In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz wie Alzheimer. | Illustration - Mann mit Wolken um den Kopf puzzelt

Gegen das Vergessen

Demenz durch Prävention verhindern? Neue Risikofaktoren identifiziert

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Autor/in
Veronika Simon
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Lilly Zerbst
Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst.

In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz wie Alzheimer. Welche Verhaltensweisen und äußere Umstände beeinflussen das Risiko, an einer Demenz zu erkranken?

Die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, kann beeinflusst werden. Eine Fach-Kommission hat jetzt eine Liste mit 14 Risikofaktoren im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht. Im Vergleich zu früheren Arbeiten wurden dabei zwei neue Faktoren identifiziert, die das Risiko an einer Demenz zu erkranken, erhöhen.

Soziale Isolation fördert Demenz

Ein Risikofaktor ist das Sehen: Der Verlust der Sehkraft stellt ein Risiko für die Entstehung einer Demenz dar, so die Studienautoren und -autorinnen.  „Es ist schon länger bekannt, dass der Verlust des Hörens ein Risiko darstellt“, sagt Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Rostock.

Die Folge sei beim Verlust des Sehens und des Hörens oft, dass Betroffene sich zurückzögen und sozial isolierten. Das habe einen Effekt auf die Hirn-Gesundheit.

„Aber wir können in Studien sehen, dass beispielsweise die Versorgung mit Hörgeräten ermutigende Effekte hat: Wenn man wieder hört, was andere sagen und man sich unterhalten kann, gibt das den Menschen die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe. Und das spielt eine wesentliche Rolle, auch für den Schutz vor einer Demenzerkrankung“, so Teipel.

Soziale Teilhabe bis ins hohe Alter kann das Risiko einer Demenz senken | Alte Frau feiert mit Enkelin Geburtstag
Soziale Teilhabe bis ins hohe Alter kann das Risiko einer Demenz senken.

Hoher Cholesterinspiegel ist einer der Risikofaktoren für Demenz

Ein weiterer Risikofaktor, der neu in die Liste aufgenommen wurde, ist der sogenannte LDL-Cholesterinwert. Dabei handelt es sich um einen Blutfettwert:  Ist dieser dauerhaft zu hoch, können sich Ablagerungen in den Gefäßen bilden. Das kann zu Durchblutungsstörungen führen. In einem Gehirn, das bereits erste Alzheimer-Vorstufen aufweist, können dadurch die Symptome deutlich früher auftreten.

Generell brauche das Gehirn Fett, damit die Nervenzellen gut miteinander kommunizieren könnten, so der Demenzforscher Teipel. Wenn der Fettstoffwechsel gestört sei, gebe es auch hier Probleme.

Viele Fälle von Demenz könnten verhindert werden

Viele der insgesamt 14 Risikofaktoren für eine Demenzerkrankung können beeinflusst werden - unter anderem der Cholesterinwert. So berechnen die Fachleute: Wenn alle Risikofaktoren vollständig beseitigt würden, dann könnten 45 Prozent der Demenzfälle weltweit verhindert werden.

Fast die Hälfte aller Fälle - diesen Wert hält Stefan Teipel für etwas plakativ: "Diese 45 Prozent sind der sehr optimistische Oberrand des Effekts, den man erwarten kann. Ein realer Effekt liegt sicherlich darunter“, so Teipel.

Auch Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health am Universitätsklinikum Leipzig, gibt zu bedenken: „Diese Zahlen beziehen sich auf eine vollständige Eliminierung dieser Risikofaktoren.“ Das wäre zwar wünschenswert, aber wenig realistisch. „Doch auch schon eine Reduktion der Risikofaktoren auf Bevölkerungsebene im realistischen Ausmaß hätte große Wirkung“, so Riedel-Heller. Der entscheidende Punkt sei aber die Botschaft dieser Modellrechnungen: „Demenzprävention ist möglich!

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Alzheimer vorbeugen: Was gut für das Herz ist, ist auch gut für das Gehirn

Bei der Demenzprävention könne man sich die Bemühungen um die Herzgesundheit zum Vorbild nehmen, so der Demenzexperte Teipel. Hier sei bereits viel getan worden, um die Bevölkerung regelmäßig zu screenen und zu sensibilisieren. Bei Prävention gehe es viel um Motivation. „Was gut ist für die Herzgesundheit, ist auch für die Hirngesundheit gut. Es lohnt sich also doppelt, in Prävention zu investieren“, so Teipel.

Jeder und jede einzelne könne sich um seine Hirngesundheit kümmern: Nur wenig Alkohol konsumieren, insgesamt würden eine gesunde, maßvolle Ernährung und regelmäßige Bewegung einen Effekt zeigen.

Dazu kämen spezifische Maßnahmen: „Für Menschen im mittleren Alter, die sich vor Demenz schützen wollen, ist es besonders wichtig, sich mit Hörgeräten zu versorgen, wenn das Hören schlechter wird. Außerdem sollte hoher Blutdruck frühzeitig behandelt werden, nicht erst bei 65-Jährigen“, so Teipel.

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Außerdem sei es sehr relevant für die Hirngesundheit, weiter am Leben teilzunehmen, sich für Dinge zu interessieren, sagt Teipel. "Auch im Alter noch offen sein gegenüber neuen Dingen - also reisen, tanzen. Dass das etwas bringt, dafür gibt es mittlerweile gute Daten.“

Mit einer immer älter werdenden Bevölkerung würden zwar auch immer mehr Menschen an einer Demenz erkranken. „Wichtig ist aber die Botschaft, dass man etwas tun kann. Wir sind dieser Demenz-Pandemie nicht gänzlich hilflos ausgeliefert.“

Forderung nach mehr Aufklärungsarbeit zu Risikofaktoren von Demenz

Wichtig seien aber auch politische Bemühungen. Dabei gehe es zum einen darum, weltweit für ausreichend Bildung und zum Beispiel saubere Luft zu sorgen. „Und wir brauchen in Deutschland endlich eine Brain Health Agenda, um dieses Wissen zu den Risikofaktoren an die Menschen und insbesondere auch an die Entscheider in Politik und Gesellschaft zu bringen. Diese Forderung steht schon länger im Raum“, erklärt die Sozialmedizinerin Riedel-Heller.

Die ersten Effekte würde man bereits heute sehen, so Teipel: Das Demenzrisiko bei 65-jährigen sei heute um 3,5 Prozent niedriger als noch vor 10 Jahren. Und mit gezielten Präventionsmaßnahmen könne dieser Wert weiter gesteigert werden, ergänzt Riedel-Heller vom Universitätsklinikum Leipzig: „Deutsche Forscher haben gezeigt, wie viel weniger Demenzfälle es in Deutschland geben würde, könnten die Risikofaktoren für Demenz bis 2033 nur um 15 Prozent reduziert werden – das sind 138.000 Demenzfälle weniger.“ Hinter jedem Demenzfall stünde ein Schicksal: Für den Betroffenen, für seine Angehörigen und für die Solidargemeinschaft im Hinblick auf die Krankheitskosten.

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