 Jahren am Rand eines gewaltigen Gletschers, der von den Alpen bis über den Bodensee reichte. Aus dieser Zeit entstanden die untersten Sedimentschichten. Mit dem Ende der Eiszeit zog sich der Gletscher zurück, und die Jahreszeiten hinterließen ihre Spuren:
„Wenn es warm wird, im Frühjahr, dann beginnen Algen zu blühen. Sterben sie ab, sinken die Reste auf den Seeboden und bilden eine feine Schicht. Wenn es dann im Herbst stürmt, wird Material vom Uferbereich in die Tiefe des Sees gespült“, sagt Brauer.
Temperaturen im Jahresmittel unter dem Gefierpunkt
Später werden die Bohrkerne in den Labors des GFZ untersucht. Zusammen mit anderen Bohrkernen sowie mit der Analyse von Baumringen und anderer Klimaarchive bestätigen ergibt sich folgendes Bild:
Vor 12.900 Jahren erlebte Westeuropa einen Temperatursturz. Zuvor herrschten hierzulande im Sommer erträgliche 17 Grad im Durchschnitt. Doch innerhalb weniger Jahrzehnte sank die Durchschnittstemperatur im Juli auf 13 Grad. Im Jahresmittel fielen die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Fichten und Birken starben aus, Gräser und Sträucher machten sich breit.
Massive Umweltveränderungen
Die „Jüngere Dryas“ ist genau diese kurze Phase zwischen 12.900 und 11.600. Ihr Name leitet sich ab vom lateinischen Namen für den Weißen Silberwurz. Dieses Strauchgewächs hält kalten Temperaturen stand und war damals weit verbreitet.
Die Veränderungen, die sich in den Sedimenten spiegeln, waren gewaltig. Selbst innerhalb von 80 Jahren – heute ein Menschenleben – hat sich die Umwelt massiv verändert. „Und auch damals haben schon Menschen gelebt!“ gibt Brauer zu bedenken.
Doch nach 1.300 Jahren stiegen die Temperaturen wieder rapide an, der Beginn der heutigen Warmzeit, mit der auch die Zivilisation begann: Ackerbau, Siedlungen, komplexe Gesellschaften.
Ursache dieser Klimasprünge: Vermutlich der Golfstrom
Für Europa spielen die Launen des Golfstroms eine wichtige Rolle. Diese Meeresströmung transportiert heute lauwarmes Wasser von Florida an Grönland, Island und Schottland vorbei bis nach Skandinavien. Der Golfstrom ist Europas Fernwärmeheizung. Er liefert einigermaßen zuverlässig 1,3 Petawatt, das entspricht der Leistung von einer Million Atomkraftwerken. Ab und zu aber fällt die Heizung aus.
Alfred Wegener Institut Bremerhaven. Wer den Zusammenhang von Klimasprüngen und dem Golfstrom verstehen will, muss die Polarforscherin Maria Hörhold ins Eislabor begleiten. Sie zersägt Eisbohrkerne. Stangen aus Eis und gefrorenem Schnee, so dick wie Kinderarme. Sie stammen aus Grönland. Maria Hörhold öffnet eine Styroporkiste und hebt einen Eisbohrkern auf die Werkbank.
Eisbohrkerne als weitere wichtige Quelle
Eisbohrkerne sind hervorragende Klimazeugnisse. Denn in ihnen sind Luftblasen eingeschlossen. Sie konservieren die Luft vergangener Jahrtausende. Sie verraten damit auch, wie hoch der CO2-Gehalt damals war. Auch die damaligen Temperaturen lassen sich aus den Eiskernen ableiten, mit denselben Methoden wie aus den Sedimenten der Binnenseen.
Solche Eisbohrkerne waren es auch, die Klimaforschern schon in den 1980er Jahren erste Hinweise auf sprunghafte Temperaturänderungen gegeben. „Das war natürlich eine Sensation weil man sich das damals schwer vorstellen konnte, wie es dazu kommt“, sagt Stefan Rahmstorf, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.
Salzgehalt des Meerwassers beeinflusst Golfstrom
Mit der Zeit erkannten die Klimaforscher die Bedeutung des Golfstroms bei diesen Ereignissen: Der Golfstrom wird von Dichteunterschieden des Meerwassers angetrieben. Kaltes Wasser ist dichter als warmes und sinkt im Norden in die Tiefe. Auch der Salzgehalt beeinflusst den Kreislauf: Salzwasser ist dichter als Süßwasser. Fließen am Ende einer Eiszeit große Mengen Schmelzwasser in den Nordatlantik, wird das Meerwasser weniger salzhaltig, also süßer. Süßes Wasser ist leichter und bleibt eher an der Oberfläche – die Zirkulation des Golfstroms wird dadurch gebremst.
Den Klimaschalter umlegen
Rahmstorf und sein Team simulierten zunächst eine Kaltzeit, in der der Golfstrom nur bis nach Island reichte. Europas Heizung war ausgeschaltet. Dann änderten sie am Computer die Salzkonzentration des nördlichen Atlantiks. Und plötzlich sprang die Heizung wieder an.
Der Nordatlantik hat offenbar zwei stabile Zustände. Entweder die Golfstrom-Heizung funktioniert gut. Oder eben nicht. Während der letzten Eiszeit – zwischen 120.000 und 12.000 Jahren vor heute – konnten schon kleine Umweltveränderungen diesen Schalter umlegen.
Rahmstorf vergleicht die Situation mit der bei einem Kajak: „Wenn man sich da ein bisschen zur Seite lehnt dann bleibt zunächst einmal alles stabil, und es bewegt sich nur ein bisschen zur Seite. Aber irgendwo gibt es den Punkt da kippt es plötzlich um und es wird instabil“.
Unsicherheitsfaktor Golfstrom
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung kam vor zwei Jahren zum Ergebnis, dass der Golfstrom jetzt schon am Schwächeln sei: Die von ihm transportierte Wassermenge, habe über die Jahrzehnte schon um 10-20% nachgelassen. Andere Forscher, etwa von der Universität Bremen, können das nicht bestätigen. Letztlich kommt es immer auf die Messung an. Denn die Golfstromintensität schwankt stark. Innerhalb weniger Tage kann die Wassermenge schon mal um den Faktor 9 variieren. und letztlich reichen die Daten noch nicht aus, um da wirklich eine verlässliche Bilanz zu ziehen.
Ungeachtet dessen kamen US-Forscher 2017 zum Ergebnis, dass der Golfstrom in 300 Jahren zum Erliegen kommen könnte, wenn die Treibhausgasemissionen nicht massiv reduziert werden.
SWR 2017