Buchkritik

Gewitzte Sprachspiele und seichte Erbauungslyrik - stille trommeln, Neue Gedichte von Ulla Hahn

Stand
Autor/in
Carsten Otte

Lyrik zum Luftholen. Ulla Hahn schrieb über zwanzig Jahre lang, parallel zu ihrem autobiographischen Prosa-Werk, zahlreiche Gedichte, die jetzt unter dem Titel „stille trommeln“ erscheinen. Hahn greift in ihrer sprachspielerischen Poesie nicht nur die schmerzhafte Erinnerungsarbeit auf, sondern stellt auch religiöse, wissenschaftliche und lebensphilosophische Fragen, die dann mit etwas simpel gestrickter Erbauungslyrik beantwortet werden.

Lyrik ist eine Möglichkeit zum sprachlichen „Atemholen“, sagt Ulla Hahn

Ulla Hahn beschreibt die Arbeit an ihren autobiographisch grundierten Romanen als eine schmerzhafte Erinnerung, in der Persönliches und Gesellschaftliches zur Sprache kommt, in der die Autorin sich zugleich „jung und alt“ fühlt, „unerfahren und erfahren“, als „Ich und Nicht-Ich“.

Die Geschichte der jungen Frau, die mit dem katholischen Elternhaus bricht, sich der Literatur verschreibt und auch an der politischen Revolte der 1960er und 70er Jahre teilnimmt, war ein Ballast, der, wie die Dichterin einmal formulierte, „in Proviant“ umgewandelt werden musste. Dabei scheint ihr die Lyrik geholfen zu haben, auch dem Romanstoff gerecht zu werden, zu dem es nicht zuletzt gehörte, eine Vergewaltigung zu erzählen.

Die Lyrik, sagt Ulla Hahn im Nachwort von „stille trommeln“, sei eine Möglichkeit zum sprachlichen „Atemholen“ gewesen. Die Gedichte wirken tatsächlich wie ein poetischer, manchmal auch therapeutischer Reflexionsraum, in dem die überaus persönliche Prosa noch einmal grundsätzlich befragt wird.

Da liegt es
das stillschweigende Buch
wartend dass ich es
zum Jubeln bringe
Amseln
im Apfelbaum
buchstabenschwarz
zwischen den Blüten
Verheißung
schwarz auf weiß
(Ulla Hahn: stille trommeln)

Ulla Hahn kann mit wenigen Worten sprachspielen

Man könnte meinen, dieser poetische Metatext sei durchweg in Moll-Tönen gehalten, aber das stimmt nicht. Sowohl formal als auch inhaltlich gilt vielmehr: Hahn ist eine Lyrikerin, die mit wenigen Worten sprachspielen kann und oft eine so unerwartete wie bittere Pointe zu setzen weiß.

Einfach was schreiben
Einfach was?
Einfach was Schönes schreiben
Was Schönes einfach schreiben
Einfach einfach schreiben
Einfach schön schreiben
Schön einfach schreiben
Einfach schreiben
Schreib
Schrei
(Ulla Hahn: stille trommeln)

Die graphisch motivierten Absetzungen erinnern an die visuelle Poesie etwa von Ernst Jandl

Solche semantischen Wortspiele, aber auch die graphisch motivierten Absetzungen in Hahns Gedichten erinnern an die konkrete und visuelle Poesie etwa von Ernst Jandl. Ohnehin spielt die Tradition eine wichtige Rolle in Hahns lyrischem Werk, und zwar auch um sich von den Säulenheiligen der eigenen Zunft abzusetzen. Gottfried Benn etwa gedenkt sie im ironischen Tonfall.

Lesen Sie lieber vom alten
Benni nochn Gedicht
Der sagt Ihnen was zu allen
Zeiten immer besticht
(Ulla Hahn: stille trommeln)

Es ist schon erstaunlich, mit welchen Themen und Thesen sich Ulla Hahn in ihren Gedichten befasst: Vom Gendersternchen bis zum Homeoffice, vom Domglockenklang bis zur Wanderlust scheint so gut wie alles abgedeckt zu sein.

Auch ein kalauerndes Sonett gehört zum poetischen Programm

Liebesgedichte und Naturlyrik kommen in dem Band vor. Mit den „stillen Trommeln“ ist nicht nur ein lautloser Schneefall gemeint, sondern eben auch ein poetisches Programm, das von einer gewissen Widersprüchlichkeit geprägt ist, die auch mal im kalauernden Sonett vorgetragen werden kann.

Hab so manches
in petto: dieses
sonetto zum Beispiel Na gut
noch nicht fertig aber bereit breit
zeilig offen für Glut Wut Mut Brut

Freie Auswahl für jede*mann äh
ja auch die Frauen dürfen darauf bauen
dass ich das kann Wie bitte?
Haben Sie denn kein Vertrauen?
(Ulla Hahn: stille trommeln)

Die Albernheit hält nicht lange an, sondern weicht meist schon im nächsten Gedicht einer reimbefreiten Ernsthaftigkeit: Nach Gedichten, die um Trauer und Tod kreisen, versenkt sich Ulla Hahn schließlich noch in ein weiteres Themenfeld.

Der Gegensatz von Wissenschaft und Sprache, überhaupt die Macht der Naturwissenschaften scheint die Autorin umzutreiben.

Rhythmus oder Algorithmus
Gen oder Seele
Alphabet oder Elementarteilchen
Hölderlin oder E=mc²
(Ulla Hahn: stille trommeln)

Die Liaison von Naturwissenschaften und Lyrik ist keineswegs ein neues Phänomen. Im Gegenteil. Ob nun Gene oder Geist, Formelsprache oder Sprachkunst, in der zeitgenössischen Dichtung geht es ständig um diese beiden Sphären, selten aber sind sie – man muss es so deutlich sagen – auf derart banale Weise gegenübergestellt worden.

Ulla Han steuert nur wenig Neues zum poetischen Diskurs mit der Welt der Wissenschaft bei

Ob nun bei Ulrike Draesner oder Durs Grünbein, ob bei Marion Poschmann oder Ulf Stolterfoht, und zuletzt im Gedichtband von Anja Kampmann – wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Fachsprachen und die Bedrohung des Menschen durch eine allzu instrumentelle Vernunft gehören zu den zentralen Motiven vor allem in der neueren deutschsprachigen Lyrik.

Ulla Hahn vermag nur wenig Neues zu diesem poetischen Diskurs mit der Welt der Wissenschaft beizusteuern, zumal sie die Gegensätze in esoterischer Manier zu vereinigen versucht – auch wenn sie an einer Stelle feststellt, sie wolle „keine Predigt halten“:

Irgendwann wird das Wissen des Alls
Zum All-Wissen im
Namen von Logos und Liebe
(Ulla Hahn: stille trommeln)

Neben gewitzten Sprachspielen findet sich auch seichte Erbauungslyrik

„Die Welt hört nicht auf zu beginnen“ lautet die letzte Zeile in diesem Gedichtband, der zum Schluss zu viel Raum für seichte Erbauungslyrik bietet. Vielleicht hätten nicht alle Gedanken und Gedichtversuche, die während der Arbeit zu den Romanen entstanden sind, veröffentlicht werden sollen. Gewitzte Sprachspiele oder klassisch moderne Liebeslyrik liegen dieser Dichterin jedenfalls etwas mehr.

Einer gibt einer
seinen Mund seine Zunge
wandert in ihren Mund hinein und hinaus
im frühen Zwielicht laue Lust
leichthin unter der Decke gehalten
bis
die Frau
ihren Mund ihre Zunge dazugibt
so
dass
zwei Küsse sich küssen: zwei Tiger
die Fragen nach Liebe und Treue
mit ihren Zähnen beantworten
(Ulla Hahn: stille trommeln)

Ein qualitativ äußerst heterogener Band

„Warnung“ heißt das vergleichsweise bildstarke Stück, das aus einem Band heraussticht, der zwar thematisch gegliedert, aber qualitativ äußerst heterogen ist.

Ob die Gedichte eine neue oder andere Lesart von Hahns Prosa ermöglichen, ist schwer zu beurteilen, auch weil eine chronologische Zuordnung fehlt. Vielleicht ist das aber auch nicht nötig, denn den Gedichten mangelt es ja nicht an Deutlichkeit. Vielmehr scheint hier eine Dichterin als Missionarin erkennbar, die allerlei Erkenntnisse über das Leben, aber auch naturwissenschaftliche Formelsprache „fühlbar, sichtbar, hörbar machen“ möchte.

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Carsten Otte