SWR Sport: Armin Veh, das Personalkarussell des VfB Stuttgart dreht sich in atemberaubendem Tempo. Anton, Ito, Guirassy, Führich oder Undav - etliche Leistungsträger haben den Verein verlassen bzw. sind auf dem Sprung. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Veh: Es ist doch klar, dass nach dieser überragenden Saison des VfB, der neben Leverkusen den besten Fußball in Deutschland gespielt hat, Begehrlichkeiten geweckt werden. Dann kommen Anfragen für die Topspieler. Der VfB kommt, nach seinem Fast-Abstieg in der Vorsaison, aus keiner komfortablen Situation. Da musst du in den Spielerverträgen auch Ausstiegsklauseln akzeptieren, sonst unterschreibt der Spieler den Vertrag nicht. Jetzt, als Champions-League-Teilnehmer mit Zusatzeinnahmen, kannst du vielleicht Verträge aufsetzen, in denen weniger solcher Klauseln enthalten sind.
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Das hatte sich alle Beteiligten anders vorgestellt. Während seine vermeintlich neuen Dortmunder Kollegen am Donnerstag ins Teamtraining einsteigen, kehrt Serhou Guirassy zurück nach Stuttgart.
Müssen sich die VfB-Fans angesichts des drohenden Ausverkaufs Sorgen machen?
Veh: Nein. Wir haben in der vergangenen Saison erlebt, dass Leistungsträger wie Endo oder Mavropanos gegangen sind. Aber das hat man durch Neuzugänge oder durch vorhandene Profis, die ihre Leistung steigern konnten, mehr als kompensieren können. Der VfB hat die damalige schwierige Situation super gemeistert. In diesem Jahr wiegen die Abgänge von Ito, Anton, Guirassy und Co. natürlich wieder schwer. Da hoffe ich auf ein ähnlich glückliches Händchen der Verantwortlichen.
Union Berlin könnte ein warnendes Beispiel sein. Das Team qualifizierte sich, wie jetzt der VfB, völlig überraschend für die Champions League, stieg dann aber in der vergangenen Bundesliga-Saison fast ab. Könnte dem VfB ein ähnliches Szenario drohen?
Veh: Nein, das glaube ich nicht. Die Mannschaft hat trotz der Abgänge weiterhin viel Substanz. Das Team ist eine Einheit geworden. Diese Einheit wird nicht zerbrechen. Die Mannschaft ist jung und noch nicht am Ende ihrer Leistungsfähigkeit. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der VfB den Union-Weg nicht gehen muss.
Sie haben viele Jahre als Trainer gearbeitet, darunter zwei Mal beim VfB Stuttgart (2006-2008 und 2014). Was geht aktuell im Kopf von VfB-Cheftrainer Sebastian Hoeneß angesichts des personellen Aderlasses vor?
Sebastian Hoeneß und Sportvorstand Fabian Wohlgemuth arbeiten eng zusammen. Also wusste der Trainer, dass die Spieler in ihren Verträgen diese Ausstiegsklauseln haben, durch die sie den Verein verlassen können. Er war sicherlich nicht so blauäugig zu glauben, dass alle Spieler bleiben. Dass allerdings Ito und Anton, die hervorragend harmoniert haben, gehen, ist natürlich nicht schön für den Trainer. Aber grundätzlich war der VfB sicherlich vorbereitet.
Sie waren beim 1. FC Köln als Geschäftsführer Sport tätig, kennen also auch diese Seite im Fußball-Geschäft. Wie sehr ist VfB-Sportvorstand Fabian Wohlgemuth in der aktuellen Situation gefordert?
Es wäre klasse, wenn ihm eine ähnlich gute Personalpolitik gelänge wie in der vergangenen Saison. Am Ende ist es wie ein Puzzle, wenn du eine Mannschaft zusammenstellst. Es muss ja nicht nur sportlich, sondern auch zwischenmenschlich passen. Mit Sebastian Hoeneß hat der VfB einen überragenden Trainer in jeglicher Hinsicht. Ich traue Wohlgemuth und Hoeneß zu, dass sie gemeinsam ein gutes Team zusammenstellen werden.
Welche Puzzleteile fehlen noch beim VfB?
Das ist insgesamt schon eine knifflige Situation, vor allem, was die Offensive angeht. Wenn du einen Guirassy und vielleicht auch Undav verlierst, musst du natürlich reagieren. Obwohl ich glaube, dass Undav in Stuttgart bleibt. Dann musst du eben für Guirassy noch einen guten Mann holen. Man muss natürlich auch noch abwarten, was mit Führich oder auch Millot wird. Aber mit Nübel, Karazor und Stiller bleiben auf jeden Fall wichtige Leistungsträger. Ich bin sicher, dass der VfB trotz Dreifach-Belastung in der kommenden Saison eine gute Rolle spielen wird.
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Würden Sie Chris Führich zu einem Wechsel zu den Bayern raten?
Nein, auf keinen Fall. Die Bayern haben jetzt grad Michael Olise verpflichtet. Ich glaube nicht, dass Führich in München die Rolle spielen könnte, die er beim VfB spielt. Er passt hervorragend nach Stuttgart. Ich würde ihm raten zu bleiben. Er ist beim VfB gut aufgehoben.
Die VfB-Fans sind über die Art und Weise des Weggangs von Kapitän Waldemar Anton erzürnt. Wie beurteilen Sie seinen Transfer zu Borussia Dortmund?
Ich kann natürlich den Frust der VfB-Fans nachvollziehen. Er war Kapitän und hat sich häufiger öffentlich mit einem Bekenntnis zum Verein geäußert. Sein Weggang ist schade für den VfB. Anton hatte sich super entwickelt, er war der absolute Chef der Abwehr. Aber wenn du ein solches Angebot aus Dortmund bekommst, dann kannst du da normalerweise nicht widerstehen. Allerdings sollte er auch überlegen, ob er künftig noch solche Aussagen macht, die er dann später nicht halten kann. Aber es sind junge Leute. Da muss man auch etwas gnädig sein. Ich wünsche ihm, dass er auch in Dortmund sportlich erfolgreich ist. Denn Geld allein macht nicht glücklich.
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Vor einigen Monaten gab es ein Gespräch zwischen Ihnen und dem VfB-Aufsichtsrat. Wann werden Sie Mitglied dieses Gremiums?
Es stimmt, wir haben vor einiger Zeit ein Gespräch geführt. Aber seitdem haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Ich denke, wir werden wieder sprechen. Jetzt ist es aber erst einmal wichtiger, dass der Kader gut zusammengestellt wird. Die Mannschaft ist immer das Wichtigste.