Wenn ein Gemüsebauer gelbe, mosaikartige Flecken an den Blättern seiner Kürbis- oder Gurkenpflanzen entdeckt, ist die Diagnose meist eindeutig: Gurkenmosaikvirus. Bisher mussten befallene Pflanzen entfernt werden, da es keine Behandlungsmöglichkeit gab. Das weltweit verbreitete Virus könnte jedoch bald seinen Schrecken verlieren - dank eines neuen RNA-Wirkstoffs, den Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entwickelt haben.
Bedrohung für über tausend Pflanzenarten
Das Gurkenmosaikvirus sei das Virus, das die meisten Pflanzenspezies überhaupt infiziere, erklärt Biotechnologe Prof. Sven-Erik Behrens. Das Virus kann in Pflanzen im Winter überleben, wird durch Samen, aber vor allem durch Blattläuse übertragen:
“Deswegen hat man es eigentlich überall. Und das führt zu dramatischen Ertragseinbußen jedes Jahr. Und die können also zwischen 20 und 30 Prozent teilweise betragen. Und damit ist das also auch von großem ökonomischem Interesse. Auch wenn aber jetzt gerade im deutschen Jetzt sein, sagen wir mal, ein bisschen merkwürdig klingt.”
Das Gurkenmosaikvirus, wie es im Deutschen heißt, überfällt nämlich nicht nur Gurkenpflanzen, sondern insgesamt 1.200 Pflanzenarten – viele Gemüsesorten sind betroffen. Die Pflanzen wachsen langsamer, Früchte verformen sich. Bei starkem Befall sterben die Pflanzen ab. Weil es bisher kein Pflanzenschutzmittel dagegen gibt, forscht Prof. Sven-Erik Behrens an der Martin-Luther-Universität in Halle zu dem Virus, sucht nach Möglichkeiten, um die Pflanzen vor dem Virus zu schützen.

Wie Pflanzen ihre viralen Feinde erkennen
Er und sein Forschungsteam möchten vor allem die vorhandene Immunantwort der Pflanzen verbessern: “Es gibt natürlich eine Immunantwort der Pflanze gegen Virusinfektionen und die basiert im Wesentlichen darauf, dass die Pflanze über bestimmte Moleküle eben praktisch fremd-RNA erkennt”, so Behrens.
Diese fremd-RNA stellt dabei das genetische Material des Virus dar. Kann die Pflanze die Virus-RNA erkennen und zerstören, können sich die Viren nicht mehr vermehren. Die Krankheit wird gestoppt. Soweit die Theorie, in der Praxis ist die Immunabwehr der Pflanzen ineffizient, hat Schwächen. So besteht die Immunabwehr aus zwei Stufen.
In der ersten Stufe erkennt die Pflanze die fremde Erbinformation des Virus und trennt ein kleines Stück der Virus-RNA ab. Mehrere verschiedene kleine Virus-Teile breiten sich in der Pflanze aus.
“Diese kleinen RNAs, das muss man sich auch so vorstellen. Die wirken im Grunde genommen so wie Antikörper im Menschen, das heißt, die diffundieren dann praktisch auch durch das durch den gesamten Pflanzenkörper.”, erklärt Behrens. Sie sind das entscheidende Signal und lösen eine zweite Immunreaktion der Pflanze aus.

Neue RNA-Technologie verstärkt Pflanzenabwehr
Häufig ist dieses Alarmsignal jedoch zu schwach und zu ineffizient. Und genau hier setzt das Forschungsteam um Prof. Behrens aus Halle an. Sie geben in die Pflanze zusätzlich kleine RNAs, die das Immunsystem unterstützen. Diese RNAs docken an Proteine an, die das Erbgut des Virus dann auch abbauen, also zerstören.
“Was ganz, ganz wichtig ist, ist, dass wir tatsächlich ja das Virus an verschiedenen Stellen seines Genoms sozusagen attackieren.”, betont der Biotechnologe. Und das funktioniert im Labor erstaunlich gut. Um die Wirkung zu testen, hat das Forschungsteam Tabakpflanzen mit einer ungewöhnlich hohen Virusmenge, Viruslast, infiziert – ein extremes Szenario.
“Wir haben das Infektionsmodell so aufgebaut, dass wenn wir keine Behandlung machen, das dann 100 % der Pflanzen infiziert werden und an der Infektion praktisch versterben. Man muss es jetzt mal so sagen, es ist ein ultrabrutales Infektionsmodell”, so Behrens. Auch unter diesen extremen Bedingungen konnten mit dem neuen Pflanzenschutzmittel 80 bis 100 Prozent der Pflanzen überleben.

Neue Methoden der Wirkstoffverabreichung bei Pflanzen
Aber wie kommt der Wirkstoff in die Pflanze? In den Laborversuchen muss die Substanz noch sehr aufwendig in die Pflanze mit winzigen Spritzen gegeben oder die Substanz muss in die Blätter eingerieben werden – ein viel zu großer Aufwand für die Praxis im Gemüseanbau sagt Sven-Erik Behrens:
“Es muss in die Pflanze rein und es muss dort einigermaßen stabil sein und da arbeiten wir auch dran, (…) dass wir mit einem Pharmazeuten dort zusammenarbeiten, wo wir spezifisch diese RNA jetzt eben auch verpacken können.”
In Zukunft könnte der Wirkstoff dann auch als Spray auf die Pflanze gesprüht werden. Ein erstes RNA-Pflanzenspray des US-Unternehmens Greenlight Bioscience ist seit 2023 in den USA zugelassen – zwar nicht gegen ein Virus, sondern gegen den Kartoffelkäfer. Eine Anwendung gegen ein Virus ist komplexer, aber nicht unmöglich und hat vor allem in der Europäischen Union großes Potential. Denn natürlich können schützende Eigenschaften auch in das Erbgut von Pflanzen fest eingebaut werden.

RNA-Wirkstoffe als Alternative zur Gentechnik
Diese gentechnisch veränderten Pflanzen stoßen in der EU aber noch auf wenig Akzeptanz, erklärt Behrens: “Das ist eine Variante, die in Europa definitiv nicht in Erwägung gezogen wird, (…) aufgrund zweier Tatsachen. Das eine ist es ist ein genetisch modifizierter Organismus. Das hat man nicht so gerne auf den Feldern. Auf der anderen Seite ist es auch sehr, sehr aufwendig transgene Pflanzen zu generieren. Es dauert sehr lange”
Die RNA-Wirkstoffe haben also einen großen Vorteil. Die Pflanzen werden nicht gentechnisch verändert, es kann schneller auf neue Virusstämme reagiert werden, allerdings muss der Pflanzenschutz immer wieder regelmäßig neu auf die Pflanze geben werden. In Zukunft könnten solche RNA-Pflanzenschutzmittel aber nicht nur gegen das Gurkenmosaikvirus eingesetzt werden, sondern viele chemische und auch umstrittene Pflanzenschutzmittel ersetzen