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Demenzerkrankung

Keine EU-Zulassung von Alzheimer-Medikament Lecanemab

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Autor/in
Veronika Simon
Portraitbild von Veronika Simon, Multimedia-Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell
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Leila Boucheligua

Unerwartet hat die Arzneimittelbehörde EMA eine EU-Zulassung des Alzheimer-Medikaments Lecanemab abgelehnt. Lange galt das Mittel als Hoffnung, zumindest die Auswirkungen der Demenz-Krankheit zu verlangsamen. Doch die EMA schätzt das Risiko schwerer Nebenwirkungen höher ein sei als die erwartete Wirkung.

Das Medikament Lecanemab – in den USA schon zugelassen – bekommt in Europa überraschend keine Zulassung. Das hat die europäische Arzneimittelagentur EMA mitgeteilt.

Abwägung von Risiken und Nutzen

Die EMA muss bei der Zulassung eines Medikaments abwägen, ob es mehr nutzt als schadet. Das ist in diesem Fall eine schwierige Angelegenheit. Denn der Effekt, den man bei Betroffenen beobachten konnte, war nicht sehr groß.

Er war messbar, aber manche Fachleute haben bezweifelt, dass die einzelnen Patientinnen und Patienten den Unterschied überhaupt bemerken würden. Der Krankheitsfortschritt verzögerte sich zwar, aber in der Regel nur um ein paar Monate. Das perfekte Mittel gegen Alzheimer ist Lecanemab also nicht. 

Gleichzeitig hat man durchaus Nebenwirkungen gefunden, dazu gehören Schwellungen und Blutungen im Gehirn. Bei den meisten Probanden war das nicht so schlimm, aber in seltenen Fällen gab es auch größere Blutungen im Gehirn, deshalb müssen Patienten, die das Mittel erhalten haben, engmaschig mit Hirnscans überwacht werden.  

Der zuständige Ausschuss der EMA hat den Effekt des Mittels im Vergleich zu den Nebenwirkungen letztlich für zu klein befunden.  

 Ablehnung der EU-Zulassung kam überraschend

Die Pharmazeutische Zeitung kommentiert die Entscheidung mit den Worten „Abgelehnt aus gutem Grund“. Doch in Fachkreisen gibt es durchaus auch überraschte Stimmen, denn die entsprechende Behörde in den USA, die FDA, hatte die gleichen Daten vorliegen und hat das Mittel auf deren Basis zugelassen.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie bedauert die Entscheidung der EMA. Sie wissen zwar auch, dass das Mittel kein perfektes Medikament gegen Alzheimer wäre, aber sie meinen, dass durchaus ein Teil der Betroffenen davon hätte profitieren können und dass es für die Forschung sehr interessant gewesen wäre, zu sehen, welche Erfahrungen man mit den Mitteln macht.

Auch Verständnis für die Entscheidung der EMA

Andere Stimmen können die Entscheidung gut verstehen. Ivan Koychev von der Universität Oxford sagt zum Beispiel, dass man daran gut erkennen könne, wie komplex solche Abwägungen von Zulassungsbehörden seien.

Eine Zulassung wäre zwar ein positives Signal für weitere Innovationen in der Demenzforschung gewesen, aber zum einen wäre das Mittel sehr teuer gewesen, und zum anderen seien Nutzen und Risiko nicht in einem klar positiven Verhältnis.  

Eine Alternative gibt es aktuell nicht. Bisherige Medikamente lindern vor allem die Begleiterscheinungen der Demenz, greifen aber nicht direkt in den Krankheitsverlauf ein. Ein weiterer Antikörper wartet aktuell auf eine Zulassung, also auf eine entsprechende Entscheidung.  

Da Lecanemab in den USA zugelassen ist, ist es möglich, in die USA zu reisen, um sich dort behandeln zu lassen. Das kritisiert auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Sie fürchtet, dass sich eine Zweiklassenmedizin bilden könne: Wer es sich leisten kann, holt sich das Medikament in den USA, die anderen haben keinen Zugang. 

Auswirkungen der EMA-Entscheidung

Die Ablehnung der Zulassung bedeutet nicht, das Lecanemab abgeschrieben ist. Es ist gut möglich, dass die Hersteller jetzt weitere Daten sammeln, zum Beispiel von den Patienten aus den USA und dann einen weiteren Versuch für eine Zulassung starten. 

Tara Spires-Jones, Präsidentin der brittischen Neuroscience Association, sieht darin auch einen Ansporn: Lecanemab sei ein Schritt in die richtige Richtung  gewesen, jetzt müsse man die Anstrengungen verstärken, um neue und sicherere Behandlungsmethoden zu finden.

Das würde aktuell auch passieren – viele Forschende auf der ganzen Welt würden sich der Behandlung von Alzheimer aus verschiedenen Blickwinkeln widmend. Laut Spires-Jones sei die Entscheidung der EMA für viele Fachleute zwar eine Enttäuschung, doch es gebe immer noch einen Grund zur Hoffnung für eine zukünftige Behandlung von Alzheimer. Ein Rückschlag ja, aber noch nicht das Ende im Kampf gegen Alzheimer.  

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