Keiner will Windräder vor seiner Haustür
Bis 2050 soll Deutschland mindestens 80 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Energien produzieren, und zentral hierbei wird der weitere Ausbau der Windkraft sein. Doch während die meisten Menschen die Energiewende befürworten, werden immer weniger Windparks genehmigt. Denn immer mehr Bürgerinitiativen kämpfen gegen die riesigen Windmühlen vor der eigenen Haustür.
Vertikale Windkraftanlagen könnten die Alternative sein
Eine Alternative könnten hier so genannte vertikale Windkraftanlagen sein, die sich um die eigene Achse drehen und nicht horizontal wie konventionelle Anlagen. Ein Schweizer Startup hat jetzt erstmalig eine solche vertikale Windkraftanlage im großen Maßstab gebaut und testet den Prototypen in Nordrhein-Westfalen.
Am Stadtrand von Grevenbroich, eine halbe Autostunde nordwestlich von Köln, steht inmitten von herkömmlichen Windrädern der Prototyp von "Vertical Sky"®. Er sieht aus wie ein etwas überdimensionierter Mobilfunkmast.
Rotoren drehen vertikal statt horizontal
"Vertical Sky"® ist von dem Schweizer Patrick Richter entwickelt worden. Sein StartUp Agile Wind Power AG möchte die vertikalen Windräder vermarkten.
Technik bisher nur bei kleineren Anlagen eingesetzt
Die Rotorblätter drehen sich senkrecht gestellt wie große Antennen eines Mobilfunkmastes um die Turmachse. Die Technik ist nicht neu: Solche vertikalen Anlagen gibt es schon lange, allerdings im viel kleineren Maßstab, auf Hausdächern etwa. Das Problem bisher: Im größeren Maßstab wirken zu starke Fliehkräfte auf Lager und Rotoren, das Material ermüdet schnell und bricht am Ende.
Rotorblätter werden immer wieder optimal in den Wind gestellt
Richter hat mit seinem Ingenieur-Team zehn Jahre daran getüftelt und ein intelligentes Steuerungssystem entwickelt, das Materialermüdung verhindern soll. Jedes der drei senkrecht im Wind stehenden Rotorblätter wird dabei permanent und individuell „gepitcht“, das heißt optimal in den Wind gestellt. Dieses Justieren geschieht ständig und ermöglicht es, auch vertikale Anlagen im großen Maßstab zu bauen.
Weniger Lärm durch vertikale Drehachse
Die Pilotanlage im nordrhein-westfälischen Grevenbroich ist 105 Meter hoch und hat eine Nennleistung von 750 Kilowatt. Dabei verursacht sie deutlich weniger Lärm als herkömmliche Windräder. Sie sind nach Angaben des Unternehmens sogar dreimal leiser:
Hoffnung auf Akzeptanz durch Anwohner
Gerade wegen des Faktors Lärm wurden in den vergangenen Jahren deutlich weniger Windkraftanlagen gebaut als eigentlich geplant. In Bayern wurden gar keine Windräder mehr aufgestellt, weil hier seit 2014 eine Abstandsregel von 2000 Metern zu Wohngebieten gilt.
Vertikale Windräder sind keine Todesfalle für Vögel
Nach Schätzungen unterschiedlicher Forschungsgruppen werden im Durchschnitt rund 40 Vögel pro Jahr durch eine einzelne Windturbine getötet. Die vertikalen Windkraftanlagen sollen laut Entwickler Richter weit weniger gefährlich sein:
Diese Einschätzung teilen auch Experten von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. In einer Stellungnahme heißt es: "Für Großvögel, die tagsüber unterwegs sind, scheint das Gefahrenpotenzial bei der Windturbine mit vertikaler Drehachse minimal.“
Nischenlösung für autarke Betriebe
Windkraft-Experte Holger Lange von der Hochschule Bremerhaven sieht die Stärke der vertikalen Windkraftanlagen darin, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in oder unweit von Wohngebieten autark zu machen:
Zusätzlicher Mosaikstein in der Energiewende
Forscher Holger Lange hält die vertikalen Windkraftanlagen für einen sinnvollen zusätzlichen Mosaikstein zur Energiewende. Er glaubt jedoch nicht, dass sie in größerem Umfang zur Stromeinspeisung ins öffentliche Netz eingesetzt werden.
Windkraftpionier Patrick Richter jedenfalls will noch in diesem Jahr richtig durchstarten und, wenn alles gut läuft, bis 2022 die ersten 20 vertikalen Windkraftanlagen in Deutschland und den USA aufstellen.