Grundlagenforschung

Wie 3D-Drucker: Meeresringelwurm druckt eigene Borsten

Stand
Autor/in
Laura Strätling
Onlinefassung
Lilly Zerbst
Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst.

Lange war unbekannt, wie Meeresringelwürmer ihre Borsten herstellen. Jetzt haben Forschende in Wien entdeckt: Die Würmer funktionieren wie kleine 3D-Drucker. Die Forschenden hoffen auf Anwendungen in der Medizin.

Meeresringelwürmer werden nur wenige Zentimeter groß und leben in den küstennahen Gebieten Süd- und Westeuropas am Meeresgrund. Sie sind entfernt mit Regenwürmern verwandt und gehören zur großen Gruppe der Borstenwürmer (Polychäten). Ihre Borsten nutzen sie zur Fortbewegung. 

Meeresringelwürmer sind besondere Tierchen

Florian Raible, Molekularbiologe an der Universität Wien, forscht seit 15 Jahren zu den kleinen Meeresbewohnern. "Ein faszinierender Aspekt, der uns schon länger bekannt ist: Die Fortpflanzung der Meeresringelwürmer hängt mit dem Mondzyklus zusammen", erklärt er gegenüber dem SWR.  

Die Würmer können sich nämlich nur einmal im Leben fortpflanzen - das passiert erst kurz vor ihrem Tod: Am Ende ihres Lebens wandeln sich die bis dahin geschlechtlosen Tiere in Männchen oder Weibchen um.

Erst kurz vor ihrem Tod entwickeln sich die Meeresringelwürmer zu Weibchen und Männchen. Forschende haben herausgefunden, dass der Meereringelwurm seine Borsten wie im 3D-Drucker herstellen.
Erst kurz vor ihrem Tod entwickeln sich die Meeresringelwürmer zu Weibchen (oben) und Männchen (unten).

Nachts, wenn der Mond scheint, steigen sie dann vom Meeresboden bis an die Wasseroberfläche und pflanzen sich dort beim sogenannten Hochzeitstanz fort. Dabei schwimmen die Tiere umeinander und geben Ei- bzw. Spermienzellen ab.  

Der Meeresringelwurm funktioniert wie ein kleiner 3D-Drucker 

Jetzt hat das Forschungsteam um Florian Raible noch eine weitere verblüffende Eigenschaft feststellen können: Die Würmer stellen ihre Borsten nicht nur selbst her, sie tun das auch auf eine besondere Weise. Die Borsten-Produktion funktioniert wie ein technischer 3D-Druck.  

Dabei werden die Borsten - anders als beispielsweise bei Insekten - durch spezielle Zellen außerhalb des Körpers gebildet. Die Zellen heißen Chaetoblasten und sind mit kleinen Fortsätzen, sogenannten Mikrovilli, besetzt. Diese arbeiten wie die Spritzdüsen eines 3D-Druckers: Schicht für Schicht entsteht das fertige Produkt bzw. die Borste. 

Erst die Spitze mit kleinen Zähnchen, dann wird ein Gelenk gebaut und dann ein Schaft hergestellt. Und nach jedem Teil wird das Material dann ein Stück hinausgeschoben.

Dieser Prozess dauert im Schnitt ein bis zwei Tage und konnte nun erstmals in einem Organismus nachgewiesen werden.

Medizinische Anwendung des 3D-Drucks?

Die Borsten der Würmer bestehen aus sogenanntem Beta-Chitin. Diese Form des Chitins ist viel weicher als das Alpha-Chitin von Insekten und wird im medizinischen Bereich häufig für besonders sensible Wundverbände genutzt. 

Unsere Forschung kann helfen, grundsätzlich zu verstehen, wie die Natur das Material einsetzt und wie man das zukünftig zu unserem Vorteil verwenden könnte. 

Beta-Chitin wird für den Gebrauch in der Medizin gerade noch aus Tintenfischen gewonnen. Ein Beiprodukt des Fangs für den regulären Verzehr. Florian Raible und sein Team wollen den neu entdeckten Mechanismus des Meeresringelwurms nutzen: Sie forschen weiter an der Frage, ob Beta-Chitin in Zukunft im Labor zu größeren Mengen hergestellt werden könnte.  

Bisher wurde Beta-Chitin aufwendig aus Tintenfischen gewonnen. Ihr Rückenschulp, der den Tieren dabei hilft im Wasser zu scheben, besteht aus dem Stoff. Vielleicht kann Beta-Chitin irgendwann aus den Borsten des Meeresringelwurms hergestellt werden. | Tintenfisch von unten
Bisher wurde Beta-Chitin aufwendig aus Tintenfischen gewonnen. Ihr Rückenschulp, der den Tieren dabei hilft im Wasser zu schweben, besteht aus diesem Stoff. Häufig kann man die weißen Platten am Strand finden.

Meeresringelwurm-Borsten sind biologisch abbaubar

Das interessante an Beta-Chitin sei dabei, dass es ein biologisches Produkt ist und damit natürlich abbaubar, so Raible.  

In der Medizin gibt es sicher eine große Nachfrage, weil man auch Interesse hat, dass Stoffe eingesetzt werden, die dem Körper nicht schaden.

Der Experte ist davon überzeugt, dass sich in der Zukunft noch weitere Anwendungsfelder erschließen werden.  

Kleine Tiere, große Möglichkeiten 

Die Grundlagenforschung, wie sie auch das Team der Uni Wien betreibt, bietet verschiedenste Möglichkeiten, um die Erkenntnisse für die Entwicklung von Innovationen anzuwenden.

Der Wert von Grundlagenforschung ist, dass wir grundsätzliche Prinzipien, häufig in kleinen Modell-Organismen erforschen, die dann auch vielleicht unerwartet in anderen Kontexten wieder auftauchen und nützlich sein können.

So eben auch die Chitin-Produktion im Zuge der Borsten-Herstellung. Möglicherweise lassen sich bald Ringelwurm-Zellen für die Produktion von Beta-Chitin einsetzen. Noch ist es aber nicht so weit. Das Forschungsteam um Florian Raible bleibt neugierig. 

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