Ein halbes Lernjahr – so groß ist der Bildungsrückstand bei Kindern laut einer Studie der TU Dortmund. Die Studie, in der Forschende die Lesekompetenz von 4.000 Grundschülern analysiert haben, macht deutlich: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die gut lesen können wird kleiner – der Anteil der Grundschulkinder, die Probleme beim Lesen haben, wird immer größer.
Ein Defizit, das sich durch die ganze Schullaufbahn hindurchzieht und auch den Erfolg in anderen Fächern beeinflusst, sagt Ralf Scholl, Vorsitzender des Philologenverbandes Baden-Württemberg. Vor allem Probleme beim sinnentnehmenden Lesen, also die Fähigkeit den Inhalt des gelesenen Textes tatsächlich zu verstehen, behindere den Lernerfolg in anderen Fächern. Wenn etwa ein Kind Schwierigkeiten hat, den Inhalt einer Textaufgabe zu verstehen, würde auch Mathematik zu einem Problem.
Hälfte der Schüler ohne digitales Endgerät
Die Ergebnisse der TU Dortmund stützt auch eine repräsentative Umfrage des Philologenverbandes Baden-Württemberg. Darin gaben 62% der befragten Eltern an, dass der Lernerfolg ihrer Kinder durch die Corona-Pandemie beeinträchtigt wurde.
Ein naheliegender Grund dafür: Auch mehr als zwei Jahre nach Beginn der Pandemie wurde gut der Hälfte aller Schülerinnen und Schüler noch kein digitales Endgerät, wie zum Beispiel Laptop oder Tablet, zum Ausleihen angeboten. Von der Gruppe der Kinder, denen ein digitales Gerät angeboten wurde, hat laut Umfrage jedes vierte die Möglichkeit in Anspruch genommen.
Kleine Klassen
Dennoch meint Ralf Scholl vom Philologenverband, dass der entscheidende Punkt für eine bessere Bildung nicht zwingend die digitale Ausstattung sei. Viel wichtiger seien kleinere Lerngruppen: „Als Lehrer mit halben Klassen gearbeitet haben, habe ich von sämtlichen Lehrkräften und auch sämtlichen Schülern, mit denen ich gesprochen habe, die Rückmeldung beommen: Wir kommen viel schneller vorwärts als vorher.“ Nicht nur die Betreuung sei in Kleingruppen deutlich besser, darüber hinaus gebe es de facto keine Unterrichtsstörungen mehr.
Initiative Rückenwind
Um die Lernrückstände aufzuholen, die durch die Pandemie entstanden sind, hat das Kultusministerium Baden-Württemberg die Initiviative "Lernen mit Rückenwind" gestartet. Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt und soll Schülerinnen und Schülern helfen, mit individuellen Programmen ihre Lernlücken in Kleingruppen zu schließen.
Was in der Theorie gut klingt, zeigt in der Praxis allerdings kaum Wirkung. An weiterführenden Schulen nehmen nur sieben Prozent aller Schüler am Projekt Teil, in den Grundschulen sind die Zahlen noch ernüchternder. Dort sind es gerade einmal zwei Prozent.
Zwar sagt knapp über die Hälfte der Eltern, ihre Kinder würden eine solche Maßnahme nicht benötigen, fast ein Drittel erklärt aber, es gebe kein passendes Angebot an der Schule. Die wenigen, die am Förderprogramm teilnehmen, melden allerdings oftmals zurück, dass die Maßnahmen nicht ausreichen würden.
Flaute statt Rückenwind
Das Fazit des Philologenverbands: Flaute statt Rückenwind. Die Maßnahmen seien in der jetzigen Form nicht ausreichend und kämen in der Breite oftmals gar nicht erst bei den Schülerinnen und Schülern an. Ralf Scholl, Vorsitzender des Philologenverbands Baden-Württemberg, appelliert deshalb eindringlich an die Politik.
Werden die Kinder heute an den Schulen nicht gut ausgebildet, schadet das mittelfristig auch der Wirtschaft, so Scholl weiter. Seine Forderung stützen auch die Ergebnisse der Umfrage: Über 94 Prozent der befragten Eltern fordern mehr Investitionen in das Bildungssystem – sogar dann, wenn andere Projekte auf Landes- oder kommunaler Ebene dafür zurückstecken müssen.