Im Juni 2023 hat ein Forschungsteam einer 25-jährigen Frau sogenannte Inselzellen in die Bauchmuskeln transplantiert. Inselzellen werden aus den eigenen Stammzellen hergestellt und können Insulin erzeugen. Ihre Ergebnisse haben sie nun in der renommierten Fachzeitschrift Cell veröffentlicht.
Etwa zweieinhalb Monate nach der Behandlung sei die Patientin unabhängig von zusätzlichem Insulin gewesen – und das bis heute. Erstaunliche Ergebnisse, findet Andreas Fritsche. Er ist Diabetologe am Uniklinikum Tübingen. Grund zur Freude gibt ihm der Artikel der Forschenden aber nicht.
Langfristiger Erfolg der Stammzelltherapie fraglich
Bisher hat die neue Therapie nur bei einer einzigen Patientin so gut gewirkt. Und das auch nur für ein Jahr lang. „Bevor da nicht mehr Patienten behandelt wurden, und das über längere Zeit, kann man überhaupt noch nicht vom Durchbruch sprechen.“, sagt Fritsche.
Außerdem gebe es auch in anderen Ländern, wie den USA und Kanada, immer wieder Studien zu Stammzell-Transplantationen, allerdings noch ohne solche Erfolge. „Und da muss man wirklich sehr, sehr skeptisch sein.“, warnt der Diabetologe.
Eine Hoffnung in die Stammzelltherapie ist, dass die transplantierten, körpereigenen Zellen nicht abgestoßen werden. Dieses Risiko besteht zum Beispiel bei der Therapie mit insulinproduzierenden Inselzellen von anderen Menschen, die diese spenden.
Immunsuppressiva beeinflussen Therapieerfolg
Ob sich diese Hoffnung bestätigen würde – darüber lässt der Artikel keine Schlüsse zu. Denn der Erfolg der Therapie könnte damit zusammenhängen, dass die Patientin Immunsuppressiva einnimmt. Medikamente, die sie aufgrund vergangener Organtransplantationen nehmen muss. Sie verhindern, dass der Körper die neuen Organe abstößt, indem sie das Immunsystem unterdrücken.
Würde die Patientin diese Medikamente nicht einnehmen, würde ihr Körper vermutlich auch die aus den Stammzellen gewonnenen Beta-Zellen abstoßen, sagt Diabetologe Fritsche. Das liege in der Natur von Diabetes Typ 1, einer Autoimmunerkrankung:
„Bei jedem Typ 1-Diabetes-Patient versucht der Körper auch immer wieder neue Beta-Zellen zu produzieren. (…) Aber wenn die sozusagen das Licht der Welt erblicken, dann geht sofort wieder das Immunsystem des Betroffenen gegen diese Zellen vor und zerstört die. Und das Gleiche passiert eben auch bei transplantierten Zellen. Die Grunderkrankung, die Autoimmunerkrankung, ist ja immer noch da.“
Gefahren von Stammzelltherapie
Fritsche weist außerdem auf die Gefahren von Stammzelltherapien hin. Zwar traten bei der chinesischen Patientin wohl keine Nebenwirkungen auf, jedoch bestehe das Risiko, dass solche Zellen entarten oder dass man unfertige Zellen mittransplantiert. Was mit diesen Zellen auf lange Sicht im Körper passiert, wisse man nicht.
Weltweite Verdoppelung der Diabetes Typ 1-Fälle bis 2040
Zweifel an Heilung von Diabetes
Dazu zweifelt Diabetologe Fritsche auch an den Ergebnissen an sich: Weil der Patientin nicht nur Beta-Zellen, sondern auch Alpha- und Delta-Zellen transplantiert wurden.
„Das klingt für mich so dermaßen unwahrscheinlich, dass man also gleich drei hochspezialisierte Zelltypen generieren konnte und die auch noch alle funktionieren und auch noch alle miteinander toll kommunizieren. Das kommt mir sehr, sehr komisch vor. (…) Das wäre ein Fortschritt, der mehrere Schritte übersprungen hat. Das kann man kaum glauben.“
Die Forschenden räumen am Ende ihres Artikels ein: Größere Studien seien nötig, auch mit Menschen, die keine Immunsuppressiva nehmen. Sie sehen ihre Ergebnisse aber immerhin als einen Schritt in Richtung personalisierter Stammzelltherapie.
Diabetes lässt sich schon heute gut mit Insulin behandeln
Ob die neue Therapie auch bei anderen Menschen und auf Dauer funktioniert, wird sich erst mit mehr Forschung zeigen. Es dürfte noch lange dauern, bis eine solche, aufwendige Therapie großflächig verfügbar ist.
Allein in Deutschland gibt es etwa eine halbe Million Menschen mit Diabetes. Sie vertröstet Fritsche auf altbewährte Methoden: Mit Insulin könne man Diabetes Typ 1 schon heute ausgezeichnet behandeln.