Neue Musik

100 Jahre Luigi Nono: Hören als Mission

Stand
Autor/in
Martina Seeber
Onlinefassung
Dominic Konrad

Am 29. Januar 2024 wäre Luigi Nono 100 Jahre alt geworden. Der 1990 verstorbene Venezianer gehörte zu den großen Vertretern der musikalischen Avantgarde der Nachkriegszeit. Zeitlebens strebte er nach Freiheit, Gerechtigkeit und einer radikalen und vor allem humanistischen neuen Musik.

Der große SWR2 Themenabend zum Nachhören

Erfüllt von der Sehnsucht nach Zukunft

Was war sein Hauptcharakterzug? „Die Sehnsucht nach Zukunft“, gestand Luigi Nono wenige Jahre vor seinem Tod 1990. Und dann noch: „Ich bin manchmal ganz wütend vor Ungeduld“.

Luigi Nono dirigiert die Münchner Philharmoniker (1987)
Luigi Nono experimentierte mit den neuen Möglichkeiten der Elektronik in der Musik. Mit dem Freiburger Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung, heute SWR Experimentalstudio, verband ihn eine langjährige Zusammenarbeit.

Die besondere Kombination aus Wut und Sehnsucht war der stärkste und schier unerschöpfliche Antrieb des Venezianers, der am 29. Januar 1924 in den Faschismus hineingeboren wurde. Zeit seines Lebens trat er unermüdlich für Freiheit und Gerechtigkeit ein, er kämpfte sehr früh gegen koloniale Unterdrückung und glaubte an den Kommunismus.

Nono-Schüler Helmut Lachenmann im Interview

Auf der Suche nach einer radikalen, humanistischen Musik

Als Schüler des Dirigenten Hermann Scherchen war Nono überzeugt von der Notwendigkeit einer neuen, radikalen und vor allem humanistischen Musik. Dazu hat er die damals noch fast unbekannte Alte Musik ebenso intensiv studiert wie das Vermächtnis von Arnold Schönberg und Anton Webern.

Seit seiner Jugend war Nono in intensivem Austausch mit Dichtern wie Giuseppe Ungaretti und Bildenden Künstlern wie Emilio Vedova, später mit experimentellen Theatermachern und zuletzt auch dem Architekten Renzo Piano. So verschrieb er sich konsequent der Gegenwart, auch dann, wenn es für ihn im Kalten Krieg politisch unbequem wurde.

Luigi Nono auf dem Programm des SWR Experimentalstudios (2020):

Im engen Austausch mit Boulez, Stockhausen, Henze und Hartmann

Luigi Nono war 22 Jahre, als Italien von den Faschisten befreit wurde. Binnen kürzester Zeit zählte er zu den wichtigsten Akteuren der europäischen Nachkriegs-Avantgarde und stand in engem Austausch mit Komponisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Hans Werner Henze und Karl Amadeus Hartmann.

Anerkennung bekam er bei den Darmstädter Ferienkursen und durch Uraufführungen in Westdeutschland, vor allem bei den noch jungen Rundfunkanstalten. Für „Il Canto Sospeso“, mit dem er 1956 in Köln seinen internationalen Durchbruch feiert, vertonte er Texte von zum Tode verurteilten Widerstandskämpfern.

Luigi Nono bei den Darmstädter Ferienkursen

In anderen Werken solidarisierte er sich mit dem Kampf gegen den Diktator Franco, wählte Texte des von den Faschisten ermordeten Dichters Federico Garcia Lorca. Nono unterstützte afrikanische und südamerikanische Freiheitsbewegungen und prangerte in seinem Musiktheater „Intolleranza 1960“ auf der Biennale 1961 alle erdenklichen, aber realen Formen von Gewalt, Vertreibung und sozialer Ungerechtigkeit an. Die Uraufführung 1961 in Venedig geriet zu einem Skandal.

Unerschütterlicher Glaube an eine bessere Welt

Nonos Werke enden in der Regel jedoch nicht mit Anklagen oder in Verzweiflung. Bezeichnend für ihn ist ein unerschütterlicher Glaube an eine bessere Welt. Ihren Ausdruck findet diese utopische Dimension vor allem in den entrückten, lichten, oft von Frauenstimmen getragenen Schlusspassagen.

Zugleich ist seine Musik immer radikal und experimentell. Nachdem er sich für die Lyrik Friedrich Hölderlins begeisterte, und das Experimentalstudio der Heinrich Strobel Stiftung in Freiburg (heute SWR Experimentalstudio) kennenlernte, mit dem er in seiner letzten Lebensphase eng zusammenarbeitete, sorgte er 1980 mit seinem nicht mehr anklagenden, sondern fragenden Streichquartett „Fragmente - Stille, An Diotima“ in der Musikwelt für Erstaunen.

Detlef Heusinger (SWR Experimentalstudio) über Nonos „Prometeo“ (2016)

Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht nunmehr das Hören. Nonos Spätwerk ist von der Überzeugung bestimmt, dass es weder in der Musik noch im Leben darum geht, ein Ziel zu erreichen, sondern den Weg dorthin zu gehen. Seine Musik bewegt sich nun scheinbar richtungslos – oft live-elektronisch gesteuert – durch weite Räume.

Das Hören versteht er als politischen Akt. Sein großes, 1984 in Venedig uraufgeführtes Musiktheater „Prometeo“ ist eine „Tragödie des Hörens“. 

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Dominic Konrad