Eva-Maria ist Trainerin für sensomotorische Integration. Sie steht in der Innenstadt von Nagold und lacht in die Kamera.

Weniger Schul- und Alltagsstress: Eva-Maria geht an Schulen und fördert die Resilienz von Kindern

Stand
Autor/in
Corinna Jähn
Porträt Corinna Jähn.

Eva-Maria aus Neubulach geht an Schulen und bietet für Kinder Resilienz-Training an. Kindern lernen dadurch mit Krisen, Stress und schwierigen Lebenssituationen umzugehen. 

Du hast eigentlich alles, was du brauchst. Du musst nur loslegen und dich nicht einschüchtern lassen.

Traumatische Erlebnisse in der Schulzeit 

Eva-Maria zieht mit ihren Eltern und ihren 3 Brüdern im Alter von 5 Jahren von Schlesien nach Deutschland. In ihrer Schulzeit hat sie Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. In der Grundschule wird sie beim Vorlesen von ihrer Klasse ausgelacht – die Lehrkraft greift nicht ein. „Ich erinnere mich daran, dass wir nacheinander Passagen lesen mussten. Ich weiß, dass ich statt Tischdecke ‚Fischdecke’ gelesen habe. Weil das auch ein Problem von mir war, dass ich Buchstaben vertauscht habe. Und für mich war das ganz schlimm, weil dann natürlich alle gelacht haben. Ich wurde gezwungen, unter Tränen weiterzulesen. Ich habe es in der weiterführenden Schule bewusst gemieden, vor anderen zu lesen. Ich kann sehr gut zeichnen. Wenn Gruppenarbeiten angesagt waren, war ich diejenige, die sofort gesagt hat: Ich möchte zeichnen.” 

Die heute 40-Jährige erinnert sich: „Dieses Vorführen fand ich für mich persönlich unheimlich schwer. Da hätte ich mir als Kind gewünscht, dass jemand meine Situation wahrgenommen hätte. Dann hätte man schauen können: Was hilft mir? Eine Lese- und Rechtschreibschwäche wurde nie diagnostiziert. Mir wurde von einer Bekannten meiner Mutter nachgesagt, ich hätte ADS. Meiner Mutter wurde angeraten, mir Medikamente zu geben. Aber ich bin auf dem Land groß geworden mit 3 Brüdern. Da ist man halt nicht unbedingt das ‚typische Mädchen.’” 

Planlos nach der Schule? Eva-Marias Berufsorientierung nach der Hauptschule 

Nach der Hauptschule fehlt Eva-Maria die Motivation weiterzumachen: „Ich hatte immer diesen Stempel ‚Hauptschule’. Irgendwann arrangierst du dich damit. Meine Mutter hat gesagt: Du machst aber nicht nichts. Dann habe ich ein Berufsvorbereitungsjahr gemacht und der Groschen ist gefallen.” Sie macht ihren Realschulabschluss, eine Ausbildung zur Erzieherin, anschließend die Fachwirtqualifikation und leitet eine Kita. „Es haben dann andere Sachen gezählt. Mit der Erzieherausbildung kam auch viel Bestätigung. Mir wurde immer gesagt: Du hast ein Feeling für die Kinder. Du hast eine Gabe, nutze sie doch!” 

Achtsamkeit im Alltag: Resilienz-Training für Kinder 

Viele Leute haben einfach mehr Ängste durch verschiedene Krisen. Es ist für mich wichtig, bei den Kindern anzufangen. Wir brauchen Kinder, die miteinander kommunizieren können.  

Eva-Maria arbeitet fast 20 Jahre als Erzieherin. Doch 2016 orientiert sie sich neu: Sie macht eine Ausbildung zur Trainerin für sensomotorische Integration. Ein Jahr später hört sie auf, als Erzieherin zu arbeiten und macht sich selbstständig. In ihrem neuen Arbeitsalltag ist Resilienz-Training an Schulen für Kinder ein fester Bestandteil. Die Ausbildung sei kein geschützter Beruf, erklärt Eva-Maria. „Dadurch ist es schwierig für mich, da zu überzeugen.” Dennoch wird sie über eine Krankenkasse für 10-wöchiges Resilienz-Training von Schulen gebucht: „Wie es der Zufall will, wurde ich von einer Krankenkasse angesprochen, weil sie über einen Zeitungsartikel auf mich aufmerksam geworden ist. Wir haben uns persönlich kennengelernt. Und das, was ich inhaltlich an Expertise mitbringe, hat der Krankenkasse zugesagt.” 

Die Kunst einen Drachen zu reiten: Was bedeutet Resilienz? 

Eva-Maria erklärt: „Es gibt unterschiedliche Definitionen. Für mich heißt Resilienz: eine innerliche Stärke aufbauen und sich nicht irritieren lassen. Egal, was außerhalb passiert oder welche Krisen man erlebt. Sobald sich ein Kind damit auseinandersetzt, habe ich immer das Gefühl, wächst es innerlich. Es ist schwierig, solche großen Wörter den Kindern bildhaft darzustellen. Ich habe sinnbildlich den Drachen für verschiedene Krisen genommen. Ich habe gesagt: Stellt euch mal vor, da kommt so ein riesiger Drache, der speit Feuer. Wie ist das im Alltag? Wie fühlen wir uns, wenn da so ein Drache auf uns zukommt? Sie haben dann verstanden: Es geht nicht um den echten Drachen, sondern eher um Themen, die sie beschäftigen. Über die vielleicht noch keiner mit ihnen gesprochen hat. Die Krisen werden immer da sein. Wir können die Drachen nicht alle eliminieren oder besänftigen. Aber wir können damit lernen umzugehen. Und dann ist wichtig: Wir müssen bei uns selbst anfangen.” 

Man muss früher anfangen, den Kindern zu vermitteln: Du kannst immer eine Lösung finden. Du musst nicht Opfer deiner Ausgangslage sein.

Kinder fördern: Projekt in der Burgschule in Nagold 

Seit 3 Jahren besucht sie unter anderem die Burgschule in Nagold. Sie ist ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Lernen (SBBZ). Eva-Maria erzählt: „Ich hatte als Kind einen Stempel. Die Kinder heute erleben das auch hin und wieder. Dass wenn sie sich mitteilen und sagen: Ich gehe auf die Burgschule oder die Entscheidung fällt, dass sie auf die Burgschule müssen. Das ist für die Eltern unter Umständen ein Thema. Aber für die Kinder ist es auch kein schönes Gefühl. Man wird immer gleichgestellt mit jemand, der nichts kann, der unter Umständen vielleicht auch das Wort ‚dumm' benutzt. Hier kann ich noch etwas bewegen, hier kann ich mitarbeiten. Hier wird mir der Raum gegeben, frei zu arbeiten. Die Kinder haben das immer super dankend angenommen. Ich mache jetzt das, was ich mir selbst als Kind gewünscht hätte: dass jemand da ist, der mich unterstützt.” 

Wir brauchen Kinder, die miteinander Probleme angehen können und nicht das Problem werden.

Mentale Gesundheit: „Wenn man etwas bewegen möchte, muss man selbst in Bewegung kommen.”

Der Schwerpunkt von Eva-Marias Arbeit ist immer Bewegung, erklärt sie. „Gerade für unsere Kinder sollten solche Sozialprojekte viel mehr in Schulen oder in Kitas angeboten werden, denn die Kinder können sich selbst nicht unbedingt helfen. Sie brauchen uns immer noch als Wegbegleiter. Ich finde es toll, wenn man mit einfachen Mitteln die Kinder erreicht. Und sie das Gefühl haben: Da ist jemand, der nimmt mich so an, wie ich bin und hilft mir unter Umständen noch.”

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