Es ist eine der ganz großen amerikanischen Erzählungen von Freiheit und Gleichheit: Wie die Afroamerikanerin Rosa Parks sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für weiße Fahrgäste zu räumen.
Wie ihre Verhaftung daraufhin die Initialzündung war für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, an deren Ende die politische Gleichstellung aller Amerikanerinnen und Amerikaner stand, unabhängig ihrer Hautfarbe.
Rosa Parks bleibt sitzen
Es ist der 1. Dezember 1955: Die 42-jährige Afroamerikanerin Rosa Parks steigt in den Bus – wie jeden Tag, müde und erschöpft von der Arbeit. Zusammen mit drei weiteren schwarzen Fahrgästen nimmt sie Platz auf einer Sitzbank in der Busmitte.
Als der Bus sich füllt, fordert der Busfahrer sie auf, die Plätze für einen weißen Passagier zu räumen – so verlangt es die Rassentrennung. Die anderen drei Personen kommen der Aufforderung nach. Rosa Parks weigert sich.
1955 ist die Rassentrennung Realität
Die Stadt Montgomery im US-Bundesstaat Alabama sah in den 50er Jahren für den öffentlichen Verkehr Folgendes vor: Die vorderen Sitzreihen waren für Weiße reserviert. Schwarze Fahrgäste durften in der Mitte des Busses Platz nehmen, mussten die Bank aber vollständig räumen, sobald auch nur eine weiße Person dort Platz nahm.
Als Rosa Parks sich weigert, aufzustehen, ruft der Busfahrer umgehend die Polizei. Die nimmt Rosa Parks wegen Störung der öffentlichen Ruhe fest. Vier Tage später, am 5. Dezember 1955, wird sie verurteilt: zehn Dollar Geldstrafe zuzüglich vier Dollar Gerichtskosten.
Schlüsselfiguren des Widerstands: Rosa Parks und Martin Luther King
Die Verurteilung von Rosa Parks erhitzt die Stimmung in der Stadt. Noch am selben Tag formiert sich in Montogomery der Busboykott. Die schwarze Bevölkerung, die 75% der Fahrgäste ausmacht, meidet fortan den Nahverkehr und organisierte sich stattdessen in privaten Taxi-Netzwerken. Ein ganzes Jahr hält der Boykott stand, bis der Oberste Gerichtshof der USA die Rassentrennung im Nahverkehr 1956 schließlich aufhebt.
Initiator des Boykotts ist ein damals noch unbekannter Pfarrer, der neu in der Stadt und politisch engagiert ist. Sein Name: Martin Luther King. Zusammen mit Rosa Parks wird er zur Schlüsselfigur des zivilen Widerstands in Montgomery, der eine nationale Revolution auslösen sollte.
Ehrerbietungen von höchster Stelle
Heute wird Rosa Parks in den USA wie eine Heilige verehrt. Als sie 2005 verstarb, wurde sie als allererste Amerikanerin der Geschichte im Kapitol aufgebahrt – eine außerordentliche Ehrbekundung. Seit 2013 steht sogar eine Statue von ihr im Kapitol in Washington.
Die Amtszeit des ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA hat sie nicht mehr erlebt. Barack Obama erklärte ihren 100. Geburtstag vor zehn Jahren zum nationalen Feiertag. Den originalen Bus, der heute im Henry Ford Museum in Detroit steht, nutzte Obama, um sich symbolträchtig darin abzulichten.
Das ideale Heldinnen-Narrativ
Rosa Parks ist die US-amerikanische Heldin des 20. Jahrhunderts schlechthin. Sie verkörpert ein Narrativ, mit dem sich auch Weiße Amerikaner*innen identifizieren können: Der Wiederherstellung des amerikanischen Traums von Freiheit und Gleichheit.
Das dunkle Kapitel der Rassentrennung: Dank ihr ist es vorüber. Denn der Mut und das Engagement einer einzelnen Person können den Lauf der Geschichte verändern, so die Erzählung. Heute können Afroamerikaner*innen alles sein – sogar Präsident.
Rosa Parks zahlte ihren Preis
Für Rosa Parks ging die Geschichte weniger rosig weiter. Für ihren Protest musste sie hoch zahlen. Sie verlor ihren Job, war viele Jahre lang arbeitslos und verließ schließlich mit ihrem Mann Montgomery, um in Detroit ein neues Leben zu beginnen. Als sie 2005 starb, war sie zwar eine Heldin, aber mittellos.
Dass Rosa Parks zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte eine wichtige Figur war, die großen Mut bewiesen hat, ist unumstritten. Doch täuscht die Mythenbildung der letzten Jahrzehnte über ihre tatsächliche historische Bedeutung für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung als Ganze.
Eine inszenierte Aktion?
Denn Rosa Parks war nicht die erste Person, die sich in Montgomery gegen die Rassentrennung im öffentlichen Verkehr auflehnte. Schon vor ihr hatten sich schwarze Fahrgäste geweigert, ihre Sitzplätze für weiße Fahrgäste zu räumen und wurden dafür verhaftet.
Es gilt als wahrscheinlich, dass gerade ihr Protest derart für Aufsehen sorgte, weil er keine spontane Aktion war, sondern geplant. 1955 war Rosa Parks als ehrenamtliche Sekretärin der einflusreichen Bürgerrechtsorganisation NACCP in Montgomery politisch gut vernetzt.
Gut möglich also, dass man bewusst sie als Märtyrerin inszenierte, um eine schlagkräftige politischen Protestbewegung anzufachen. Zweifellos ist das gelungen.