Nach Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

Politikwissenschaftler Jun über Möglichkeiten der Regierungsbildung

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Michael Lueg
SWR1-Moderator Michael Lueg
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Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen stellt sich die Frage der Regierungsbildung. In Thüringen geht die AfD als stärkste Partei hervor, in Sachsen ist sie auf Platz zwei.

Zuvor hatten alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Welche Konsequenzen die Wahlen haben und wie eine Regierung aussehen könnte, erklärt Prof. Dr. Uwe Jun, Politikwissenschaftler an der Universität Trier.

SWR1: Die Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen wurde total abgestraft. Der rheinland-pfälzische CDU-Landeschef Christian Baldauf spricht von einem Desaster und fordert Bundeskanzler Scholz zum Rücktritt auf. Ist die Ampel endgültig am Ende?

Uwe Jun: So weit würde ich nicht gehen. Sie hat eine weitere Niederlage oder zwei Niederlagen bei Landtagswahlen erlitten. Aber intern scheint mir die Bereitschaft nach wie vor da zu sein, die Koalition fortzusetzen und nun mit neuer Kraft oder dem Willen nach neuer Kraft, der Suche nach neuer Kraft, der Existenzgefahr entgegenzuwirken.

SWR1: Grünen-Chefin Ricarda Lang hat auf die Frage, ob die grüne Migrationspolitik nicht klar gescheitert sei, gesagt: "Nein, ich glaube, das ist nicht das, was die Menschen umgetrieben hat". Und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat gesagt: "Wähler haben Entscheidungen falsch verstanden, die in der Bundespolitik getroffen worden sind". Wo klemmt es bei den Ampelparteien?

Jun: Sie wollen eigene Fehler offenkundig oder zumindest Wahrnehmungen nicht akzeptieren. Beides muss man natürlich kritisch hinterfragen, denn die Wähler sehen nicht nur Kommunikationsprobleme, sondern sie sind auch mit den Antworten der Ampelkoalition nicht einverstanden.

Beides spielt eine Rolle und beides müsste mit selbstkritischem Ton nun hinterfragt werden und die Ampel sollte eben gucken, dass sie sich stärker wieder auf die Wünsche, auf die Politiklösungen der Bürgerinnen und Bürger jedenfalls, die diese präferieren, konzentriert.

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Bei den Landtagswahlen in Thüringen ist die AfD laut Hochrechnungen stärkste Kraft geworden. In Sachsen liegt sie knapp hinter der CDU auf Platz zwei. Der rheinland-pfälzische CDU-Landeschef Baldauf warnte vor Koalitionen mit der AfD.

Jun: Koalitionsbildung in Sachsen und Thüringen wird schwierig

SWR1: Ein SWR1 Hörer schreibt uns heute Morgen: "Dieses Wahlergebnis ist auch eine Chance, Demokratie zu leben. So müssen alle Politiker schauen, was gut für die Bürger ist, und nicht wie bisher einfach ablehnen, weil es von den falschen Parteien kommt, Stichwort Brandmauer". Müssen sich da die etablierten Parteien bewegen?

Jun: Es scheint so, dass die Regierungsbildung und die Koalitionsbildungen nochmal komplexer und schwieriger werden. In der Tat wird es in Thüringen vermutlich höchst komplex und daher ist nun eine neue Antwort gefragt. Daher sind neue Wege gefragt, welche Koalitionen möglich sind, wie man mit den unterschiedlichen Parteien zusammenwirken, zusammenarbeiten kann.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht, das bisher nicht Koalitionspartei gewesen ist, könnte eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die Linke scheint in Thüringen in eine wichtige Position zu kommen. Eine Zusammenarbeit zwischen CDU und Linke wird ja ausgeschlossen. Da muss man gucken, ob das Bestand hält.

SWR1: In Sachsen und Thüringen haben alle Parteien noch einmal ein Bündnis mit der AfD ausgeschlossen. Droht jetzt ein monatelanges Gezerre, Gerangel um die Macht?

Jun: Es wird auf jeden Fall sehr schwierig werden, mehrheitsfähige Koalitionen in beiden Ländern zu bilden, denn Dreier-, möglicherweise sogar Viererkonstellationen könnten entstehen. Das bedarf vieler Kompromisse, das bedarf einer langen Suche nach gemeinsamen Positionen und das wird sicherlich kein einfaches Unterfangen, sondern das wird Zeit in Anspruch nehmen.

Möglichkeit der Minderheitsregierung

SWR1: Könnte es denn auch Ihrer Einschätzung nach passieren, dass es Neuwahlen geben müsste, dass die sich gar nicht einigen können?

Jun: Ich würde dann eher von Minderheitsregierungen ausgehen, falls eine Einigung nicht zustande kommt. Dass also Minderheitsregierung dann gebildet werden müssen und dass diese Minderheitsregierungen dann eben die Möglichkeiten sehen, die sich einer solchen Formation bietet.

Denn es wäre wohl so, dass bei Neuwahlen die AfD wieder profitieren könnte, denn sie würde dann mit dem Argument kommen, ohne sie geht es nicht und das könnte ihr dann wieder neuen Aufwind verleihen.

Sind die Ergebnisse ein "Alarmzeichen für die Demokratie"?

SWR1: Auch international wird über das Wahlergebnis diskutiert. Die "New York Times" beispielsweise spricht heute Morgen von einem Alarmzeichen für die deutsche Demokratie. Wie sehen Sie das?

Jun: Wir sehen deutlich die schon seit vielen Jahren zu verzeichnende Tendenz einer Abkehr von den traditionellen Parteien, von den Parteien der politischen Mitte, die seit Jahrzehnten den politischen Kurs in Deutschland bestimmen.

Die Stabilität der Parteiendemokratie in Deutschland ist damit in Gefahr.

Wir sehen eine starke Zunahme von neuen Parteien, von Parteien, die sich als Protestparteien zunächst generiert haben, auch immer noch partiell so wahrgenommen werden. Und von Parteien, die eher die radikalen Ränder repräsentieren. In der Tat kann man sagen, die Stabilität der Parteiendemokratie in Deutschland ist damit in Gefahr. Und dieser langfristige Trend, das schaffen die anderen Parteien nicht, den zu stoppen.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.

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