Meeresringelwürmer werden nur wenige Zentimeter groß und leben in den küstennahen Gebieten Süd- und Westeuropas am Meeresgrund. Sie sind entfernt mit Regenwürmern verwandt und gehören zur großen Gruppe der Borstenwürmer (Polychäten). Ihre Borsten nutzen sie zur Fortbewegung.
Meeresringelwürmer sind besondere Tierchen
Florian Raible, Molekularbiologe an der Universität Wien, forscht seit 15 Jahren zu den kleinen Meeresbewohnern. "Ein faszinierender Aspekt, der uns schon länger bekannt ist: Die Fortpflanzung der Meeresringelwürmer hängt mit dem Mondzyklus zusammen", erklärt er gegenüber dem SWR.
Die Würmer können sich nämlich nur einmal im Leben fortpflanzen - das passiert erst kurz vor ihrem Tod: Am Ende ihres Lebens wandeln sich die bis dahin geschlechtlosen Tiere in Männchen oder Weibchen um.
Nachts, wenn der Mond scheint, steigen sie dann vom Meeresboden bis an die Wasseroberfläche und pflanzen sich dort beim sogenannten Hochzeitstanz fort. Dabei schwimmen die Tiere umeinander und geben Ei- bzw. Spermienzellen ab.
Der Meeresringelwurm funktioniert wie ein kleiner 3D-Drucker
Jetzt hat das Forschungsteam um Florian Raible noch eine weitere verblüffende Eigenschaft feststellen können: Die Würmer stellen ihre Borsten nicht nur selbst her, sie tun das auch auf eine besondere Weise. Die Borsten-Produktion funktioniert wie ein technischer 3D-Druck.
Dabei werden die Borsten - anders als beispielsweise bei Insekten - durch spezielle Zellen außerhalb des Körpers gebildet. Die Zellen heißen Chaetoblasten und sind mit kleinen Fortsätzen, sogenannten Mikrovilli, besetzt. Diese arbeiten wie die Spritzdüsen eines 3D-Druckers: Schicht für Schicht entsteht das fertige Produkt bzw. die Borste.
Dieser Prozess dauert im Schnitt ein bis zwei Tage und konnte nun erstmals in einem Organismus nachgewiesen werden.
Medizinische Anwendung des 3D-Drucks?
Die Borsten der Würmer bestehen aus sogenanntem Beta-Chitin. Diese Form des Chitins ist viel weicher als das Alpha-Chitin von Insekten und wird im medizinischen Bereich häufig für besonders sensible Wundverbände genutzt.
Beta-Chitin wird für den Gebrauch in der Medizin gerade noch aus Tintenfischen gewonnen. Ein Beiprodukt des Fangs für den regulären Verzehr. Florian Raible und sein Team wollen den neu entdeckten Mechanismus des Meeresringelwurms nutzen: Sie forschen weiter an der Frage, ob Beta-Chitin in Zukunft im Labor zu größeren Mengen hergestellt werden könnte.
Meeresringelwurm-Borsten sind biologisch abbaubar
Das interessante an Beta-Chitin sei dabei, dass es ein biologisches Produkt ist und damit natürlich abbaubar, so Raible.
Der Experte ist davon überzeugt, dass sich in der Zukunft noch weitere Anwendungsfelder erschließen werden.
Kleine Tiere, große Möglichkeiten
Die Grundlagenforschung, wie sie auch das Team der Uni Wien betreibt, bietet verschiedenste Möglichkeiten, um die Erkenntnisse für die Entwicklung von Innovationen anzuwenden.
So eben auch die Chitin-Produktion im Zuge der Borsten-Herstellung. Möglicherweise lassen sich bald Ringelwurm-Zellen für die Produktion von Beta-Chitin einsetzen. Noch ist es aber nicht so weit. Das Forschungsteam um Florian Raible bleibt neugierig.