Man hat Symptome, aber irgendwie findet niemand den Grund dafür: Ist es ein seltener Erreger? Oder vielleicht eine Autoimmunerkrankung? In manchen Fällen kann es sehr lange dauern, bis man eine Diagnose bekommt.
In den nächsten Jahren könnte sich die Art, wie nach der Ursache für eine Erkrankung gesucht wird verbessern – durch simple Fragen an das Immunsystem: Was beschäftigt dich gerade? Woran erinnerst du dich? Dafür haben Forschende der Stanford University einen Test entwickelt.
Das Immunsystem hat ein Gedächtnis
Sarah Teichmann ist Molekularbiologin an der Cambridge University. Sie forscht selbst zu Genomik und Immunzellen und ist angetan von der Vision:
„Die Idee ist dann eben, dass das eines Tages eine Anwendung finden könnte in der Klinik, um zu erkennen, was die Erkrankung ist, die der Patient hat oder die Geschichte des Immunsystems ist, was das Immunsystem gesehen hat, was es ausgesetzt wurde.“
Der Clou hinter der Idee: Das Immunsystem hat ein Gedächtnis. Ein Teil davon sind sogenannte B und T-Zellen. Sie erkennen Eindringlinge und Fremdkörper. Dafür docken sie mit bestimmten Bereichen an die Erreger an. Diese Bereiche nennt man B- und T-Zellrezeptoren.
Das Immunsystem jedes Menschens ist einzigartig
Da wir auf die Verteidigung gegen sehr viele unterschiedliche Krankheitserreger vorbereitet sein müssen, gibt es Immunzellen mit sehr vielen unterschiedlichen B- und T-Zellrezeptoren.
„Man schätzt etwa hunderttausend unterschiedliche T-Zell-Rezeptoren sind permanent in einem Individuum zu finden. Insgesamt kann man theoretisch bis zu 10 hoch 60 unterschiedliche T-Zell-Rezeptoren generieren.“, erklärt Benjamin Schubert. Er ist Gruppenleiter für Translationale Immunoinformatik am Helmholtz Zentrum in München.
CAR-T-Zellen: Eine neue Epoche in der Krebsforschung
Die vielen unterschiedlichen Zell-Rezeptoren haben zur Folge, dass das Immunsystem eines Menschen einzigartig ist. Hinzu kommt: Die Zusammensetzung der Zellen im Körper, die die verschiedenen T- und B-Zellrezeptoren haben, ändert sich mit der Zeit. Wie viele Exemplare es von einem bestimmten B-Zellrezeptor gibt, hängt auch davon ab, wie oft er gebraucht wurde.
Und das ist ein Glücksfall für uns: Denn das Immunsystem erinnert sich so an Erkrankungen und kann das nächste Mal schneller und tatkräftiger zuschlagen – das ist auch der Grund, weshalb wir bestimmte Erkrankungen nur einmal bekommen und weshalb Impfungen wirken.

KI analysiert Daten und schafft Diagnostik
In der Studie, die vor kurzem in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, haben die Forschenden genau diese Veränderungen und Unterschiede in den Immunsystemen analysiert.
Dass es so unglaublich viele verschiedene Immunzellen gibt, ist laut Benjamin Schubert eine Schwierigkeit: „Das stellt eines der Probleme dar, wenn man diese Methoden entwickeln möchte, man braucht entsprechend sehr, sehr viel Datensätze von unterschiedlichen Patienten.“
Die Forschenden von der Stanford University haben deshalb die genetischen Sequenzen von fast 40 Millionen B- und T-Zell-Rezeptoren von über 500 Personen analysiert. Die hatten zum Teil bestimmte Erkrankungen wie Lupus, Diabetes oder HIV. Mit diesem Datensatz wurde eine KI trainiert. Die konnte dann Muster erkennen, welche Sequenzen zu welcher Erkrankung gehören.
In einem zweiten Schritt haben sie dem Programm dann Gendaten von anderen Personen gegeben. Und tatsächlich: Die KI konnte mit einer sehr hohen Genauigkeit vorhersagen: Diese Person hat Lupus, diese Person HIV, diese Person ist gesund.
Noch sind die Analysen des Immunsystems zu teuer für die Praxis
Der Test ist noch nicht reif für die Anwendung im Krankenhaus. Aber die Immunologin Sarah Teichmann sieht großes Potential:
„Das Interessante ist meines Erachtens, dass es theoretisch, wenn es wirklich funktionieren wird in der Klinik, nur ein Test wäre, also einmal sequenzieren, einmal analysieren für alles. [...] Also es ist schon attraktiv und interessant.“
Laut dem Bioinformatiker Benjamin Schubert könnten vielleicht auch neue Krebstherapien, die auf B- und T-Zellen basieren, mit solchen Methoden effektiver gemacht werden.
Noch, so die Immunologin Sarah Teichmann, seien die Analysen aber zu teuer, um sie wirklich in der Breite anzuwenden. Sie sagt aber auch: „Wobei, das könnte sich in der Zukunft ändern. Jetzt aber nicht übermorgen, eher in ein paar Jahren.“
Gerade bei Erkrankungen, bei denen eine Diagnose schwierig sein kann, könnte ein solches Tool helfen, sagen die Autoren der Studie. Statt Ewigkeiten nach einem Erreger zu suchen, könnte man einfach das Immunsystem fragen.