Medizin

SWR Wissen Special: Grippeimpfung

Stand
Autor/in
Stefan Troendle
Onlinefassung
Antonia Weise, Ralf Kölbel

In diesen Tagen beginnen die jährlichen Grippeimpfungen. Doch was heißt das in Zeiten von Corona?

Leif-Erik Sander, Sandra Ciesek und Carsten Watzl gehören zu den führenden Wissenschaftlern in Deutschland, wenn es um Infektionskrankheiten geht. Sie beantworten uns folgende Fragen:

Grippeschutzimpfung
Vor allem Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen sollten sich gegen die Grippe impfen lassen.

Ist eine Grippeimpfung trotz Corona-Impfung sinnvoll?

Im Bezug auf den Grippeschutz sind sich die drei Wissenschaftler*innen einig: Man sollte sich in jedem Fall gegen die Grippe impfen lassen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob man gegen Corona geimpft ist oder schon eine Corona-Erkrankung durchgemacht hat, so die Virologin Sandra Ciesek von der Uniklinik Frankfurt. Im Gegenteil: "Wenn Sie einen schweren Verlauf hatten, einer Coronavirus-Infektion und noch Spätfolgen haben, an der Lunge zum Beispiel, dann macht es auf jeden Fall Sinn, sich gegen die Grippe impfen zu lassen, um nicht weiter die Lunge zu belasten".

Corona ist nämlich keine leichte Grippe und beide Krankheiten könnten theoretisch parallel auftreten. Sie betreffen die Atemwege und können schwere Verläufe haben.

Jeder Impfstoff schützt gegen eine spezielle Infektion

Carsten Watzl, Immunologe der TU Dortmund, rät zu beiden Impfungen – gegen Corona und Grippe: "Die Impfung gibt einen spezifischen Schutz gegen den Erreger, gegen den man impft. Das heißt wenn ich mich gegen Grippe impfe, dann bin ich gegen die Influenza geschützt, aber nicht so sehr gegen Corona. Und wenn ich mich gegen Corona impfen lasse, dann schützt mich das vor der Corona-Infektion, aber nicht so sehr gegen die Grippe. Daher ist es schon sinnvoll, sich sowohl gegen Corona als auch gegen Grippe impfen zu lassen."

Laut aktueller Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) sind beide Impfungen im Prinzip sogar gleichzeitig möglich – wenn nötig.

Sandra Ciesek sagt, dass vor allem diejenigen, die zu einer Risikogruppe gehören, also Vorerkrankte oder Ältere, sich auf jeden Fall beim Hausarzt gegen Grippe impfen lassen sollten. Aber auch wenn man viel Kontakt zu anderen Personen habe, zum Beispiel im Krankenhaus oder im Verkauf.

Der größte Vorteil der Impfung: Genau wie bei Corona trägt auch die Impfung gegen Grippe oft dazu bei, dass Menschen nicht so schwer krank werden, falls sie das Virus doch erwischt.

Grippeimpfung: Schützt sie auch gegen Corona – oder umgekehrt?

Verschiedene Artikel und Studien berichten von Beobachtungen, dass Grippe-Geimpfte weniger oft an Corona erkranken. Das ist, laut Leif-Erik Sander, Internist und Lungenarzt an der Berliner Charité, theoretisch möglich, jedoch selten:

"Was es durchaus im Immunsystem gibt, sind sogenannte Kreuzreaktivitäten. (...) Sicher ist so ein Effekt nicht sehr stark aber vielleicht in einem großen Datensatz messbar (...)."

Trotzdem sagt Sandra Ciesek, Virologin an der Frankfurter Uniklinik, dass die Antikörper, die Personen gegen das Grippevirus bilden, einen nicht vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen können. (...) Schutz hat man nur in dem kurzen Moment, wenn die unspezifische Immunabwehr aktiviert wird. Aber darauf würde sie sich auch nicht verlassen.

Die Effekte der unspezifischen Abwehr sind nicht besonders stark ausgeprägt und es gibt sie oft nur wenige Tage. Die neuste Studie, die aussagt, dass Grippe-Geimpfte zu einem höheren Prozentsatz teilweise gegen bestimmte Corona-Symptome geschützt sein sollen, stammt aus den USA. Allerdings wurden hier nur rückblickend Patientenakten untersucht. Genau so etwas könnte aber ein Problem sein, sagt der Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund:

"Es ist generell so, dass sich Leute, die sich sowieso gerne oder regelmäßig impfen lassen, vielleicht ein anderes Gesundheitsbewusstsein an den Tag legen und das natürlich dann auch ein geringeres Risiko für eine Corona-Infektion wieder darstellt."

Menschen die sich also besser schützen, haben generell ein kleineres Risiko, krank zu werden. Solche Studien sind ohne vorher klar festgelegte Vergleichsgruppen nachträglich nicht so richtig aussagefähig. Und Sandra Ciesek stellt noch mal grundsätzlich klar:

"Der Irrglaube, dass wenn man sich gegen Grippe impfen lässt, man keine Corona-Impfung mehr braucht oder umgekehrt – das ist nicht so."

Grippeimpfung: Macht der Corona-Booster Probleme und wann kommt die Kombispritze?

Wer sich komplett schützen möchte – mit dritter Anti-Corona-Impfung und einer Spritze gegen die Grippe, muss sich keine Sorgen machen, sagt Carsten Watzl, Immunologe an der TU Dortmund. Und auch laut der STIKO komme die mögliche sogenannte Booster-Impfung der Immunisierung gegen Grippe deswegen nicht in die Quere, weil die Impfstoffe gegen Corona und Grippe an ganz unterschiedlichen Punkten ansetzen würden. Leif-Erik Sander, Impfstoff-Forscher an der Berliner Charité:

"Also ich habe erst mal keine Bedenken, dass die eine Impfung den Effekt der anderen Impfung irgendwie abschwächt. Wir müssen einfach generell festhalten, dass die Grippe-Impfstoffe nicht so effektiv schützen wie die Coronavirus-Impfstoffe. Die sind besser. "

Grippe- und Coronaimpfstoff in einem?

Eine mögliche Option wären künftig Kombi-Präparate gegen Covid-19 und Grippe – per jährlicher Auffrischungsspritze. Carsten Watzl kann sich das in Zukunft vorstellen: "Solche Impfstoffe müssen sicherlich erst einmal getestet werden, um einfach auszuschließen, dass es da keine negativen oder positiven Beeinflussungen gibt".

Eine Kombination aus einem Grippe- und Coronaimpfstoff wird aber noch einige Zeit dauern.
Denn dafür müsse man eine ganz andere Art von Grippe-Impfstoffen schaffen – ebenfalls auf mRNA- Basis, wie die Corona-Impfstoffe von Biontech und Moderna, so die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek.

Der amerikanische Pharma-Hersteller Moderna hat bereits bekanntgegeben, an genau so einem Kombi-Impfstoff zu arbeiten. Erste Tierversuche laufen, aber wann er auf den Markt kommen kann ist noch unklar.

Keine Grippewelle durch Corona – ist eine Impfung nötig?

Die Grippesaison des letzten Winters ist im Prinzip komplett ausgefallen, so Leif-Erik Sander und erklärt sich das durch die ganzen Hygienemaßnahmen, Lockdowns und ähnliches. Diese hätten die Grippe-Übertragung weitgehend stilllegen können. Daran sehe man auch noch mal, wie viel ansteckender das Coronavirus als das Grippevirus sei (...).

Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek erwartet in diesem Jahr eher eine schwere Grippesaison, zumindest wenn die Kontaktbeschränkungen aufgehoben werden:

"(...) Wenn wir weiter in der nächsten Saison Maßnahmen haben, wie Kontaktbeschränkungen Maske tragen, auf verstärkte Händehygiene achten und Abstand halten: Dann wird die Grippesaison wieder schwach werden, weil wir es dem Grippevirus einfach schwer machen, Menschen zu infizieren."

Sie rät dazu, sich auf jeden Fall gegen Grippe impfen zu lassen. Denn Grippeimpfstoffe werden jedes Jahr angepasst und enthalten die Erreger, von denen man annimmt, dass sie eine Grippewelle auslösen könnten. Sie bietet also einen guten Schutz gegen sehr schwere Krankheitsverläufe.

Hilfreich ist die Grippe-Impfung auch, weil wir uns in der Corona-Zeit besser geschützt und wir deshalb auch einen Teil unserer Grundimmunität verloren haben. Damit sind wir anfälliger für Infektionen. Viren erscheinen nämlich dem Körper neu, auch wenn sie das eigentlich gar nicht sind.

Muss es eigentlich immer die Spritze sein?

Eigentlich nicht. In den USA wird gerade ein Impfstoffpflaster entwickelt und es existiert schon ein Lebendimpfstoff, der als Spray gegeben werden kann: „Das ist natürlich gerade bei Kindern angenehm, die ja meistens Impfungen und Nadeln nicht so toll finden, gerade kleine Kinder. Das ist oft sehr stressig für die Eltern, wenn denen eine Spritze gegeben werden muss. Und da gibt es dieses Nasenspray, was sehr einfach und ohne Schmerzen zu geben, zu applizieren ist", erklärt die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek.

Grippeimpfungen per Spray ist bei Kindern und Jugendlichen zwischen 2 und 17 Jahren möglich. Frau Ciesek rät Eltern vor allem dann zur Grippe-Impfung, wenn ihre Kinder Vorerkrankungen haben oder eine Anfälligkeit für Mittelohrentzündungen. Auch wenn die Kinder in Kindertagesstätten untergebracht sind, sei es sinnvoll. Die Ständige Impfkommission ist da etwas zurückhaltender. Sie empfiehlt die Grippeimpfung grundsätzlich nur für Gefährdete, Schwangere oder für Menschen mit Vorerkrankungen und Ältere. Bei Kindern und Jugendlichen rät sie jedoch auch nicht davon ab.

Ältere Menschen sind auf die Spritze angewiesen, weil der Grippeimpfstoff für sie besonders hoch dosiert ist. Es gibt für über 60-jährige nur noch sogenannte Hochdosisimpfungen. Nur dann übernimmt die Krankenversicherung die Kosten.

"Wir wissen, dass einige schlechter und andere auf die Antikörperbildung ansprechen. Und das sind vor allen Dingen ältere Menschen, weil dort das Immunsystem auch eine gewisse Alterserscheinung zeigt," meint Frau Ciesek. Auch für Menschen, die Immunsystem einschränkende Medikamente nehmen, oder für Dialyse-Patienten seien Grippe-Impfstoffe mit einer höheren Wirkstoff-Dosis eine Option. Das Präparat enthält die vierfache Menge an Antigen und sorgt nicht für ein höheres Risiko.

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Antonia Weise, Ralf Kölbel