Prähistorische Ernährung

Urmenschen wurden durch Fleischkonsum nicht schlauer

Stand
Autor/in
Michael Stang
Onlinefassung
Lilly Zerbst

Nur mit ordentlich Fleisch konnten frühe Menschen ein großes Gehirn entwickeln – das glauben zumindest viele. Doch neue Fossilanalysen bringen die Fleisch-Theorie ins Wanken.

Die so genannten Paleo-Diät orientiert sich an den in der Steinzeit vermutlich verfügbaren Lebensmitteln: Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse, Obst und Nüsse. Aber, ob und wie viel Fleisch unsere Vorfahren gegessen haben, ist eigentlich unbekannt. Dennoch gilt Fleisch als Motor der Menschheitsentwicklung. Eine neue Studie aus den USA lässt Zweifel an dieser Fleisch-These aufkommen.

Fossilienfunde zeigen Jagdverhalten des Menschen

Die Evolution der Menschheit lässt sich in mehrere Phasen unterteilen. Die erste war geprägt von frühen Menschen, die sich im Vergleich zu den äffischen Verwandten hauptsächlich darin unterschieden, dass sie auf zwei und nicht auf vier Beinen liefen. Erst später entwickelten unsere Vorfahren typisch menschliches Verhalten, so Briana Pobiner vom Smithsonian's National Museum of Natural History. Sie hat an der neuen Studie wesentlich mitgewirkt.

Pferdeknochen in einer prähistorischen Grabstätte.
Funde tierischer Knochen mit Schnittwunden zeigen, ab wann und wo sich der prähistorische Mensch von Fleisch ernährt haben könnte.

Hinweise auf die Ernährungsform unserer menschlichen Vorfahren liefern Fossilienfunde. In den 1980er Jahren wurden in Ostafrika viele Tierfossilien mit Schnittspuren gefunden, so Pobiner. Diese Schnittspuren deuten darauf hin, dass der frühe Mensch spätestens vor rund zwei Millionen Jahren Tiere gejagt, geschlachtet und gegessen hat.

Fleischkonsum soll Gehirnwachstum ermöglicht haben

Der Wechsel von pflanzlicher Ernährung hin zum Fleischkonsum galt als Motor in der Evolutionsgeschichte der Menschheit. In den neunziger Jahren entstand die teure Gewebehypothese. Dahinter steht die Überlegung, dass das menschliche Gehirn und Verdauungssytem sehr viel Energie braucht.

Schädel des homo habilis, homo erectus und homo sapiens.
Schädel des homo habilis, homo erectus und homo sapiens (v.l.n.r.). Der vor 2 Millionen Jahren lebende Homo erectus gilt als erste jagende hominine Art. Sein Gehirn vergrößerte sich im Verlauf der Jahrtausende deutlich.

Passend dazu tauchte vor knapp zwei Millionen Jahren die Art Homo erectus auf, bei der die Eingeweide kleiner werden, die Gehirne aber mächtig wachsen. Forschende vermuteten daher, dass der steigende Fleischkonsum, auf welchen die Fossilien hindeuteten, die Zunahme des energetisch teuren Gewebes ermöglichte.

Fleisch-Theorie an Ostafrikanischen Funden überprüft

Ob es zwischen der Fundmenge und der Ernährungsumstellung tatsächlich einen kausalen Zusammenhang gab, hat Briana Pobiner nun untersucht. Zusammen mit einem US-amerikanischen Forschungsteam hat sie die veröffentlichten Daten von prähistorischen Stätten in Kenia, Tansania und Äthiopien analysiert. Die Fundorte sind datiert auf ein Alter zwischen 2,6 bis 1,2 Millionen Jahre.

Statistische Daten können Fleisch-Theorie nicht stützen

Die große Menge an Funden, die das Forschungsteam untersucht hat, lässt statistische Überprüfungen zu. Tatsächlich können diese die alte Fleisch-Theorie nicht stützen. Denn aus den Zeiten, aus denen viele Knochen mit Schnittspuren vorliegen, gibt es auch insgesamt viele Fossilienfunde. Die relative Häufigkeit an Fossilien mit Schnittspuren bleibt aber gleich.

Daraus lässt sich also nicht schließen, dass diese frühen Menschen plötzlich sehr viel Fleisch gegessen haben und ihre Nachkommen deswegen irgendwann später größere Gehirne entwickelten, so Briana Pobiner.

Lebensmittel wie Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchte, Bananen, Nüsse liegen zusammen auf einem Tisch - welches Essen macht glücklich?
Im Hinblick auf die Studienergebnisse könnte das Fleisch vielleicht bald seinen Platz in der Paleo-Diät verlieren.

Theorien müssen ständig hinterfragt werden

Damit bekommt die Paleo-Diät für manche eine andere Bedeutung. Denn überwiegend Fleisch stand auch damals nicht auf dem Speiseplan. Die Paläoanthropologin macht deutlich, dass sich ihre Zunft manchmal von tradierten und liebgewonnenen Thesen wie dieser verabschieden müsse. Denn genau das sei der Kern der Wissenschaft. Weg von selbsterfüllenden Prophezeiungen, hin zur ergebnisoffenen Analyse, die heute einfacher ist als früher, weil allein aufgrund der großen Fundmengen mittlerweile auch statistische Vergleiche möglich sind. Und diese können Interpretationsfehler gnadenlos aufdecken.

Ich bin nicht überrascht, dass einige Forscher unsere Studie kritisch sehen. Aber die Wissenschaft entwickelt sich weiter.

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Michael Stang
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Lilly Zerbst