Nachdem die neue Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye am späten Freitag Abend auf der Pressekonferenz die Medienrunde noch als Gospelsängerin verzückt hatte, fand sie emotionale Worte. Die Kugelstoßerin von der MTG Mannheim berichtete von berührenden Nachrichten ihres Bruders und einer guten Freundin, die "wie eine große Schwester ist". Deren Kinder hatten während des Wettkampfs mitgefiebert. "Als ich gesehen habe, dass die Kleinen mich angefeuert haben und so begeistert waren, wusste ich, dass diese Medaille auch für die kommende Generation ist und sie ermutigen soll, an ihren Träumen festzuhalten. Egal, was auf dem Weg kommt", sagte die 25-Jährige. "Man kann Berge versetzen, wenn man den Glauben hat."
Im Interview mit SWR Sport schilderte sie am Samstag noch einmal eindrücklich die Sekunden vor ihrem finalen Versuch im Ring. "Ich bin noch einmal in mich gegangen und habe gebetet. Ich habe plötzlich eine unglaubliche Ruhe verspürt, die einfach nicht von dieser Welt war. Mit dieser Ruhe und Leichtigkeit konnte ich dann diesen Stoß abrufen. Als die Kugel dann bei 20 Metern landete, war ich einfach nur fassungslos."
"Herz erfüllt mit Dankbarkeit"
Ogunleye, die bei der Pressekonferenz nach der Goldmedaille tief unten im Stade de France der Bitte nachkam, ihr Gesangstalent zu demonstrieren, ist Christin und tief gläubig. Das brachte sie auch mit dem Gospelsong zum Ausdruck, in dem sie Gott dankte. Es war das Lied, das sie nach eigenen Angaben während des beeindruckenden Wettkampfs gesungen hatte. "Mein Herz ist einfach nur erfüllt mit Dankbarkeit", sagte die Olympiasiegerin. Nach dem Gold-Coup war sie in die Kurve gerannt und hatte mit Familie und Trainerin gefeiert. "Meine Familie hat in der ersten Reihe gesessen. Dass sie den Moment miterlebt hat, war einfach unglaublich", schilderte sie die bewegenden Augenblicke mit ihren Liebsten, "alle habe ich erst mal in den Arm genommen und mit ihnen gemeinsam geweint. Einfach Tränen der Freude."
Historisches Gold nach 28 Jahren
Gold für Deutschland im Kugelstoßen - das hatte es seit Astrid Kumbernuss 1996 nicht mehr gegeben. Ogunleye ist die fünfte deutsche Frau, der der Olympiasieg in dieser Leichtathletik-Disziplin gelingt. "Das war völlig irre. Ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen", sagte Kumbernuss. Ogunleyes Mannheimer Trainerin Iris Manke Reimers ergänzte: "Weltmeisterschaften gehen irgendwann aus dem Kopf, aber ein Olympiasieg bleibt für immer. Wir haben einen harten Weg zusammen zurückgelegt – aber es hat sich richtig gelohnt."
Ogunleye begann als Turnerin, wurde dann aber zu groß. Nach dem Wechsel in den Mehrkampf verletzte sie sich schwer am Knie, man sah in ihr das Potenzial, eine gute Kugelstoßerin zu werden. Mit 14 Jahren kam sie an Krücken zu Manke-Reimers. Es dauerte lange, bis sie wieder eine Hallenrunde traben konnte. Später riss ihr das zweite Mal das Kreuzband. Doch Ogunleye überwand alle Widerstände. Auch dank ihres Glaubens.
Glaube und "dunkle Gedanken"
Den Weg dahin fand sie nicht auf Anhieb. Als junges Mädchen sei sie mit in die Kirche "geschleppt" worden, berichtete sie am Morgen nach ihrem Gold-Coup. Einst war sie Mobbing-Opfer, ihr wurde in Schule oder Kindergarten gesagt, sie könne nichts und werde nichts schaffen, berichtete sie mehrfach. In Zeiten von "dunklen Gedanken" und schwierigen Phasen begann ihre "Glaubensreise". "Es war wie eine stille Stimme, die durch die dunklen Gedanken gesprochen hat", sagte die 25-Jährige. Sie hoffe, Menschen Hoffnung und Freude geben zu können.
Ogunleye erlebte schon Rassismus gegen sie, auch hier half der Glaube. Ihr Vater stammt aus Nigeria, ihre Mutter ist Deutsche. Sie selbst ist in Deutschland geboren, kommt aus Bellheim in der Pfalz. Sie ist "stolz, ein Mischling zu sein", wie sie nach Platz zwei bei der Hallen-WM in diesem Jahr sagte. EM-Bronze kam im Juni in Rom dazu. "Sie hat in diesem Jahr einen kompletten Medaillensatz gewonnen. Das ist unglaublich", sagte die Trainerin.
Yemisi Ogunleye: "Gott, du hast es echt einfach getan"
Vor dem finalen Versuch, bei dem sie die Siegesweite von 20,00 Metern stieß, wandte sich die gläubige Leichtathletin an Gott. "Ich stand im Ring und wusste, das wird jetzt passieren. Und habe einfach gesagt: Gott, geh du mit mir in den Ring und gib mir die Kraft und den nötigen Mut", sagte Ogunleye. "Als ich dann gesehen habe, dass die Kugel auf der 20-Meter-Linie gelandet ist, das war einfach ein Moment, in dem ich so schockiert war. Gott, du hast es echt einfach getan."