In den Arzneimitteln namens "Ozempic" oder "Wegovy" steckt der Wirkstoff Semaglutid. Ozempic ist für Diabetes Typ 2 zugelassen. Wegovy für Patienten mit schwerem Übergewicht – ohne Diabetes. Wobei der Wirkstoff identisch ist. Was steckt hinter der Abnehmspritze und wie sinnvoll ist sie für die Gewichtsabnahme? Prof. Dr. Dr. Christian Wüster ist Endokrinologe und weiß mehr darüber.
SWR1: Was halten Sie denn davon, wenn jemand mit einer Spritze abnehmen will?
Wüster: Prinzipiell ist es gar nicht schlecht, dass wir solche Arzneimittel zur Verfügung haben für Patienten, die es auch benötigen. Das sind insbesondere diejenigen, die mit den normalen Methoden, sprich, Sport und Diät, nicht abnehmen.
SWR1: Der Wirkstoff heißt Semaglutid und ist in den Medikamenten Ozempic und Wegovy enthalten. Ozempic ist für Diabetiker, richtig?
Wüster: Ozempic ist für Diabetes Typ 2 zugelassen und sollte nicht angewendet werden für Patienten, die kein Diabetes haben. Für die Patienten, die reine Adipositas ohne Diabetes haben, ist Wegovy zugelassen. Der Wirkstoff ist der gleiche. Man kann mit dem Wirkstoff Semaglutid in einer gewissen Zeit 15 Prozent des Körpergewichts abnehmen, wenn man vorher und währenddessen Sport und eine Diät gemacht hat.
SWR1: Was macht der Wirkstoff im Körper?
Wüster: Der fördert im Prinzip die Ausschüttung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse. Eigentlich ist es sozusagen der Stimulus der körpereigenen Hormonsekretion. [...] Darüber hinaus kommt es noch zu einer verlangsamten Magenentleerung und zu einem erhöhten Sättigungsgefühl. Das ist der Hauptgrund, warum die Leute darunter abnehmen. Manche bösen Zungen behaupten, dass auch die Übelkeit, die bei manchen Patienten als Nebenwirkung auftritt, dazu beiträgt, dass die Menschen abnehmen.
SWR1: Für wen ist die Abnehmspritze geeignet?
Wüster: Für die Patienten, die mit Sport und Diät nicht abnehmen. Der BMI ist dabei nicht egal. Jemand, der einen BMI unter 30 hat, kann eigentlich mit Sport und Diät ganz gut abnehmen. Der braucht kein Wegovy. Aber es gibt glaubhafte Patienten, die mir sagen, ich habe alles gemacht. Ich gucke mir die Trainingsprogramme und die Diätprotokolle an, und wir sehen, sie haben wirklich alles richtig gemacht und nehmen trotzdem nicht ab. Sie können das Essen angucken und nehmen zu.
Nebenwirkungen der Spritze
SWR1: Diese Patienten bekommen dann von Ihnen auch die Abnehmspritze mit dem Wirkstoff Semaglutid verschrieben. Geht es den Patienten gut damit?
Wüster: [...] Man gewöhnt sich an die Nebenwirkungen. Das macht schon Magen-Darm-Problematiken. Deswegen muss man niedrig dosiert anfangen, langsam nach oben steigern, regelmäßig kontrollieren. Es gibt noch ein paar Nebenwirkungen, auf die man aufpassen muss. Das heißt, das sollte unter ärztlicher Kontrolle gemacht werden. Dann führt es schon zu einer regelmäßigen Gewichtsabnahme, die aber möglicherweise eben nicht von Dauer ist. Das Problem sind die Rebound-Gewichtszunahmen. Wenn man das Arzneimittel wieder absetzt, geht das Gewicht also wieder nach oben. Da sind wir aber zu früh, um das mit hinlänglicher Sicherheit sagen zu können, wen es denn betrifft. [...]
SWR1: Jetzt sagen ganz viele Menschen, warum nehmen die – abwertend gesagt – dicken Menschen den Diabetikern die Medikamente weg? Was sagen Sie dazu?
Wüster: Dann sage ich, das ist richtig. Die Firma bemüht sich auch, die Herstellung zu optimieren. Das gelingt denen aber nicht. Ich weiß nicht, wo das Problem ist. Das habe ich keine Interna. Aber es ist schon so, dass die Diabetiker Vorrang haben, weil das eine lebensbedrohliche Erkrankung ist und Adipositas im Prinzip nicht.
Wie man auf natürlichem Weg abnehmen kann
SWR1: Sie sind ja Stoffwechselspezialist. Gibt es natürliche Möglichkeiten, den Stoffwechsel so anzukurbeln, dass man besser abnehmen kann, wenn man das will?
Wüster: Ich danke Ihnen wirklich für diese Frage, weil mir das ein großes Anliegen ist. Viele Menschen gehen in Fitnessstudio und sind dann hinterher enttäuscht, dass sie nicht abnehmen. Das liegt am Fall daran, dass dort die Therapeuten immer denken, dass man über Muskelkraft abnimmt. Das ist prinzipiell auch richtig für jemanden, der Muskelkraft hat. Die meisten Menschen, die ich betreue, haben aber nicht so viel Muskelkraft, dass sie durch einen Fitnessstudiobesuch tatsächlich auch ihren Puls und ihren Stoffwechsel so anregen können, dass sie damit auch abnehmen.
Man sollte sich einen Fitnesstracker besorgen und dann sollte der Puls 120 Schläge pro Minute über mindestens anderthalb Stunden sein. Das sollte man dreimal die Woche mit einer Sportart machen, die einem Spaß macht. [...]
Das Zweite ist die Ernährung. [...] Jede Diät ist ganz toll und führt initial zu einer Gewichtsabnahme von zwei Kilo, das sind meistens "Wasserspiele". Man verliert Wasser, aber nicht substanzielle Fettmasse. Das heißt auch, dass Diäten in der Regel nicht durchgehalten werden. Ich sage immer, man sollte gut essen. Ich bin für eiweißreiche und kohlenhydratarme Kost. Aber es muss schmecken, sodass man das hinterher auch durchhält. Die Menge an Kalorien, die man zu sich nimmt, muss weniger sein als die Kalorienzahl, die man verbrennt. [...] Und dann muss man das drei Monate durchhalten, weil dann überhaupt erst der Hypothalamus, der Taktgeber für die Regulation der Körperzusammensetzung, anfängt zu sagen, ach, der will abnehmen. [...]
Wenn man das ein halbes Jahr gemacht hat, dann wird man schon sehen, dass man fünf bis zehn Kilo abgenommen hat, je nach Ausgangswert und dann Wegovy obendrauf. [...] Es ist also so, dass viele Menschen, die nur Sport und Diät machen nach dem ersten halben Jahr in so ein Plateau kommen und das ein bisschen stagniert, weil man auch nicht mehr ganz so gewissenhaft Sport und Diät macht. Und für die ist das genau geeignet und sie werden dann auch, wenn man das halbe Jahr gespritzt hat, nachhaltig ihr Gewicht halten können, weil sie es dann auch weiter durchhalten.
Die vollständige Version des Interviews können Sie oben im Artikel hören.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Steffi Stronczyk.
Weitere Informationen finden Sie bei der Endokrinologiepraxis von Prof. Dr. Dr. Wüster in Mainz.